Der Kampf gegen antisemitische Verschwörungstheorien bedarf eines differenzierten Vorgehens – und braucht vielleicht mehr Humor.
Irene Kuruc
(Im ersten Teil dieses Artikels wurde an einigen Beispielen wie dem Rapper und Hitler-Verehrer Kanye West gezeigt, wie sich in unserer zunehmend digitalisierten Welt mit antisemitischen Verschwörungstheorien Geld machen lässt. Lesen Sie hier Teil 1.)
Psychologische Triebkräfte
Wahnhafte antisemitische Verschwörungstheorien scheinen aus einigen wenigen Körnchen Wahrheit zu entstehen, die zu hyperbolischen kategorischen Behauptungen werden. Ein Beispiel könnte die Verschwörungstheorie, die Juden würden Hollywood kontrollieren, sein, basierend auf der Beteiligung bedeutender jüdischer Persönlichkeiten an der historischen Entstehung der amerikanischen Filmindustrie. Das Körnchen Wahrheit wird verwendet, um die Realität mit ungerechtfertigten Schlussfolgerungen und Andeutungen zu vereinfachen, die eine paranoide Sicht auf die Welt fördern.
Die instinktive, paranoide Natur solcher Unterstellungen sorgt für den negativen emotionalen »Kick«, der die Verbreitung leicht verstärken kann – eine Verbreitung, die durch die blitzschnelle Natur der sozialen Medien, Algorithmen und das Potenzial der KI, künstliche Ereignisse und Bilder zu erzeugen, noch verstärkt wird.
Diese verschiedenen paranoiden kategorischen Behauptungen werden zu einer Weltanschauung mit oberflächlicher Kohärenz verwoben. Alles »ergibt Sinn« und »alles hängt miteinander zusammen«, wobei alle Einwände und Beweise des Gegenteils von vornherein verworfen werden. Auf diese Weise erhalten diejenigen, die für solche Erfindungen anfällig sind, in einer unsicheren Welt Gewissheit, eine bestärkende Erklärung für ihre Machtlosigkeit und ein Hassobjekt.
In Zeiten sozialer Verwerfungen und der Fragmentierung einer einst homogenen Medienlandschaft stellt das Angebot eines stark vereinfachten, vorgefertigten »Sinns« (eigentlich: Unsinns) eine erhebliche Gefahr dar. Es lassen sich Parallelen zwischen dem online generierten Antisemitismus (die Online-Welt kann leicht zu einer Echokammer werden) und der Mentalität eines Sektenmitglieds ziehen.
Wie Antisemiten lehnen auch Sektenmitglieder jede persönliche Verantwortung dafür ab, die Ideologie, der sie sich unterordnen, infrage zu stellen und zu überprüfen. Diese Tendenz zum Anti-Denken verstrickt die betreffende Person immer mehr in einem Dickicht aus immer bizarrerem und verwirrterem Denken, aus dem sie sich nur schwer befreien kann. Hinweise auf die Absurdität des Vertretenen vermögen sie kaum noch zu erreichen.
Antisemitismus neu definieren
Antisemitismus hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt, von religiösem über politischen zu Rassenhass. Heute wird oft eine verschlüsselte Sprache verwendet. Um die wahre Absicht zu verschleiern, wird von »Zionisten«, »Frankisten« oder »Kabalisten« gesprochen. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es, den hasserfüllten Kern beizubehalten, während scheinbar aktuelle Themen auf eine akzeptablere Weise angesprochen werden, was die Monetarisierung unterstützt.
Diese sprachliche Verschiebung ermöglicht es Verschwörungstheoretikern, uralte antisemitische Tropen zu verbreiten, ohne sich direkt auf explizite rassistische oder religiöse Verunglimpfungen zu berufen und so zu versuchen, Vorwürfe der Bigotterie zu umgehen. Die Verwendung des Begriffs »Zionist« beispielsweise bietet die Möglichkeit der Bestreitbarkeit: Mit Kritik konfrontiert, können jene, die solche Theorien verbreiten, sich darauf zurückziehen, lediglich über den politischen Zionismus gesprochen und gar nicht Juden angegriffen zu haben. Auf diese Art können Verschwörungstheorien verbreitet werden, während gleichzeitig der Vorwurf des Antisemitismus empört zurückgewiesen werden kann.
Besonders wirksam ist dies in Diskussionen über internationale Konflikte, Wirtschaftskrisen und kulturelle Veränderungen, in denen »Zionist« verwendet wird, um die Kontrolle oder Manipulation der Politik, der öffentlichen Meinung usw. durch jüdische Persönlichkeiten oder Gruppen anzudeuten.
