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Die Hamas folgt einem bestens bekannten Drehbuch

Der hochrangige Hamas-Mann Mousa Abu Marzouk. (© imago images/Kyodo News)
Der hochrangige Hamas-Mann Mousa Abu Marzouk. (© imago images/Kyodo News)

Die Hamas weiß genau, wie sie die westliche Öffentlichkeit manipulieren kann – und die lässt das mit sich geschehen.

Dieser Tage sorgte ein Interview für Aufsehen. Im Gespräch mit der New York Times äußerte der ranghohe Hamas-Mann Mousa Abu Marzouk »Vorbehalte« gegen die Hamas-Invasion in Israel am 7. Oktober 2023. Marzouk, der heute in Qatar lebt, nachdem er Mitte der 1990er Jahre aus den USA ausgewiesen worden war, und von der Times als Leiter des »Auslandsbüros der Hamas« vorgestellt wurde, sagte: »Hätte man erwartet, dass das, was passiert ist, passieren würde, hätte es den 7. Oktober nicht gegeben.«

Damit bezog sich Marzouk wohlgemerkt nicht auf die Israelis, die an diesem Tag unter Führung der Hamas unter Mitwirkung von Tausenden Palästinensern vergewaltigt, gefoltert, massakriert oder als Geiseln verschleppt wurden – für sie hatte er kein Wort des Mitleids oder des Bedauerns übrig –, sondern auf die Konsequenzen im darauffolgenden Krieg Israels gegen die Hamas. Hätte er diese Folgen auch nur erahnt, wäre es für ihn »unmöglich« gewesen, den Angriff gutzuheißen, von dem er behauptet, nichts gewusst zu haben.

Und Marzouk sagte noch mehr, das sich für die Times, die ihn als »eine der pragmatischeren Figuren in der Hamas« vorstellte, offenbar gut anhörte: »Er deutete auch an, dass es innerhalb der Hamas eine gewisse Bereitschaft gebe, über die Zukunft der Waffen der Gruppe im Gazastreifen zu verhandeln – was ein Knackpunkt in den Verhandlungen mit Israel gewesen sei«. Wörtlich antwortete Marzouk auf die Frage nach den Waffen: »Wir sind bereit, über jedes Thema zu sprechen.«

Die Hamas sei in gewissem Sinne ein Gewinner, weil sie Israels Feldzug überlebt habe, aber von einem »Sieg« könne angesichts der umfangreichen Zerstörungen im Gazastreifen keineswegs gesprochen werden. Wenn Israel Tausende weitere palästinensische Häftlinge freilassen sollte, sei die Hamas bereit, alle israelischen Geiseln auf einmal freizulassen. »Wir sind bereit für einen umfassenden Deal.«

Das alte Flügelspiel

Die Dementis von Marzouks Aussagen durch andere Hamas-Führer folgten sogleich; teils wurden sie sogar noch in demselben Times-Artikel gebracht. Marzouk sei falsch zitiert worden, seine Bemerkungen seien aus dem Kontext gerissen worden, die Waffen der Hamas stünden selbstverständlich nicht zur Debatte, und überhaupt könne Marzouk gar nicht für die gesamte Organisation sprechen.

Die Times witterte sofort »Differenzen zwischen Hamas-Funktionären« in der Beurteilung des 7. Oktober – und damit hatte Marzouks Telefoninterview aus Sicht der Terrorgruppe bereits seinen Zweck erfüllt. Die Hamas kann nicht erwarten, dass ihre verabscheuungswerten Bluttaten – außer bei den Extremisten der sogenannten »Palästina-Solidarität« – im Westen auf Unterstützung treffen, aber das braucht sie auch nicht. Alles, was sie zum Überleben benötigt, ist der Eindruck, dass es sich bei ihr nicht um die blutrünstigen antisemitischen Vergewaltiger und Mörder handelt, die sie in Wahrheit sind, sondern um eine Organisation, in der es »Differenzen«, »unterschiedliche Flügel« und dergleichen mehr gibt.

Denn sobald es ihr gelingt, diesen Eindruck zu erwecken, finden sich automatisch die nützlichen Idioten dies- und jenseits des Atlantiks, die sofort erklären, dass man statt auf die Zerstörung einer genozidalen Terrorgruppe auf die Stärkung des »moderaten Flügels« der Hamas hinwirken müsse und jetzt nicht die Zeit für Krieg, sondern für »Verhandlungen« mit den »Gemäßigten« sei, die man im Sinne einer »umfassenden Friedenslösung« unbedingt »einbinden« müsse. Einer »Friedenslösung«, für deren Nichtzustandekommen sodann gleich die störrischen Israelis an den Pranger gestellt werden, die außer Kriege zu führen und unvorstellbares Leid anzurichten nichts auf die Reihe brächten – und vor allem keinerlei »zukunftsträchtige Perspektive« zu bieten hätten.

Arafat, der Iran, …

Die Hamas ist wahrlich nicht der einzige Akteur im Nahen Osten, der bestens weiß, wie einfach die westliche Öffentlichkeit und Politik mit derlei einfachen Tricks zu manipulieren sind. Als weiteres Beispiel braucht man dieser Tage nur in den Iran zu blicken, in dem ein Regimevertreter sich heute für Verhandlungen über das mit großem Tempo vorangetriebene Atomwaffenprogramm ausspricht, während der nächste morgen wieder für das Gegenteil eintreten wird.

Seit einem Vierteljahrhundert gelingt es dem iranischen Regime bereits, auf diese Art und Weise die Hoffnungen auf »moderate Kräfte« zu nähren und die Debatte über sein Atomwaffenprogramm in die Länge zu ziehen. Dabei bemisst sich der Erfolg des Regimes nicht anders als bei der Hamas: Solange sich noch Gutgläubige finden, die man bei Laune halten kann, indem man ihnen von Zeit zu Zeit ein Stöckchen hinwirft, hat man sich jenen Schutz verschafft, den man zum Überleben braucht.

Das Schauspiel kann mit verteilten Rollen aufgeführt werden, wie das bei der Hamas und dem iranischen Regime der Fall ist; es kann auch von nur einer Person aufgeführt werden, wie PLO-Chef Jassir Arafat es praktiziert hat, der auf Englisch wenigstens zwischenzeitlich über Versöhnung und Frieden sprach, während er auf Arabisch unmissverständlich signalisierte, keine Sekunde das Maximalziel der Vernichtung Israels aus dem Auge verloren zu haben.

Für Marzouk wird es vielleicht nicht bis zum Friedensnobelpreis reichen, wie es bei Arafat der Fall war. Aber auch diesbezüglich gilt: Das braucht es gar nicht.

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