Der Rollstuhl-Tennisspieler Guy Sasson ist nicht nur der erste Israeli, der ein Grand-Slam-Turnier gewann, sondern sorgt regelmäßig auch für volle Ränge bei seinen Spielen.
Vor einigen Tagen berichtete Mena-Watch über ein bewegendes Werbevideo, das Israels staatliche Fluggesellschaft EL-AL anlässlich der Olympischen Spiele in Paris produziert hat. Darin geht es auf der einen Seite um den Hass, der israelischen Sportlern mitunter im Ausland entgegenschlägt: Es wird gezeigt, wie die israelische Olympiamannschaft (dass es Menschen mit Behinderungen sind, die an den Paralympics teilnehmen, erfährt man erst im Verlauf) angefeindet wird; der Teambus fährt vorbei an wütenden Demonstranten, im Stadion wird der israelische Tennisspieler Guy Sasson bei seiner Vorstellung vor Spielbeginn von Zuschauern ausgepfiffen und ausgebuht.
Das eigentliche Thema – und das, wo die Fluggesellschaft ins Spiel kommt – aber sind israelische Fans, die beschließen, Tausende Kilometer zu reisen (in der Reklame mit EL-AL), um den israelischen Spieler anzufeuern. Kurz vor dem Aufschlag springt ein Zuschauer auf und ruft auf Hebräisch: »Wir lieben dich, Guy Sasson!«, woraufhin die Fans um ihn herum in Jubel ausbrechen und israelische Fahnen schwenken. Motiviert von der Unterstützung macht Guy Sasson dann den Punkt.
Das dramatisch inszenierte Werbevideo hat einen realen Hintergrund. Der Quad-Rollstuhl-Tennisspieler Guy Sasson ist in Israel eine Berühmtheit, und als er im Januar dieses Jahres in Melbourne im Finale der Australian Open stand (wo er gegen den Weltranglistenersten, den Niederländer Sam Schröder, verlor, der seinen sechsten Grand-Slam-Triumph feierte), kamen zahlreiche Menschen, die ihn anfeuerten und Israel-Flaggen schwenkten. Bei Rollstuhltennis, das meist vor leeren Rängen ausgetragen wird, keine Selbstverständlichkeit.
»Sie haben mich bei allen Grand-Slam-Spielen und sogar bei meinen Trainingseinheiten unterstützt», sagte Sasson. »Sie kamen zu Hunderten, und beim Finale waren 1.000 Menschen aus der jüdischen Gemeinde. Sie waren eine riesige Unterstützung – mit israelischen Flaggen – einige trugen den Slogan ›Bringt die Geiseln zurück‹ – und Rufen auf Hebräisch«. Dieses Sportereignis sei eine Gelegenheit gewesen für ein großes Zusammenkommen, sogar für Leute, die keine Tennisfans sind, kommentierte er. »Das ist die Macht des Sports. Die Spieler waren wirklich überrascht, wie viele Leute aus der jüdischen Gemeinde kamen, um einen Rollstuhltennisspieler zu unterstützen.«
Bei der Siegerehrung, als Sasson die Trophäe für den zweiten Platz überreicht bekam, bedankte er sich beim Publikum. Dass so viele Menschen gekommen seien, um Rollstuhltennis zu sehen, sei »wirklich erstaunlich«. Die Trophäe widmete er dem Land Israel und fügte hinzu: »Wir haben kein anderes Land. Am Yisrael Chai« (»Das Volk Israel lebt«). Auch in einem Video in den sozialen Medien dankte er nochmals seinen Fans: »Was ihr für mich getan habt, hat noch kein Rollstuhltennisspieler erlebt … In den Umkleidekabinen haben alle darüber gesprochen und gefragt, woher all diese Fans, diese Community, kommt.»
Im Juni dann gewann Sasson gegen Schröder, noch dazu im Finale des Pariser Turniers Roland Garros. Damit wurde er im Alter von 44 Jahren der erste israelische Tennisspieler, der ein Grand-Slam-Turnier gewann. Vor dem Finale hatte Sasson vier von fünf Spielen gegen Schröder verloren. Am selben Tag erfuhr er von der Befreiung von vier Geiseln in Gaza. Im Gespräch mit lokalen Journalisten sagte er: »Nach dem Spiel umarmte ich meinen Trainer und meinen Psychologen und sie sagten mir, dass vier Menschen lebend gerettet worden waren. Ich war wie vom Blitz getroffen – direkt nach meinem aufregenden Sieg war es, als stünden in diesem Moment alle Sterne richtig.»
