Getötete Palästinenser und die Doppelmoral der internationalen Öffentlichkeit

Gedenkfeier für Nizar Banat in Hebron: Wenn ein Palästinenser von Palästinensern getötet wird, interessiert das die internationale Öffentlichkeit nicht. (© imago images/ZUMA Wire)
Gedenkfeier für Nizar Banat in Hebron: Wenn ein Palästinenser von Palästinensern getötet wird, interessiert das die internationale Öffentlichkeit nicht. (© imago images/ZUMA Wire)

Wenn Israel für den Tod von Palästinensern verantwortlich gemacht werden kann, ist der Aufschrei groß. Wenn nicht, herrscht großes Schweigen.

Von Bassam Tawil

Fall Nummer 1: Nizar Banat war ein bekannter palästinensischer Menschenrechtsaktivist aus der Gegend von Hebron im Westjordanland. Im Juni 2021 wurde Banat von palästinensischen Sicherheitsbeamten zu Tode geprügelt, die ihn wegen seiner häufigen Kritik an der Korruption in der Palästinensischen Behörde (PA) verhaften wollten.

Fall Nummer 2: Shireen Abu Akleh war eine christliche, palästinensisch-amerikanische Reporterin, die für den in Katar ansässigen Fernsehsender Al-Jazeera gearbeitet hat. Im Mai 2022 wurde Abu Akleh getötet, als sie über bewaffnete Zusammenstöße zwischen der israelischen Armee und Bewaffneten der vom Iran unterstützten Organisation Palästinensischer Islamischer Dschihad in der Stadt Dschenin im Westjordanland berichtete.

Obwohl seit der brutalen Ermordung von Banat mehr als ein Jahr vergangen ist, haben wichtige westliche Mainstream-Medien keine Ermittlungen in seinem Fall angestellt.

Selbst die Proteste, die in Ramallah, der De-facto-Hauptstadt der Palästinenser, gegen die Ermordung des Menschenrechtlers und Besatzungsgegners ausbrachen, fanden in der internationalen Gemeinschaft und den Medien kaum Beachtung. Und das, obwohl die Polizei der Palästinensischen Autonomiebehörde mit exzessiver Gewalt gegen die Demonstranten vorging, von denen viele geschlagen und tagelang festgehalten wurden.

Im Fall von Abu Akleh hingegen führten große Medienorganisationen und Zeitungen, darunter die New York Times, CNN, die Washington Post und Associated Press, ihre eigenen »Untersuchungen« zu ihrem tragischen Tod durch, nur um zu dem unbegründeten Schluss zu kommen, dass sie wahrscheinlich durch israelische Schüsse getötet worden sei.

Seit ihrer Ermordung hat das Thema Abu Akleh in den Medien eine breite und fast beispiellose Berichterstattung erfahren. Liegt es daran, dass sie amerikanische Staatsbürgerin war? Wahrscheinlich nicht: Sie war sicherlich nicht die erste US-Journalistin, die in diesem Jahr in einem Konflikt getötet wurde. Erinnert sich noch jemand an Brent Renaud, einen preisgekrönten amerikanischen Journalisten, der im März 2022 von russischen Streitkräften in Irpin, Ukraine, getötet wurde?

Selektive Aufmerksamkeit

Warum haben CNN, die New York Times und andere Medienorganisationen keine Teams von Experten und Enthüllungsjournalisten in die Ukraine entsandt, um die Umstände seines Todes zu untersuchen? – Aus demselben Grund, aus dem sie den Mord an Banat nicht untersucht haben: Es gab keine Möglichkeit, Israel die Schuld zu geben.

Banat wurde von Sicherheitsbeamten der Palästinensischen Autonomiebehörde ermordet, Renaud von russischen Truppen. Abu Akleh hingegen wurde während einer Militäroperation der israelischen Armee gegen palästinensische Terroristen des Islamischen Dschihad tödlich getroffen, was allen Israelhassern die Gelegenheit bietet, mit dem Finger auf Israel zu zeigen.

Genau das tut die Anti-Israel-Meute seit dem Tod der Al-Jazeera-Journalistin: Sie unternimmt alle möglichen Verrenkungen, um Israel zu beschuldigen, obwohl sehr wahrscheinlich ist, dass die Frau von einer Kugel getroffen wurde, die von einem palästinensischen Terroristen abgefeuert worden war.

Die meisten ausländischen Journalisten, die über den israelisch-palästinensischen Konflikt berichten, wissen genau, dass der Menschenrechtsaktivist Banat von palästinensischen Polizisten ermordet wurde, offenbar auf Anweisung hoher Offizieller der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Wie viele dieser Journalisten haben Artikel oder Berichte geschrieben, in denen sie den Mord an Banat anprangerten und dazu aufriefen, die PA für den Mord an Banat verantwortlich zu machen? Nur sehr wenige. – Und warum? Weil seine Geschichte keinen anti-israelischen Blickwinkel hat. Es gibt keine Möglichkeit, Israel für die rücksichtslose Entführung und Ermordung von Banat verantwortlich zu machen.

