Hamas, Fatah und die Zwei-Staaten-Lösung

Von Khaled Abu Toameh

Während der Feierlichkeiten zum 52. Jahrestag der Gründung der Fatah in Ramallah erklärte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmud Abbas, 2017 werde das „Jahr der internationalen Anerkennung des Staates Palästina“ werden. Abbas, der die jüngste Anti-Siedlungs-Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrats begrüßte, sagte, er sei zur Zusammenarbeit mit der neuen Regierung Donald Trumps bereit, „um Frieden in der Region zu erreichen.“

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Militärparade zum 52. Jahrestag der Fatah im Gazastreifen

Während Abbas und seine Leutnants in Ramallah feierten, wurden jedoch mindestens elf Palästinenser bei einem Handgemenge zwischen rivalisierenden Fatah-Gruppen im Gazastreifen verletzt. Nach Auskunft von Quellen im Gazastreifen entbrannte der Kampf zwischen Abbas-Getreuen und Anhängern des umstrittenen Fatah-Führers Mohammed Dahlan. Der Zusammenstoß, der eine der gewaltsamsten Konfrontationen zwischen den beiden Seiten seit vielen Jahren darstellte, ist ein weiteres Zeichen für die zunehmende Spaltung innerhalb der Fatah. Darüber hinaus läßt sie erahnen, wie sehr Abbas die Kontrolle über seine eigene Partei aus den Händen gleitet. Polizeibeamte der Hamas, die sich vor Ort befanden, unternahmen nichts, um den Kampf zwischen den sich bekriegenden Fatah-Aktivisten zu beenden.

Der Krawall in Gaza entlarvt die von Abbas immer wieder heruntergebetete Lüge einer einigen Fatah, von der er behauptet, dass sie in der Lage wäre, die Palästinenser zur Staatlichkeit zu führen. Unglaublich aber wahr: Abbas trachtet just zu einem Zeitpunkt nach weltweiter Anerkennung eines palästinensischen Staates, in dem die Flammen in seinem eigenen Hinterhof ihn und sein fragwürdiges Regime zu verschlingen drohen. Und Abbas sagt, er wolle mit der Trump-Regierung zusammenarbeiten, um Frieden im Nahen Osten zu erreichen, obwohl es ihm nicht einmal gelingt, diesen in seinen eigenen Reihen zu erreichen.

Abbas Rede fiel mit der Veröffentlichung einer neuen öffentlichen Meinungsumfrage zusammen, laut der 64 % der Palästinenser seinen Rücktritt fordern. Die Umfrage, die von dem in Ramallah ansässigen Palestinian Center for Policy and Survey Research durchgeführt wurde, ergab außerdem, dass zwei Drittel der Palästinenser nicht daran glauben, dass die aktuelle Führung der Fatah ihren Erwartungen gerecht werden kann. Die Ergebnisse der Meinungsumfrage zeigen, dass sich der Anteil der Palästinenser, die Abbas‘ Rücktritt wollen, in den vergangenen drei Monaten von 61 % auf 64 % erhöht hat. Weitere schlechte Neuigkeiten aus der Umfrage: Wenn heute Wahltag wäre, würde Ismail Haniyeh, der Anführer der Terrorgruppe Hamas, seinen Konkurrenten Abbas mit 49 % zu 45 % schlagen.

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Im zwölften Jahr seiner vierjährigen Amtszeit: Mahmud Abbas

Diese Zahlen dürften für langjährige Beobachter der palästinensischen Angelegenheiten jedoch keine Überraschung darstellen. Der Stimmung auf den palästinensischen Straßen nach zu urteilen, besteht durchaus Grund zur Annahme, dass der 81-jährige Abbas, der sich derzeit im zwölften Jahr seiner 4-jährigen Amtszeit befindet, bei seinem Volk schon lange einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit verloren hat. Die wahre Überraschung ist, dass sich lediglich 64 % der Palästinenser seinen Rücktritt wünschen.

Viele Palästinenser machen Abbas persönlich für die andauernden und rasanten Verschlechterungen in der palästinensischen Manege verantwortlich. Für sie ist seine inkompetente und gescheiterte Führung die Hauptursache für die gewaltsame Machtübernahme des Gazastreifens durch die Hamas im Jahr 2007. Sobald die Hamas ihre ersten Schüssen abgab, brachen die fragilen, korrupten und konfliktgeplagten Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde zusammen. Kritiker von Abbas sagen, seine Führungsschwäche und Beschlussunfähigkeit hätten die Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas erleichtert.

