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Gewalt gegen Frauen im Iran gesetzlich gedeckt

Iran Human Rights Monitorzum Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
Iran Human Rights Monitorzum Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (Iran HRM)

Mehr als ein Jahr nachdem die Justiz einen völlig zahnlosen Gesetzesentwurf zum Schutz von Frauen vor Gewalt präsentierte, hat die Regierung Rohani diesen noch nicht einmal dem Parlament vorgelegt.

Iran Human Rights

Frauen im Iran sind den schlimmsten Formen physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt, und die Berichte über Gewalt gegen Frauen haben nach Angaben der Regimebeamten im Vergleich zu den Vorjahren um 20 bis 22 Prozent zugenommen. Gewalt gegen Frauen im Iran ist anders als in anderen Ländern. In vielen Fällen wird sie legalisiert und gefördert. Tatsächlich verübt und fördert das klerikale Regime selbst systematisch Gewalt gegen Frauen im Iran.

Obligatorischer Hidschab

Die Durchsetzung der Zwangsverschleierung durch mehr als 27 Institutionen, die für „Durchsetzung des Guten und das Verbot des Bösen“ auf Irans Straßen verantwortlich sind, ist einer der Aspekte der Gewalt gegen Frauen im Iran.

Bezüglich der Durchsetzung des obligatorischen Hidschab für iranische Frauen kündigte der stellvertretende Kommandeur der Staatssicherheitskräfte kürzlich die Planung und Umsetzung von vier repressiven Verordnungen an und sagte: „Die Staatssicherheitskräfte haben vier Hidschab- und Keuschheitsverordnungen geplant und umgesetzt. Plan Nazer 1 befasst sich mit Personen, die in ihren Autos gegen den Verschleierungscode verstoßen. Im Plan Nazer 2 geht es um Frauen, die in Einkaufszentren und größeren Geschäften ihren Schleier entfernen oder ihn nicht vorschriftsgmeäß tragen. Die Pläne Nazer 3 und 4 konzentrieren sich auf Frauen, die sich in Erholungsgebieten, bei Spaziergängen und im Cyberspace nicht an das Verschleierungsgebot halten.“ (Die staatliche Nachrichtenagentur Fars, 20. September 2020)

Die Hidschab-Pflicht wird seit einigen Jahren auch durch Mitglieder extra-legaler Gruppen mit organisierten Säureangriffen oder gar Morden an schlecht- bzw. unverschleierten Frauen durchzusetzen versucht. Das Versäumnis des Regimes, diese Kriminellen strafrechtlich zu verfolgen, hat diese nur weiter ermutigt, sodass Säureangriffe auf Frauen inzwischen auf der Tagesordnung stehen.

Zwangsverheiratungen von Kindern

Mädchen im Iran dürfen im Alter von 13 Jahren verheiratet werden; Väter dürfen ihre Töchter im Alter von 9 Jahren mit Zustimmung eines Richters verheiraten. Im Jahr 2018 lehnte das iranische Parlament (Majlis) einen Gesetzentwurf zur Anhebung des Heiratsalters für Mädchen auf 16 Jahre unter dem Vorwand ab, er sei durch „religiöse und soziale Mängel“ geprägt und widerspreche „den Lehren des Islam“.

Diese Form der Gewalt gegen Frauen im Iran macht sich die Verletzlichkeit von Kindern zunutze und verunmöglicht es, dass Mädchen unter der Herrschaft der frauenfeindlichen Mullahs angemessenen Schutz genießen.

Mehr als 600.000 minderjährige Mädchen werden jedes Jahr im Iran verheiratet. Allein im Jahr 2017 gab es 234.000 registrierte Eheschließungen von Mädchen unter 15 Jahren. Inzwischen schreiben die iranische Verfassung und die Gesetze vor, dass Mädchen bereits im Alter von 6 Jahren ihre Haare bedecken müssen, und dass sie bereits ab einem Alter von 9 Jahren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.

Ehrenmorde

Hunderte von iranischen Frauen werden laut offiziellen Berichten jedes Jahr in sogenannten Ehrenmorden getötet. Die genaue Zahl wird von offiziellen Stellen nicht bekannt gegeben, aber im Dezember 2019 berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ISNA, dass jährlich „zwischen 375 und 450 Ehrenmorde“ im Iran geschehen. Dem Bericht zufolge machen „Ehrenmorde“ etwa 20 Prozent aller Morde und 50 Prozent der Familienmorde im Iran aus.