Immer wieder werden auch Behauptungen verbreitet, die an klassisch antisemitische Erzählungen wie etwa Ritualmordanklagen anschließen, diesen aber einen modernen Touch verpassen. Ein Beispiel hierfür ist der Vorwurf des »Völkermords, den Israel im Gazastreifen begehen soll. Die Bewohner Gazas werden dabei implizit zu den »neuen Juden« und die Israelis zu den »neuen Nazis« macht. Ein anderes Beispiel ist die angebliche israelische »Apartheid« gegenüber den Palästinensern, mit der eine komplexe Konfliktsituation auf eine simple Erzählung von »Unterdrückern« gegen »Unterdrückte« heruntergebrochen wird.
Diese Erzählungen sind mittlerweile in der breiten Öffentlichkeit angekommen und machen den kulturellen und politischen Mainstream anfällig für Antisemitismus. Diese Entwicklung in der Sprache zeigt, wie sich der Antisemitismus an zeitgenössische Kontexte anpasst und den politischen Diskurs nutzt, um Hass zu schüren, während er gleichzeitig versucht, eine Fassade der Legitimität aufrechtzuerhalten.
Medien und Fehlinformationen
Der Umgang der Mainstream-Medien mit Verschwörungserzählungen hat manchmal den Unterschied zwischen plausiblen Theorien und reinen Erfindungen verwischt, was zu einem Glaubwürdigkeitsverlust geführt hat, der das Publikum zu alternativen, weniger auf Fakten geprüfte Quellen getrieben hat.
Elon Musks jüngster Ausspruch »Ihr seid jetzt die Medien« ermutigt Einzelpersonen, sich nicht mehr auf traditionelle Medien zu stützen; jedem, auch Verschwörungstheoretikern, wird dieselbe Legitimität wie traditionellen Medien verliehen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden und eigene Geschichten zu verbreiten. Diese »Demokratisierung« der Information bedeutet, dass auch Verschwörungstheoretiker den Status einer »vertrauenswürdigen Quelle« beanspruchen können, während der Filter kritischer Faktenprüfung und redaktioneller Verantwortung durch etablierte Medienkanäle entfällt und so jeder Einzelne seine eigenen »Wahrheiten« verbreiten kann. Durch die Möglichkeit, in sozialen Medien und auf anderen digitalen Plattformen selbst zu veröffentlichen, können Verschwörungstheoretiker eine treue Anhängerschaft aufbauen, von der ihre Ansichten nicht nur gehört, sondern auch in den virtuellen Echokammern verstärkt werden.
Ein Beispiel hierfür ist Substack, eine 2017 gegründete Plattform für Newsletter, die sich selbst als Bastion der Höflichkeit vermarktet und ihren politischen Einfluss stetig erweitern zu können scheint. Den guten Vorsätzen zum Trotz ist Substack jedoch zu einem Nährboden für weißes Vorherrschaftsdenken und Antisemitismus geworden. Obwohl die Nutzungsbedingungen von Substack Hass verbieten, lehnt die Führung des Unternehmens eine Moderation von Inhalten, wie andere Plattformen sie betreiben, ab. Deshalb können auch Autoren ungestört auf Substack publizieren, die unverhohlen nationalsozialistische Rhetorik verbreiten. Sie machen mit Sicherheit nur einen kleinen Teil der laut Axios mehr als 17.000 bezahlten Autoren aus, die auf der Webseite publizieren, ihre Wirkung darf aber nicht unterschätzt werden.
Nach dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 gab es geradezu eine Explosion hasserfüllter, antisemitischer Beiträge auf sozialen Medien. So war auf Telegram ein Anstieg antisemitischer Beiträge um 433,76 Prozent zu verzeichnen. Statt durchschnittlich 238,12 wie in der Zeit davor, wurden danach 1.271 antisemitischer Postings täglich veröffentlicht, wie die Anti-Defamation League (ADL) berichtete.
Dies wird durch die Algorithmen der Plattform und die minimalen Funktionen zur Moderation von Inhalten und zum Datenschutz begünstigt, die extremistische Gruppen anziehen. Die jüngsten Aktualisierungen der Datenschutzrichtlinien von Telegram, die darauf abzielen, illegale Inhalte wie Terrorismus und Kinderpornografie einzudämmen, werden von Experten als unwirksam erachtet. Die Flut an gewalttätigen und antisemitischen Inhalten, in denen beispielsweise in Videos das Massaker vom 7. Oktober gefeiert wird, wurde dadurch jedenfalls nicht gestoppt.
