Immer mehr Bewohner des Gazastreifens sind der Meinung, dass die Hamas keine Legitimität mehr hat, an der Macht zu bleiben und fordern das Ende ihrer Herrschaft.
Mohammed Altlooli
Der unter der Führung der Hamas stehende Gemeinsame Operationsraum der Fraktionen in Gaza hat eine offizielle Erklärung veröffentlicht, in der er den Aktivisten und Clan-Führer Yasser Abu Shabab, der eine gegen die Hamas agierenden Miliz leitet, der Verletzung des »Revolutionsgesetzes« beschuldigt und ihn damit auf eine Liste von Personen gesetzt hat, die der Hinrichtung geweiht sind. Die Stellungnahme erfolgte nur wenige Stunden nachdem die al-Qassam-Brigaden, der militärische Flügel der Hamas, eine ähnliche Drohung ausgesprochen hatten.
Diese Eskalation fällt mit verstärkten Aktivitäten paramilitärischer Einheiten zusammen, die der Hamas nahestehen und als Sahm- und Rade-Einheiten bekannt sind. Diese maskierten Trupps haben nicht nur die Aufgabe, die Bevölkerung im Gazastreifen daran zu hindern, die Hilfe der Gaza Humanitarian Foundation anzunehmen, sondern sollen auch ganz allgemein Dissidenten einschüchtern und verfolgen.
Menschenrechtsberichte und Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass diese Einheiten im Laufe der Jahre Dutzende junger Menschen unter dem Vorwand des Verrats hingerichtet haben, obwohl es sich tatsächlich einfach um Zivilisten und politische Gegner handelte, die sich bloß gegen die Herrschaft der Hamas ausgesprochen hatten.
Alternativen zur Hamas
Der unter Oppositionellen umstrittene Yasser Abu Shabab hat kürzlich seine Rhetorik gegen die Hamas verschärft. In einem Interview mit dem israelischen TV-Sender Kan erklärte er seine Entschlossenheit, »den Kampf fortzusetzen, bis die Herrschaft der Hamas beendet ist«. Während seine Äußerungen im Osten Rafahs, wo seine Miliz tätig ist, auf begrenzte Zustimmung stießen, haben sie sich noch nicht auf andere Regionen des Gazastreifens ausgeweitet. Während Abu Shababs Popularität in den ersten Monaten nach seinem Auftauchen auf der politischen Bühne durchaus angestiegen war, sind viele Bewohner nun der Meinung, dass der »wahre Retter« noch auf sich warten lässt.
Währenddessen verschärft sich die humanitäre Krise: Über zwei Millionen Menschen sind nach wie vor als Binnenvertriebene innerhalb des Gazastreifens unterwegs, ohne Obdach und mit explodierenden Lebensmittelpreisen konfrontiert, da die Hamas die Hilfsgüter stiehlt, um sie anschließend zu Wucherpreisen an die eigenen Bevölkerung weiterverkauft. Infolgedessen ist das Vertrauen der Bevölkerung in einzelne Akteure, die Veränderungen herbeiführen könnten, geschwunden.
Zugleich hat eine neue zivile Organisation in der Küstenenklave an Boden gewonnen: die Temporary Palestinian Civil Affairs (TPCA), angeführt von einer Gruppe junger ziviler Akteure aus dem Gazastreifen und darüber hinaus. Diese Gruppe, die Gewalt dezidiert ablehnt und sich für institutionelle, friedliche Arbeit einsetzt, hat kürzlich eine Reihe von Kontakten mit der israelischen Armee und der amerikanischen Hilfsorganisation hergestellt, um die Einfuhr humanitärer Hilfe unabhängig von der Hamas zu erleichtern.
Viele Gazaner sehen in dieser neu entstehenden zivilen Institution eine Quelle echter Hoffnung, nicht wegen ihrer Parolen, sondern ihrer praktischen Schritte und der bestätigten Kommunikation mit Friedensbefürwortern innerhalb der israelischen Gesellschaft.
Angst und Hoffnung
Immer mehr Bewohner des Gazastreifens sind der Meinung, dass die Hamas keine Legitimität mehr hat, an der Macht zu bleiben. Sie fordern das Ende ihrer Herrschaft, die zunehmend als Grund für ihr Leiden wahrgenommen wird, von dem die Hamas auch noch zu profitieren trachtet.
Immer mehr Einwohner werfen der Hamas vor, Waffenstillstandsabkommen bewusst zu behindern und den Krieg zu verlängern, um ihre eigenen politischen und militärischen Interessen zu wahren. Angesichts der wachsenden Verzweiflung verstärkt sich die Ansicht, dass die Zeit reif sei, öffentliche Proteste zu starten und den Rückzug der Hamas aus der Politik zu fordern.
Ein Jugendlicher bemerkte: »Solange die Hamas im Gazastreifen regiert, wird kein Waffenstillstand das Blutvergießen wirklich beenden. … Wenn man nicht durch die Luftangriffe stirbt, stirbt man an Hunger oder Angst.« Ein anderer Bewohner beklagte sich: »Wenn die Hamas Hilfslieferungen blockiert, Lebensmittel stiehlt, uns verbietet zu arbeiten oder das Land zu verlassen, will sie dann einfach, dass wir sterben?« Ein weiterer fügte hinzu: »Die Hamas will nicht, dass wir leben. Sie tötet uns langsam – nicht mit Bomben, sondern mit Hunger und Verzweiflung.«
Gleichzeitig hat sich die Enttäuschung über die Hamas hinaus auf alle traditionellen Fraktionen ausgeweitet, einschließlich der Fatah und der Palästinensischen Autonomiebehörde, denen die Menschen im Gazastreifen vorwerfen, den Küstenstreifen völlig aufgegeben zu haben. Der Traum von einem zivilen Leben, frei von der Herrschaft bewaffneter Fraktionen und parteipolitischer Kontrolle, ist zu einer populären Forderung geworden, die in den Straßen, Notunterkünften und Lagern Widerhall findet. Viele erkennen nun, dass die aktuelle Katastrophe nicht enden kann, solange die Hamas oder eine andere Gruppe die Macht und die Entscheidungsgewalt monopolisiert.
Geht diese Entwicklung so weiter, könnte sich vielleicht ein historischer Moment des zivilen Wandels ergeben: Einer, in dem der Sieg nicht an der Anzahl der Waffen gemessen wird, sondern an der Anzahl jener Menschen, die mutig genug sind zu sagen: »Wir wollen leben.«






