Der bisherige Verlauf nach mehr als einem Jahr blutiger Konflikte: Für die Türkei und Katar ein Nettogewinn. Für den Iran und seine palästinensischen und libanesischen Stellvertreter ein Nettoverlust. Für Israel ist die Entscheidung noch nicht gefallen.
Ben Cohen
Nach über einem Jahr der Konflikte im Nahen Osten, die durch das Hamas-Pogrom in Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurden, wird immer deutlicher, welche der zahlreichen beteiligten Parteien Nettogewinne und welche Nettoverluste verzeichnet haben.
Pyrrhussieg der Palästinenser
Beginnen wir mit den Palästinensern. Die anhaltende »Leistung« der Vergewaltiger und Mörder der Hamas besteht darin, die Palästinafrage wieder in das Zentrum des Weltbewusstseins gerückt zu haben. Mindestens zehn Jahre lang hatten der Bürgerkrieg in Syrien, der Krieg gegen den Islamischen Staat, das Scheitern des »Arabischen Frühlings«, eine stabile und dauerhafte Demokratie in der Region einzuführen, und die Normalisierungsabkommen zwischen Israel und einer Gruppe konservativer arabischer Monarchien die Palästinenser aus ihrer eifersüchtig gehüteten Position als Vertreter der alles überragenden, ungelösten Frage der Region verdrängt.
Der 7. Oktober 2023 hat all das geändert, indem er die Palästinafrage in einer Reihe von Ländern zu einer innenpolitischen Angelegenheit machte – ein Status, der den unzähligen anderen Konflikten auf der Welt normalerweise verwehrt bleibt. »Palästina« war ein Thema bei Wahlen in Irland, Frankreich, Großbritannien und natürlich den Vereinigten Staaten.
Es war auch ein Thema für die Strafverfolgungsbehörden, da Polizeidienststellen in Städten auf der ganzen Welt mit Massendemonstrationen und Zeltlagern auf Universitätsarealen zu kämpfen hatten, was allzu oft dazu führte, dass Polizeibeamte wegschauten, wenn grölende Menschenmengen offen Terrororganisationen unterstützten, die gröbsten antisemitischen Klischees wiederkäuten, Vandalismus und Übergriffe verübten und Sport- und Kulturveranstaltungen störten. Und seien wir ehrlich: Der Krieg im Gazastreifen hat Millionen unruhiger, schlecht informierter Menschen ein Gefühl von Sinn und Zweck gegeben, indem sie sich der »zionistischen Kriegsmaschinerie« entgegenstellen, die ihrer Meinung nach die Ursache für die Leiden der Palästinenser ist – und damit auch für ihre eigenen.
Doch die Palästinenser selbst, insbesondere jene im Gazastreifen, könnten sich fragen, ob diese Ergebnisse ein Jahr Krieg und Bombardierung wert waren, die ihre Küstenenklave zerstört und sie in Bezug auf Wiederaufbau und Nachkriegsregierung der Gnade fremder Staaten ausgeliefert haben. Die Hamas wurde dezimiert und es ist nach wie vor unklar, wer wie in Zukunft im Gazastreifen regieren wird. Der Preis für die oben genannten politischen Siege der Palästinenser war eine militärische Katastrophe und stellt eine langfristige Unsicherheit dar.
Teilerfolg für Israel
Für Israel hat sich dieser Effekt im Wesentlichen umgekehrt. Dank der Disziplin und des Mutes der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) befindet sich der jüdische Staat sowohl an der Gaza- als auch an der Libanon-Front – also an seiner südlichen und nördlichen Grenze – in einer viel besseren Position als vor dem 7. Oktober. Israel hat nicht nur der Hamas schwere Schläge versetzt, sondern auch den anderen Stellvertreter des Irans, die Hisbollah, so sehr geschwächt, dass sie nicht mehr in der Lage war, Kämpfer zur Verteidigung des wackeligen Regimes von Baschar al-Assad in Syrien aufzustellen, wie es noch vor einem Jahrzehnt der Fall war.
In politischer und diplomatischer Hinsicht wurde die globale Position Israels in den vergangenen vierzehn Monaten jedoch durch wiederholte Vorwürfe des Völkermords erheblich untergraben. Der Premierminister und der ehemalige Verteidigungsminister können nicht mehr in einen Großteil der übrigen Welt, einschließlich der meisten Länder der Europäischen Union, reisen, da sie befürchten müssen, aufgrund der im November vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erlassenen Haftbefehle verhaftet zu werden.
