Nach Israel diffamierenden Äußerungen des Verlegers kündigen Leser massenhaft ihre Abonnements der israelischen Tageszeitung Haaretz.
David Isaac
Die linksgerichtete israelische Tageszeitung Haaretz hat als Reaktion auf die anti-israelischen Äußerungen ihres Verlegers Amos Schocken in der vergangenen Woche Hunderte von Abonnements verloren, berichtete die israelische Nachrichtenseite Walla am Sonntag.
Auf einer von Haaretz organisierten Konferenz in London am 27. Oktober forderte Schocken die Verhängung von Sanktionen gegen den jüdischen Staat, beschuldigte Israel, in Judäa, Samaria [also dem Westjordanland] und Gaza eine Apartheid-Herrschaft zu errichten, bezeichnete palästinensische Terroristen als »Freiheitskämpfer« und behauptete, die israelischen Streitkräfte führten eine zweite Nakba oder »Katastrophe« (der arabische Begriff für den israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948) durch.
Als Reaktion auf seine Äußerungen kündigten auch mehrere Ministerien ihre Abonnements, darunter das Außen-, das Bildungs-, das Kommunikations-, das Kultur und Sport- und das Ministerium für Diaspora-Angelegenheiten und die Bekämpfung des Antisemitismus.
Das Innenministerium gab als erstes eine Erklärung ab. Am 31. Oktober, einen Tag nachdem Channel 14 die Schocken-Story veröffentlicht hatte, gab es eine Erklärung ab, in der es hieß, die Worte des Verlegers »erregten Abscheu«. Es ordnete die Einstellung aller »Veröffentlichungen und Kooperationen« mit Haaretz »bis auf Weiteres« an.
Kommunikationsminister Shlomo Karhi schlug vor, dass Jerusalem alle Verbindungen zur Zeitung abbricht und etwa die in Haaretz geschalteteten Anzeigen des Government Press Office, einer Abteilung des Büros des Premierministers, storniert.
Der Bürgermeister von Nesher, einer Stadt mit etwa 23.000 Einwohnern in der Nähe von Haifa, kündigte am 31. Oktober an, dass auch die Stadt die Beziehungen zur Zeitung abbrechen werde.
Der finanzielle Schlag, den die Zeitung durch die Stornierung verschiedener Regierungs- und Privatkampagnen erlitten hat, ist »ein Schlag, wie er seit vielen Jahren nicht mehr zu verzeichnen war«, so Haaretz laut Walla. Bei internen Besprechungen in der Zeitung am Sonntag sei von »einer verrückten Stornierungsrate und einem starken Rückgang der Zeitungswerbung« die Rede gewesen.
Der stellvertretende israelische Generalstaatsanwalt Gil Limon wird eine Sitzung über die Rechtmäßigkeit der Stornierungen durch das Ministerium abhalten, fügte Walla hinzu.
Interne Konflikte
Die Krise hat zu internen Meinungsverschiedenheiten bei Haaretz selbst geführt. Am Montag veröffentlichte die Zeitung einen Leitartikel mit dem Titel Terroristen sind keine Freiheitskämpfer, der sich auf diesen Aspekt der Kommentare von Schocken konzentrierte, den der Verleger in einer weithin als halbherzig empfundenen Entschuldigung angesprochen hatte.
»Gewalt gegen Zivilisten anzuwenden und unter ihnen Terror zu säen, um politische oder ideologische Ziele zu erreichen, ist Terrorismus. Jede Organisation, die den Mord an Frauen, Kindern und älteren Menschen befürwortet, ist eine terroristische Organisation, und ihre Mitglieder sind Terroristen. Sie sind ganz sicher keine ›Freiheitskämpfer‹«, hieß es in dem Leitartikel.
Am 31. Oktober ruderte Schocken zurück und sagte: »Ich habe über meine Aussage nachgedacht. Viele Freiheitskämpfer in der Welt und in der Geschichte, vielleicht sogar auf dem Weg zur Gründung des Staates Israel, haben schockierende und schreckliche Terrorakte begangen und Unschuldigen Schaden zugefügt, um ihre Ziele zu erreichen. Ich hätte sagen sollen: ›Freiheitskämpfer, die Methoden des Terrors anwenden und bekämpft werden müssen. Der Einsatz von Terrorismus ist nicht legitim‹.«
Am Sonntag distanzierte sich auch Leonid Nevzlin, ein russisch-israelischer Geschäftsmann, der 25 Prozent der Zeitung besitzt, von Schocken: »Ich möchte meine völlige Ablehnung der Ansicht von Amos Schocken als Herausgeber der Zeitung zu den Ereignissen vom 7. Oktober und dem aktuellen Krieg zum Ausdruck bringen.«
Die Äußerungen seien »schockierend, inakzeptabel und sogar unmenschlich«, sagte er und fügte hinzu, sie zeigten »einen Mangel an Sensibilität« gegenüber den Opfern des Kriegs, denjenigen, die am Tag der Invasion selbst gelitten haben, den Geiseln und ihren Familien.
»Amos’ Worte stehen im Widerspruch zu den Werten der Zeitung, zu meinen Werten und zu den Werten der meisten Journalisten und Zeitungsmitarbeiter. Ich bedauere, dass Amos die Bühne von Haaretz genutzt hat, um seine persönlichen und extremen Ansichten zu verbreiten, ohne zu betonen, dass es sich um seine privaten Ansichten handelt, die nicht jene der Zeitung repräsentieren«, so Nevzlin.
Am 31. Oktober veröffentlichten Mitarbeiter von Haaretz und The Marker, einer zu Haaretz gehörenden Wirtschaftsnachrichtenseite, eine gemeinsame Erklärung: »Wir, Journalisten, die über den Krieg und seine Folgen berichten, sind eindeutig dagegen, dass Terroristen, Terroristen jeglicher Art, als Freiheitskämpfer betrachtet werden. Wir sind der Meinung, dass Mord und Angriffe auf Unschuldige kein geeignetes Mittel sind, um einen Konflikt zu bewältigen.«
(Der Artikel wurde auf Englisch von Jewish News Syndicate veröffentlicht. Übersetzung von Florian Markl.)