Solche Morde sind einem System immanent, dass Rechtsstaatlichkeit durch die Herrschaft eines klerikalen Regimes abgelöst hat und die Religion für seine Ambitionen manipuliert. Die iranische Verfassung, die Väter und Großväter väterlicherseits als die „Besitzer“ des Blutes ihrer Kinder betrachtet, duldet von Natur aus Ehrenmorde. Artikel 220 des islamischen Strafgesetzbuches legt fest, dass Väter und Großväter für die Tötung eines Kindes oder Enkels nicht zum Tode verurteilt werden können.

Auch darüber hinaus schützt das Gesetz Ehrenmorde. (…) Artikel 630 des iranischen Strafgesetzbuches legt fest, dass eine Frau sofort ermordet werden kann, wenn ihr Mann feststellt, dass sie außerehelichen Sex hat. Die Existenz solcher Gesetze ist einer der Hauptfaktoren, die zur steigenden Rate von Ehrenmorden im Iran beigetragen haben. (…)

Häusliche Gewalt gegen Frauen

Die Debatte über häusliche Gewalt gegen Frauen im Iran wird seit Jahren geführt, da er eines der wenigen Länder ist, das über kein Gesetz zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gegen Frauen verfügt. Das Parlament des Regimes und seine Expertenversammlung haben zahlreiche Hindernisse für den Beitritt des Landes zum Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung gegen Frau geschaffen.

Nur vier UN-Mitglieder, darunter der Iran, haben die Konvention nicht unterzeichnet. Nach Angaben des Leiters der Hilfsorganisation des Landes werden 40% der häuslichen Gewalt gegen Frauen im Iran gemeldet. In den letzten Monaten berichteten Beamte in vielen Provinzen des Iran (insbesondere in Isfahan, Alborz, Golestan, Ilam und Nordkhorasan) von einer Verdopplung bis Verzehnfachung der sozialen Notrufe seit dem Beginn der Coronavirus-Pandemie.

Misshandlung von Frauenrechtlerinnen und politischen Gefangenen

Frauenrechtlerinnen sind in den letzten Jahren zunehmend ins Visier genommen worden und in mehreren Fällen wurden langfristige Gefängnisstrafen verhängt, zum Beispiel gegen Anti-Hidschab-Aktivistinnen (…)

Die unmenschliche Behandlung von Frauen in iranischen Gefängnissen schockieren. Dabei handelt es sich nicht um die Misshandlung von ein oder zwei Gefangenen, sondern es handelt sich um systematische Gräueltaten, die ausgeübt werden, um Druck auszuüben, insbesondere auf politische Gefangene.

Ein zahnloser Gesetzentwurf

Um der Kritik an dieser institutionalisierte Frauenfeindlichkeit und Gewalt gegen Frauen im Iran den Wind aus den Segeln zu nehmen, verkündete die iranische Justiz nach acht Jahren der Verschleppung schließlich am 17. September 2019 öffentlichkeitswirksam, dass sie ein Gesetz gegen Gewalt an Frauen gebilligt und an die Regierung weitergeleitet habe. Bevor sie den Gesetzentwurf an die Regierung weiterleitete, änderte die Justiz den Titel des Gesetzes in „Sicherung, Würdigung und Schutz von Frauen vor Gewalt“, während sie den Zweck des Gesetzes vollständig änderte und ihm jede Wirksamkeit nahm.

Eine Abgeordnete des Parlaments verglich den Entwurf mit einem „zahnlosen Löwen“, der keines der Probleme der Frauen lösen werde. „Wenn das Gesetz verabschiedet wird, wird sich die Situation der Frauen erheblich verschlechtern“, sagte Parvaneh Salahshori. „Der aktuelle Gesetzentwurf eliminiert das Wort Gewalt gegen Frauen, und jene Teile, die sich mit der Sicherheit von Frauen befassten, wurden entweder gestrichen oder abgeändert. Infolgedessen geht der Zweck des Gesetzes völlig verloren.“

Der aktuelle Gesetzentwurf sieht keine Definition und keinen Ordnungsrahmen für Gewalt gegen Frauen vor, durch die ein Abschreckungsmechanismus gegen diese Gewalt eingeführt würden, samt Kriminalisierung und Bestrafung. Stattdessen wiederholt er lediglich einige der ohnehin schon existenten, problematischen strafrechtlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches.

Der Gesetzentwurf sieht keine Maßnahmen durch die Exekutive oder eine glaubwürdige Prüfbehörde vor; genauso wenig wie Investitionen in Aufklärung und Gewaltverhütung oder in den Ausbau der Unterbringung von Gewaltopfern. Doch damit nicht genug: Mehr als ein Jahr nach seiner Präsentation hat die Regierung Rouhani den Gesetzentwurf noch nicht einmal dem Parlament zur endgültigen Verabschiedung vorgelegt.

(Aus dem Artikel „Violence Against Women in Iran Mandated by Law, der bei Iran Human Rights Monitor erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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