Zugleich ist in den vergangenen Jahren deutlich geworden, dass Abbas nicht nur den Gazastreifen mit seinen zwei Millionen Einwohnern an die Hamas verloren hat, sondern dass er dort auch die Kontrolle über seine eigene Fatah-Fraktion eingebüßt hat. Abbas hat es geschafft, viele Fatah-Führer und -Aktivisten im Gazastreifen (von denen die meisten nicht einmal Anhänger seines Erzrivalen Dahlan sind) derart zu verprellen, dass die Palästinenser jetzt ganz offen von zwei unterschiedlichen Fatah-Fraktionen reden. Statt seine Kräfte darauf zu konzentrieren, den Gazastreifen aus dem eisernen Griff der Hamas zu befreien, hat Abbas die vergangenen Jahre damit verbracht, jeden innerhalb der Fatah zu bekriegen, der es gewagt hat, seine Politik infrage zu stellen oder ihn zu kritisieren. Diesbezüglich griff er zu einer ganzen Reihe von Strafmaßnahmen, durch die sich die Spannungen zwischen den Kadern der Fatah weiter zugespitzt haben.

Zu diesen Maßnahmen gehört die Kürzung von Gehältern und Renten von Fatah-Angestellten, deren Loyalität gegenüber Abbas fraglich ist, oder die verdächtigt werden, mit Dahlan zu sympathisieren. Was Abbas angeht, ist nämlich die Zugehörigkeit zur Hamas ein geringeres Verbrechen, als die Zugehörigkeit zu Dahlan oder zu einem seiner eigenen Rivalen innerhalb der Fatah. Eine weitere Maßnahme von Abbas zur Bestrafung seiner Rivalen in der Fatah ist die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität. Jüngste Opfer dieser Strafe wurden: Mohamed Dahlan, Nasser Juma’ah, Shami Al-Shami, Najat Abu Baker und Jamal Al-Tirawi. Diese Entscheidung traf Abbas ohne die Zustimmung des palästinensischen Parlaments, des Palästinensischen Legislativrats (PLC) oder einer anderen gerichtlichen oder sonstigen Entscheidungsinstanz. Seine Kritiker betonen, dass die Aufhebung der parlamentarischen Immunität ein Verstoss gegen das palästinensische Grundgesetz darstellt, da der PLC die einzige Institution ist, die autorisiert ist, eine solche Entscheidung zu treffen.

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Protest von Fatah-Abgeordneten gegen Mahmud Abbas

Als Fatah-Abgeordnete gegen Abbas‘ eigenmächtige Maßnahme protestierten, indem sie einen Sitzstreik in den Büros des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Ramallah abhielten, orderte Abbas eine Razzia seiner Sicherheitskräfte in den Räumlichkeiten sowie deren Zwangsräumung an. „Dies stellt eine schwerwiegende Verletzung der Rechte der Abgeordneten dar und ist völlig ungerechtfertigt“, so eine Sprecherin der Fatah im Gazastreifen: „Es ist außerdem ein Indiz für die repressiven Maßnahmen durch die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die Abgeordneten hielten einen friedlichen Protest in den Büros des Roten Kreuzes ab, nachdem der Präsident entschieden hatte, ihnen ihre parlamentarische Immunität zu entziehen. Wir machen den Präsidenten, den Premierminister und die Sicherheitskräfte für den Verstoß gegen die Menschenrechte und die öffentlichen Freiheiten verantwortlich. Außerdem verurteilen wir das Stillschweigen des Roten Kreuzes gegenüber diesem verabscheuenswürdigen Angriff auf die Abgeordneten in den Büros (des Roten Kreuzes).“