Mehr als nur ein Spiel
Anders als viele Tennisspieler hatte Sasson nie vorgehabt, professionell Tennis zu spielen. Er wuchs ohne Behinderung in Ramat Gan auf, diente in den israelischen Streitkräften, besuchte die University of Michigan, heiratete und gründete mehrere Unternehmen. 2015 wurde er Rollstuhlfahrer, nachdem er beim Snowboarden in Frankreich von einer Klippe gestürzt war.
Der Jerusalem Post schilderte er den Unfall: »Ich habe die Klippe nicht gesehen. Ich bin von der Klippe gefallen und habe mir die Wirbelsäule verletzt. Sie flogen mich ins Tel-Hashomer-Krankenhaus in Israel, ich hatte eine große Operation an der Wirbelsäule und der Hand und die Ärzte sagten mir, ich würde nie wieder laufen können. Das klang unwirklich. Natürlich werde ich das – ich werde in zwei Wochen hier raus sein. Ich sollte dann ein Jahr lang in einem Reha-Krankenhaus in Tel Hashomer sein und konnte es tatsächlich verlassen – mit Schienen und Krücken.«
Sasson wusste, dass er etwas finden musste, um körperlich aktiv zu bleiben. Er nahm Kontakt zum Israel ParaSport Center in Ramat Gan auf. Zwischen 400 und 600 Menschen trainieren dort Tag für Tag, 2.900 pro Jahr. »Ich habe meinen Kindern versprochen, dass ich aus dem Rollstuhl aufstehen würde.«
Seine erste Wahl war Schwimmen. Als er Tennis in Betracht zog, lernte er eine neue israelische Trainerin kennen, Ofri Lankri, eine israelische Profi-Tennisspielerin, die 2014 im israelischen Fed-Cup-Team gespielt hatte. Sasson begann, insgeheim über die Option nachzudenken; Lankri schaffte es, ihn für das Rollstuhltennis zu begeistern. »Zuerst habe ich es niemandem erzählt«, erinnerte er sich später. »Nicht einmal meiner Frau. Niemandem! Als ich besser wurde, musste ich es meiner Frau erzählen.»
»Guy hat Einzelsportarten immer geliebt und Tennis hat gut zu ihm gepasst«, sagt Lakri. »Er wurde schnell gut. Er ist superernst und liebt die Mentalität des Tennis.»
Jennifer Flink, nationale Geschäftsführerin des Israel ParaSport Center in den USA, hat Sasson letzten Sommer bei den US Open beobachtet und lobte seine Fortschritte: »Guy Sasson bei einem der größten Events der Welt Tennis spielen zu sehen, war aufregend.« Sie betonte die wichtige Arbeit, die sie und ihre Kollegen angesichts der Zahl der Neuverletzten und Behinderten aus dem derzeitigen Krieg vor sich hätten. »Bei Israel ParaSport ist Sport mehr als nur ein Spiel. Er befähigt Kinder und Erwachsene mit körperlichen Behinderungen, in allen Aspekten des Lebens erfolgreich zu sein. Nicht alle werden Champions, aber alle werden Champions im Leben. Und wenn das Ergebnis ein Weltklasse-Rollstuhltennisspieler wie Guy ist, dann ist das das Sahnehäubchen.«
Eine schöne Anekdote erzählte Sasson nach den US Open im September 2023: »Es sah vielleicht einfach aus, war es aber nicht! Das ist das größte Turnier, an dem ich je teilgenommen habe. Dieses Turnier ist anders, weil wir mit nichtbehinderten Tennisspielern spielen [d.h. das Turnier findet zur gleichen Zeit statt; Anm. Mena-Watch] und sie uns als gleichwertig mit den nichtbehinderten Spielern behandeln. Wir sind in derselben Umkleidekabine. Du sitzt in der Umkleidekabine und Djokovic kommt auf dich zu und sagt: ›Hallo, wie geht es dir? Wie ist es dir heute ergangen?‹ Oder Medvedev sagt: ›Tut mir leid, dass ich dir im Weg bin.‹ Oder [Frances] Tiafoe – ich wäre mit meinem Rollstuhl fast über Tiafoe gefahren.«
Die Paralympischen Spiele 2024 in Paris finden vom 28. August bis 8. September statt. Wie in dem Werbefilm von EL-AL wird Guy Sasson dabei sein. Und wie im Film werden jüdische Zuschauer mit Israel-Flaggen ihn im Stade Roland Garros anfeuern.