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„Friedenspreis“ für Antizionisten

Von Alex Feuerherdt

Die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die antizionistische Vereinigung Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost sorgt dafür, dass die Hauptförderer ihre Unterstützung zurückziehen. Sie forderten, dass die Ehrung zumindest ausgesetzt wird, doch die Jury hielt an ihrer Entscheidung fest. Nun muss die Auszeichnung in einem deutlich bescheideneren Rahmen stattfinden.

„Friedenspreis“ für Antizionisten
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Im Grunde genommen müsste man um die Verleihung des Göttinger Friedenspreises gar kein größeres Aufhebens machen. Vergeben wird er seit 20 Jahren von der eher wenig bekannten Stiftung Dr. Roland Röhl, die nach einem 1998 verstorbenen friedensbewegten Wissenschaftsjournalisten benannt ist; dotiert ist die Auszeichnung mit 3.000 Euro, also keinem sonderlich üppigen Betrag. Mit der Ehrung bedacht werden, so steht es auf der Website der Stiftung, „Einzelpersonen oder Personengruppen, die sich durch grundlegende wissenschaftliche Arbeit oder durch herausragenden praktischen Einsatz um den Frieden besonders verdient gemacht haben“. Hans Küng, Egon Bahr und Konstantin Wecker gehörten in der Vergangenheit zu den Preisträgern, genauso wie die Gesellschaft für bedrohte Völker, die Bürgerinitiative Freie Heide und das Festival für Demokratie und Toleranz. Größere Aufmerksamkeit ist dem Preis in der Regel nicht beschieden, in den überregionalen Medien überschreitet seine Vergabe nur selten die Bedeutung einer Randnotiz.

Dass es in diesem Jahr mehr Rummel um die Preisverleihung gibt, liegt daran, dass eine Organisation ausgezeichnet werden soll, die ihrem wohlklingenden Namen zum Trotz eine ausgesprochen fragwürdige Vereinigung ist: die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, das ist der 2003 gegründete deutsche Ableger der European Jews for a Just Peace. Der „herausragende praktische Einsatz um den Frieden“, den diese stramm antizionistische Gruppierung gezeigt hat, bestand zuletzt beispielsweise darin, von der deutschen Regierung die Ausweisung des israelischen Botschafters zu fordern, zum Boykott des Berliner Festivals Pop-Kultur aufzurufen, weil die diplomatische Vertretung des Staates Israel in Deutschland zu den Förderern gehört, gegen den Auftritt der israelischen Justizministerin in Wien zu protestieren und den „Boykott aller pro-israelischen Veranstaltungen der Leipziger Buchmesse“ zu befürworten.

Vor allem aber – apropos Boykott – unterstützt die Jüdische Stimme explizit die BDS-Bewegung und ihren Mitbegründer Omar Barghouti, der zwar an der Universität Tel Aviv studiert hat, Israel aber trotzdem „Apartheid“ und „ethnische Säuberungen“ vorwirft, die Existenz des jüdischen Staates kategorisch ablehnt, die Juden in Israel für „Invasoren“ hält und suggeriert, „Zionisten“ hätten hinter den Anschlägen in den USA am 11. September 2001 gesteckt. Die BDS-Bewegung will einen vollständigen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und akademischen Boykott des jüdischen Staates, sie dämonisiert Israel als Kolonial- und Apartheidstaat und fordert ein „Recht auf Rückkehr“ von über fünf Millionen Palästinensern auf israelisches Territorium.

 

Proteste gegen die Preisverleihung

„Friedenspreis“ für AntizionistenDiese haben dort, von wenigen Ausnahmen abgesehen, allerdings nie gelebt, sondern den Flüchtlingsstatus lediglich über mehrere Generationen hinweg von ihren Vorfahren geerbt, die den jüdischen Staat im Anschluss an dessen Gründung 1948 und nach dem Angriff der arabischen Staaten verlassen haben oder verlassen mussten. Das Ziel derjenigen, die dieses – völkerrechtlich nirgendwo verbriefte – „Rückkehrrecht“ befürworten, ist es, die Demografie in Israel so zu verändern, dass die Juden dort zur Minderheit würden. Das heißt: Sie wollen das Ende des jüdischen Staates. Doch nicht nur daran zeigt sich, dass es der BDS-Bewegung mitnichten um das Wohl der Palästinenser geht. „Wäre dies so, müsste sich die Kampagne vor allem gegen die islamistische Hamas richten, die die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen massiv entrechtet, unterdrückt, mit antisemitischer Propaganda indoktriniert und als menschliche Schutzschilde im Krieg gegen Israel missbraucht“, schrieb Frederik Schindler unlängst in einem lesenswerten Beitrag für die taz.