Die PA kommt ungeschoren davon

Auch die US-Regierung hat im Umgang mit den Fällen Banat und Abu Akleh mit zweierlei Maß gemessen. Während die Biden-Regierung und andere internationale Akteure Druck auf Israel ausübten, um eine vollständige und gründliche Untersuchung des Todes von Abu Akleh einzuleiten, wurde die Palästinensische Autonomiebehörde in Bezug auf den Mord an Banat völlig unbehelligt gelassen.

Niemand hat von der PA Erklärungen verlangt, warum sie die vierzehn Sicherheitsbeamten freigelassen hatte, die vor einem palästinensischen »Militärgericht« der Beteiligung an der Entführung und Ermordung von Banat beschuldigt werden.

Die Palästinensische Autonomiebehörde behauptet, die Angeklagten wären gegen Kaution freigelassen worden, weil sich das Coronavirus in den Gefängnissen ausgebreitet hatte. Wäre das wahr, warum hat die PA dann nicht alle Gefangenen entlassen, die in ihren Gefängnissen festgehalten wurden?

Der Leiter des Büros der Unabhängigen Kommission für Menschenrechte im südlichen Westjordanland, Farid al-Atrash, schrieb auf seiner Facebook-Seite, dass die Freilassung derjenigen, die beschuldigt werden, Nizar Banat ohne rechtliche Grundlage getötet zu haben, schon nach weniger als einem Jahr nach seiner Ermordung bedeute, dass die Gerechtigkeit beerdigt wurde. Al-Atrash fuhr fort:

»Leider kann ich nicht mehr sagen, weil ich mich nicht sicher fühle und es keinen Schutz für Menschenrechtsverteidiger gibt. Nizar Banat sagte, dass auch er sich nicht sicher fühle und verfolgt werde. Auf seine Frau und seine Kinder wurde geschossen, und niemand wurde jemals verhaftet. Wir waren nicht in der Lage, ihn zu schützen.«

Anders als im Fall Abu Akleh äußerte sich die Biden-Regierung nicht zur Freilassung der palästinensischen Offiziere, die des Mordes an dem palästinensischen Menschenrechtsaktivisten beschuldigt werden.

Menschenrechte? Kommt drauf an …

Auch die internationalen Medien, deren Vertreter im Nahen Osten sich oft als Hüter der Menschenrechte und Meinungsfreiheit aufspielen und die der Meinung sind, dass es ihre Aufgabe als aufgeklärte und fortschrittliche Journalisten sei, sich auf die Seite der Unterlegenen (in diesem Fall der Palästinenser) zu stellen, haben sich nicht dazu geäußert, dass die Palästinensische Autonomiebehörde es verabsäumt hatte, die beschuldigten Offizieren vor Gericht zu stellen.

Darüber hinaus haben sich die Journalisten nie die Mühe gemacht, über den Aufschrei der Palästinenser nach der Freilassung der Offiziere zu berichten. Diese Journalisten sind übrigens dieselben, die in den letzten Wochen Dutzende von Artikeln über Abu Akleh, die Al-Jazeera-Reporterin, geschrieben haben.

Als eine Gruppe von Palästinensern in Ramallah protestierte, um Gerechtigkeit für Banat zu fordern, haben dieselben Journalisten, die von der Geschichte der Al-Jazeera-Reporterin besessen sind, lieber weggesehen.

Die Teilnehmer des Protests forderten Gerechtigkeit für Nizar und ein Ende der Unterdrückung durch Sicherheitskräfte der PA. Die internationalen Medien berichteten nicht über den Protest, da er sich gegen Mahmud Abbas und seine Beamten richtete – und nicht gegen Israel.

Ghassan Banat, der Bruder des getöteten Menschenrechtsaktivisten, sagte, dass Abbas den Befehl zur Freilassung der Beamten gegeben habe.

Das Versäumnis, die Palästinensische Autonomiebehörde wegen der Ermordung von Nizar Banat zur Rechenschaft zu ziehen, während Israel wegen des Todes von Shireen Abu Akleh unablässig beschimpft wird, ist ein weiteres Beispiel für die Doppelmoral und den tiefen Rassismus der Biden-Regierung, der übrigen internationalen Gemeinschaft und der Medien, die Israel im Rahmen einer Kampagne zu dessen Delegitimierung und zur Dämonisierung der Juden immer wieder aussondern und an den Pranger stellen.

Die Doppelmoral überrascht all diejenigen nicht, die mit der Art und Weise vertraut sind, wie die internationale Gemeinschaft und die Medien seit Langem mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt umgehen – einem Konflikt, in dem Israel uneingeschränkt und ohne Unterlass für jegliches Fehlverhalten verantwortlich gemacht wird, während die Palästinenser niemals als Verantwortliche für ihr eigenes Schicksal betrachtet werden.

Eine kleine, aber wichtige Fußnote: Nur wenige Palästinenser wussten, dass Abu Akleh US-Bürgerin war, denn sie erwähnte diese Tatsache kaum in ihrem Lebenslauf oder in ihren Sendungen. Es ist nicht schwer zu erraten, warum. Abu Aklehs Volk, die Palästinenser, verabscheuen die Vereinigten Staaten – und sie selbst war vielleicht auch nicht besonders angetan von dem Land.

Bassam Tawil ist muslimischer Araber mit Wohnsitz im Nahen Osten. Der Text ist eine leicht gekürzte Version eines beim Gatestone Institute erschienenen englischen Textes. Übersetzung von Florian Markl.

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