Abbas‘ Durchgreifen gegen seine Kritiker innerhalb der Fatah trieb diese in die offenen Arme der Hamas. Nach Abbas‘ Entscheidung, den Abgeordneten ihre parlamentarische Immunität zu entziehen, nahmen sechs Mitglieder des Legislativrats der Fatah an einem von der Hamas gesponserten Treffen des Rats im Gazastreifen teil. Dies war das erste Mal seit 2007, dass ein solcher Schritt unternommen wurde. Der Palästinensische Legislativrat war seit der Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas faktisch lahmgelegt. Dies hielt die Hamas jedoch nicht davon ab, in den letzten Jahren auch weiterhin Parlamentssitzungen im Gazastreifen abzuhalten. Bis vor Kurzem wurden diese Treffen jedoch von den Abgeordneten der Fatah boykottiert, da sie die Herrschaft der Hamas über den Gazastreifen nicht anerkennen. Abbas‘ repressive und rachsüchtige Maßnahmen trieben die Fatah-Abgeordneten jedoch dazu, diesen Status Quo zu ändern. Das heißt, dass die Fatah-Führer im Gazastreifen, im Gegensatz zu ihren Kollegen im Westjordanland, die Herrschaft der Hamas über den Gazastreifen de facto anerkennen. Das sind natürlich wundervolle Neuigkeiten für die Hamas, deren Anführer, Ismail Haniyeh (laut der jüngsten Umfrage) Abbas in einer Präsidentschaftswahl wahrscheinlich besiegen würde.

Ermutigt durch die zunehmende Spaltung in der Fatah, beginnen die Führer der Hamas also mit den verärgerten Kritikern Abbas‘, die von dessen Maßnahmen geschädigt wurden, zu liebäugeln. Zum ersten Mal seit vielen Jahren gestattete die Regierung der Hamas diese Woche Tausenden Bewaffneten der Fatah, eine Militärparade zur Feier des 52. Jahrestags der Partei im Gazastreifen abzuhalten.

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Die Fatah-Schützen, die mit freundlicher Genehmigung der Fatah im Gazastreifen aufmarschierten, sind keine Unterstützer von Abbas, dem obersten Befehlshaber der Fatah.  Sie repräsentieren vielmehr das „andere Gesicht“ der Fatah – jenes, das an keinen Friedensprozess mit Israel glaubt und stattdessen das Bestreben der Hamas teilt: die Zerstörung Israels. Die Botschaft, die der Fatah-Ableger im Gazastreifen an Abbas senden wollte, war: Im Gegensatz zu dir und deiner Fatah im Westjordanland werden wir den „bewaffneten Kampf“ gegen Israel nicht aufgeben. „Diese Parade sendet das Signal an Abbas, dass die Fatah den bewaffneten Kampf nicht aufgegeben hat“, erklärte der palästinensische Politikwissenschaftler Ibrahim Abrash.

Währenddessen, so scheint es, lebt Abbas auf einem völlig anderen Planeten. Sein Ego verhindert, dass er die Neuigkeiten begreift, die in den Umfragen öffentlich werden: der Großteil seines Volks ist fertig mit ihm. Er weigert sich, aufzuwachen und anzuerkennen, dass sich seine Fatah-Fraktion in ihre Bestandteile auflöst und seine ehemaligen Getreuen mit der Hamas ins Bett steigen. Er will, dass die Welt einen palästinensischen Staat anerkennt, während er selbst sein privates Wohnhaus im Gazastreifen nicht betreten darf. Tatsächlich scheint es, als ob die Palästinenser sich in Richtung einer „Kein-Staaten-Lösung“ bewegen – einem Gazastreifen, der von der Hamas und abtrünnigen Fatah-Angehörigen regiert wird und einem Westjordanland, das von einer anderen Fatah kontrolliert wird, die immer noch treu zu Abbas hält, hauptsächlich deshalb, weil er ihre Gehälter bezahlt.

Abbas sagt, er würde gerne mit der Trump-Regierung zusammenzuarbeiten, um Frieden in der Region zu erreichen. Aber wird er auch den Mut haben, der neuen US-Regierung einige unbequeme Wahrheiten zu erzählen – nämlich, dass er mittlerweile für die Mehrheit seines Volkes zu einem politischen Passivposten geworden ist, und dass die Palästinenser nie zuvor so gespalten waren, wie zum aktuellen Zeitpunkt? Kurzum, wird Abbas sich trauen, die Wahrheit über die Kein-Staaten-Lösung der gespaltenen Fatah zu erzählen?

Artikel zurst erschienen auf Audiatur Online. Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent. Auf Englisch zuerst publiziert bei Gatestone Institute.

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