Weil die Jüdische Stimme, eine in der jüdischen Gemeinschaft randständige Vereinigung, sich mit der BDS-Bewegung solidarisiert, mehrten sich die Stimmen, die es kritisieren, dass die Gruppierung am 9. März in der Aula der Universität mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet werden soll. Der Göttinger Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler etwa, der als Repräsentant der Stadt dem dreiköpfigen Kuratorium der Stiftung Dr. Roland Röhl angehört, fordert in einem Brief an die Mitglieder der Stiftung, die Ehrung auszusetzen. Es sei notwendig, „den Antisemitismusvorwurf, vor allem in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der BDS-Bewegung, eindeutig auszuräumen oder andernfalls von der Preisverleihung abzusehen“. Die Präsidentin der Göttinger Universität, Ulrike Beisiegel, die ebenfalls zum Kuratorium gehört, schloss sich Köhlers Argumentation „vollumfänglich an“. Auch die Sparkasse, die zu den Förderern des Friedenspreises gehört, will eine Aussetzung. Die Ratsfraktion der Göttinger FDP befürwortet eine Absage der Ehrungsveranstaltung und ein Veto gegen die Preisvergabe an die Jüdische Stimme.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat ebenfalls gegen die Auszeichnung protestiert. Sein Präsident Josef Schuster schrieb in einem Brief an Oberbürgermeister Köhler, die BDS-Bewegung sei „unzweifelhaft antisemitisch“. Er erwarte deshalb von ihm, dafür Sorge zu tragen, dass diese Entscheidung revidiert wird, denn „die Auszeichnung einer Initiative, die eine gegen Juden gerichtete Boykott‐Initiative unterstützt, ist nicht nur des Göttinger Friedenspreises unwürdig, es ist darüber hinaus ein Schlag ins Gesicht der gesamten jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Israel“. Unterstützung erfährt die Jüdische Stimme dagegen unter anderem von Kay Gabbe, Leiter des Arbeitskreises Frieden in der Bonner SPD und früherer Ministerialrat, von Manfred Budzinski, Sprecher der Nahost-Kommission der deutschen Sektion von Pax Christi, und von Eva Senghaas-Knobloch von der Universität Bremen.

 

Salzborn: „Menschen- und Weltbild des Nationalsozialismus“

Die Jury der Stiftung Dr. Roland Röhl, die über die Preisvergabe entscheidet, hält derweil an ihrer Entscheidung fest, die Jüdische Stimme mit dem Friedenspreis auszuzeichnen. In ihrer Begründung für die Ehrung hatte sie geschrieben, die Organisation erhalte den Preis „für ihr unermüdliches Engagement, eine gerechte Friedenslösung zwischen zwei souveränen Nachbarstaaten, zwischen Israelis und PalästinenserInnen, anstreben und erreichen zu können“. Auf die Kritik entgegnete der Jurysprecher und Journalist Andreas Zumach, der die Auszeichnung vor zehn Jahren erhalten hatte, er halte die „pauschale Behauptung ‚BDS ist antisemitisch‘ für falsch“. Dafür liege „bis heute kein belastbarer wissenschaftlicher Beweis vor“. Richtig sei allerdings, dass es „unter den vielen tausend Einzelpersonen und Gruppen, die BDS seit dem 2005 ergangenen Aufruf unterstützen, auch Antisemiten sind, die in ihrer Befürwortung von BDS auch öffentlich antisemitisch argumentieren, antisemitische Symbole und Stereotype benutzen etc.“

„Friedenspreis“ für AntizionistenWie sich Zumach einen solchen wissenschaftlichen Beweis vorstellt, ist nicht überliefert. Die Ausführungen des renommierten und profilierten Antisemitismusforschers Samuel Salzborn zum Thema BDS hält er nach eigener Aussage nicht für einen solchen. Dabei hat Salzborn, der als Professor an der Technischen Universität Berlin lehrt und zuvor fünf Jahre lang an der Universität in Göttingen tätig war, die Aktivitäten und ideologischen Grundlagen der BDS-Bewegung in verschiedenen Interviews und Veröffentlichungen gründlich analysiert, unter anderem in einem Aufsatz, der in der Zeitschrift Kirche und Israel erschienen ist. Darin weist er überzeugend nach, dass es sich bei BDS um „eine einflussreiche antisemitische Kampagne gegen Israel“ handelt, die nicht zuletzt auf der „vorsätzlichen (möglicherweise nicht bewussten) Lüge“ basiert, „der Staat Israel sei ‚größtenteils auf Land gegründet‘ worden, welches ‚zuvor von seinen palästinensischen BesitzerInnen ethnisch gesäubert wurde‘“.

Zutreffend sei vielmehr, dass die arabische Seite „sich schon historisch geweigert hat, die von Israel akzeptierten Kompromisslösungen anzuerkennen, wobei überdies die Gründung Israels nicht durch ‚ethnische‘ Säuberungen ermöglicht wurde, sondern dadurch, dass die vormaligen arabischen Grundbesitzer ihre Grundstücke freiwillig verkauft haben“. An wesentlichen Punkten der Kampagne könne gezeigt werden, so Salzborn, „dass sie nicht um Kritik bemüht ist, sondern ihrer Intention nach antisemitisch“. Die Forderung nach einem „Rückkehrrecht“ für die palästinensischen „Flüchtlinge“ etwa ziele in Verbindung mit der Forderung einer Beendigung von „Besatzung und Kolonisation allen arabischen Landes“ – zu dem, wie Salzborn schreibt, „gemäß der Unterstellung, Israel habe ‚ethnische‘ Säuberungen betrieben, offensichtlich auch weite Teile Israels gezählt werden (wenn nicht sogar ganz Israel)“ – auf „die Delegitimierung (auch durch die Unterstellung von rassistischer Politik), mehr noch aber auf die Vernichtung Israels“ ab.