Von Literaturfestivals bis hin zu Fußballspielen – die Israelis erleben eine Art von Schmach, die einst dem Südafrika der Apartheid vorbehalten war, wenn auch mit viel tödlicherer Gewalt. In diesem Zusammenhang erleben jüdische Gemeinden in der Diaspora eine Welle antisemitischer Einschüchterung, wie es sie seit den 1930er Jahren nicht mehr gegeben hat. Die bevorstehende Amtsübernahme einer neuen Regierung im Weißen Haus könnte, wie viele hoffen, diese Situation ändern, insbesondere, was die entscheidenden Fragen der Notlage der verbliebenen Geiseln im Gazastreifen und die Rückkehr Tausender Israelis betrifft, die durch die Angriffe der Hisbollah aus ihren Häusern im Norden vertrieben wurden. Nichts ist jedoch garantiert.
Iran massiv geschwächt
Der Umgang mit dem iranischen Regime, dessen Machenschaften im Zentrum dieses Konflikts stehen, wird ein wichtiger Schwerpunkt der Außenpolitik der kommenden Trump-Regierung sein. Doch noch bevor Donald Trump (wieder) ins Oval Office einzieht, sieht der Iran bereits angeschlagen und schwächer aus als noch am 7. Oktober letzten Jahres.
Während seine Raketenangriffe auf Israel weder die IDF noch die Entschlossenheit der israelischen Bevölkerung erschüttern konnten, haben die Reaktionen Jerusalems die Luftabwehr des Irans stark geschwächt und die Verwundbarkeit seines Atomprogramms aufgezeigt. Der Iran muss nicht nur zusehen, wie seine Stellvertreter Hamas und Hisbollah geschwächt werden, sondern auch, wie das Assad-Regime in Syrien seinen Überlebenskampf verloren hat.
Der Iran hat zwar noch seine Stellvertreter im Irak und im Jemen, aber auch diese könnten sich mit einer neuen Regierung in Washington in der Schusslinie Trumps wiederfinden. »Obwohl der Iran heute zuversichtlich ist, dass er kämpfen kann, um sich zu verteidigen, will er Frieden«, schrieb sein ehemaliger Außenminister in einem nachgerade lächerlichen Artikel für Foreign Affairs. Das klingt verdächtig nach einem Appell an die Gegner des Regimes, sich zurückzuhalten, denn in Wirklichkeit kann sich das Regime nicht gegen Israel verteidigen – ganz zu schweigen vom iranischen Volk, von dem immer größere Teile ihre Regierung verabscheuen und entschlossen sind, die Mullahs loszuwerden.
Zwei Gewinner
Für zwei Staaten in der Region sind die Aussichten rosiger. Zum einen die Türkei, deren Mitgliedschaft in der NATO-Allianz trotz der zunehmend unkontrollierten Angriffe auf Israel durch ihren autokratischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und ihrer offenen Unterstützung der Hamas ungestört bleibt. Ironischerweise hat Israels Kampf gegen die Hisbollah Erdoğan in Syrien geholfen, wo die Türkei die Anti-Assad-Kräfte im Norden des Landes unterstützt, auch wenn man nicht erwarten sollte, dass Erdoğan dies zugibt.
Zweitens gibt es Katar, ein auf dem Scharia-Recht basierendes Emirat, in dem nur etwas mehr als zehn Prozent der Bevölkerung die Staatsbürgerschaft besitzen, während die überwiegende Mehrheit – hauptsächlich Wanderarbeiter, die unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften – unter einer Art echter Apartheid lebt.
Die Hoffnung der Biden-Regierung, der finanzielle und diplomatische Unterstützer der Hamas, in dessen Hauptstadt Doha die Anführer der Terrororganisation noch bis vor Kurzem residierten, könnte als ehrlicher Makler bei den Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln auftreten, war völlig fehl am Platz, da seit dem bislang einzigen Geiseldeal, der Israel im Gegenzug zur Freilassung von wegen Terrorismus und Gewalt verurteilten Palästinensern zwang, mehr als ein Jahr vergangen ist.
Trotz dieses kläglichen Scheiterns und seiner doppelzüngigen Haltung zum Terrorismus wird Katars Herrscherfamilie weiterhin von internationalen Staats- und Regierungschefs gefeiert, zuletzt in London, wo sich die britische Königsfamilie pflichtbewusst an der Mall versammelte, um den Emir mit einer Parade an der Londoner Prachtstraße zu begrüßen. In absehbarer Zukunft wird Katars erstaunlicher Reichtum, gepaart mit seinem finanziellen Einfluss auf viele Hauptstädte der Welt, eine Garantie für Immunität vor Kritik sein, ganz zu schweigen von tatsächlichen Sanktionen.
Für die Türkei und Katar ergibt sich also ein Nettogewinn, für den Iran und seine palästinensischen und libanesischen Stellvertreter ein Nettoverlust, während für Israel die Lage noch unklar ist. Das erste Jahr von Trumps Amtszeit wird uns zweifellos mehr Aufschluss geben.
Ben Cohen ist ein in New York lebender Journalist und Autor, der eine wöchentliche Kolumne über jüdische und internationale Angelegenheiten für Jewish News Syndicate schreibt. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)