Hinzu komme eine „generelle NS-Analogie der Kampagne“, die darin bestehe, „dass sie die Nazi-Parole ‚Kauft nicht bei Juden‘ reaktiviert und auf Israel überträgt, wobei zahlreiche BDS-Aktivisten ihre Forderungen in fast identischer optischer Initiierung z.B. in Deutschland vor Geschäften zum Ausdruck bringen, in denen israelische Produkte verkauft werden“. Die antisemitische Ausrichtung von BDS zeige sich überdies darin, so Salzborn weiter, „dass mit ihr Individuen bekämpft werden, um auf diesem Weg den jüdischen Staat zu treffen“. Gemeint sind beispielsweise israelische Wissenschaftler, gegen deren Auftritte etwa an britischen Hochschulen die BDS-Aktivisten regelmäßig mit dem Ziel protestieren, sie zu verhindern oder zumindest vehement zu stören. „Alle werden in Kollektivhaftung genommen, ausschließlich aufgrund ihrer vermeintlichen oder realen Zugehörigkeit zu einem Kollektiv“, schreibt Salzborn, „sie alle werden für etwas abgestraft, was mit ihrer persönlichen Haltung und Person nichts zu tun hat“. Damit vollstrecke die BDS-Bewegung „das Menschen- und Weltbild des Nationalsozialismus, dessen Artikulationsformen sich ausgiebig bedient wird“.

 

Hauptförderer ziehen Unterstützung zurück

„Friedenspreis“ für Antizionisten
Omar Barghouti

Das alles sollten Gründe sein, einer Vereinigung, die es mit der BDS-Bewegung hält, keinen Friedenspreis zu verleihen. In der Göttinger Jury jedoch gab es keine Diskussion über das Thema BDS, wie Andreas Zumach schreibt, und es gebe „daher bislang auch keine Position der Jury zu BDS“. Angesichts der Tatsache, dass er selbst immerhin der Ansicht ist, in der BDS-Bewegung seien „auch Antisemiten, die in ihrer Befürwortung von BDS auch öffentlich antisemitisch argumentieren, antisemitische Symbole und Stereotype benutzen etc.“, mutet es allerdings erstaunlich an, dass er weiterhin die Ehrung einer Organisation befürwortet, die keinerlei Distanz zu diesen Antisemiten erkennen lässt, zu denen der von der Jüdische Stimme unterstützte BDS-Mitbegründer Omar Barghouti unzweifelhaft zählt. Im Gegenteil: Die Gruppierung bezieht sich uneingeschränkt positiv auf die BDS-Bewegung.

Die Hauptförderer hingegen haben nun die Konsequenzen gezogen und wollen mit der Vergabe des Göttingen Friedenspreises an die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost nichts mehr zu tun haben: Universitätspräsidentin Beisiegel erklärte, ihre Hochschule werde in diesem Jahr die Preisverleihung nicht unterstützen, und die Verleihungsfeier könne auch nicht in Räumen der Universität stattfinden. Oberbürgermeister Köhler sagte, die Stadt Göttingen sehe sich angesichts der Nähe der Preisträgerin zur BDS-Bewegung „nicht in der Lage, die Preisverleihung durch die persönliche Anwesenheit des Oberbürgermeisters oder durch einen Empfang in den Räumlichkeiten der Stadt zu unterstützen“. Auch die Sparkasse entschied, „die Preisverleihung 2019 nicht weiter zu unterstützen“. Laut Andreas Zumach bedeutet das, dass die 2.000 Euro, die sonst von der Sparkasse zur Deckung der Kosten der Verleihfeier beigesteuert werden, diesmal entfallen. Der Jurysprecher ruft deshalb zu Spenden auf und kündigt an, dass die Ehrung in jedem Fall stattfinden wird. Einen Ort sucht er noch.

Nachdem unter anderem der Deutsche Bundestag, der nordrhein-westfälische Landtag, die CDU, die Berliner SPD, die Grüne Jugend sowie die Städte Frankfurt, München und Berlin jeweils den Beschluss getroffen haben, die BDS-Bewegung als antisemitisch einzustufen und jeglicher Kooperation mit ihr und ihr nahestehenden Organisationen eine Absage zu erteilen, haben sich nun auch maßgebliche Kräfte in der Universitätsstadt Göttingen entsprechend positioniert. Dass Zumach schäumt, sie hätten „dem Druck von Falschbehauptungen, Verleumdungen und Rufmord gegen den diesjährigen Preisträger“ nachgegeben, darf in diesem Zusammenhang als Bestätigung des Schritts von Beisiegel, Köhler und der Sparkasse angesehen werden. Die Jüdische Stimme fungiert als eine der Kronzeugen der Anklage gegen Israel, genau dafür wird sie ausgezeichnet. Dass das nicht noch mit offiziellen Weihen geschieht, ist gut und richtig.

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