Humor als Waffe?
Die Bekämpfung antisemitischer Propaganda ist ein harter Kampf, da sie über zahlreiche Quellen verbreitet wird, von Social-Media-Plattformen bis hin zu Merchandise-Artikeln, die alle mit minimalem Aufwand den Hass verstärken. Das Bullshit-Asymmetrie-Prinzip bzw. das Brandolini-Gesetz unterstreichen diese Herausforderung. Sie besagen, dass die Widerlegung von Unwahrheiten exponentiell mehr Energie erfordert als ihre Produktion.
Dieses Missverhältnis führt oft zur Erschöpfung derjenigen, die gegen Hass ankämpfen, da die schiere Menge an Inhalten – von Nicholas Fuentes’ lukrativen Streams bis hin zu Candace Owens’ provokativen Shows und Kanye Wests Nutzung seiner Popstar-Qualitäten, um Nazi-T-Shirts zu verkaufen – und das Ausmaß an Kraft und Ressourcen überfordern, das zu deren Bekämpfung erforderlich ist. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Intensiver öffentlicher Gegendruck droht, die Sichtbarkeit antisemitischer Narrative sogar noch zu verstärken und ihnen zu mehr Verbreitung zu verhelfen, als sie ohne ihn erlangen könnten.
Was also kann getan werden? Da Lösungen wie die Online-Zensur ihre Tücken haben – wer wacht über die Wächter? –, könnte Humor eine Möglichkeit bieten, hasserfüllten und antisemitischen Narrativen in einem leicht verdaulichen, viralen Format entgegenzutreten (wobei darauf zu achten ist, die vom Antisemitismus ausgehende Bedrohung nicht zu verharmlosen). Satirische Inhalte wie bestimmte YouTube-Sketche können Verschwörungstheorien effektiv entlarven, indem sie deren Absurdität hervorheben. Dies erinnert an die historische Verwendung von Humor zur Bekämpfung des Antisemitismus, die immer schon darauf gebaut hat, seinen wahnhaften Kern zu durchdringen und seine hasserfüllten Lügen bloßzustellen. Es gibt viel zu lernen, wenn man an Charlie Chaplins Film Der große Diktator oder den schwarzen Humor dieser Anekdote aus den 1930er Jahren denkt:
Ein Rabbiner in Deutschland las die Nazi-Zeitung Der Stürmer. Ein Gemeindemitglied kam erstaunt auf ihn zu und sagte: »Rabbi, wie können Sie dieses Nazi-Blatt lesen, das voller Verleumdungen der schlimmsten Art ist? Sind Sie eine Art Masochist oder, Gott bewahre, ein sich selbst hassender Jude?«
»Im Gegenteil«, antwortete der Rabbi. »Als ich früher die jüdischen Zeitungen las, erfuhr ich nur von Pogromen, Unruhen in Palästina und Assimilation in Amerika. Aber jetzt, wo ich den Stürmer lese, sehe ich, dass die Juden alle Banken kontrollieren, dass wir in der Kunstwelt und im Kino alle Fäden in der Hand haben und wir kurz davorstehen, die ganze Welt zu übernehmen. Wissen Sie, das gibt mir ein viel besseres Gefühl!«
Differenziertes Vorgehen
Die Monetarisierung antisemitischer Verschwörungstheorien ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch eine erhebliche gesellschaftliche Bedrohung. Sie nutzt die schlimmsten Aspekte der menschlichen Natur für den persönlichen Vorteil und die Finanzierung von Hassgruppen aus. Der Kampf gegen die Ausbeutung von Social-Media-Plattformen erfordert einen vielschichtigen Ansatz: Einzelpersonen müssen wachsam bleiben, Technologieunternehmen müssen rationale Antworten liefern, und es muss vertrauenswürdige gesetzliche Rahmenbedingungen geben, um diese Plattformen als Räume für echten Austausch und freie Meinungsäußerung zu erhalten, anstatt sie zu Brutstätten des Hasses zu machen.
Die Lösung dieses Problems erfordert eine differenzierte Strategie, die das komplizierte Gleichgewicht zwischen der Bekämpfung von Hassreden und der Wahrung der Meinungsfreiheit im digitalen Raum anerkennt. Dazu gehört das Bewusstsein darüber, dass mit Freiheiten auch Verantwortung einhergeht und darauf geachtet werden muss, dass die ergriffenen Maßnahmen nicht versehentlich zu Zensur oder zur Unterdrückung eines legitimen Diskurses führen.
(Irene Kuruc hat Abschlüsse in internationalem öffentlichem Recht, Terrorismusbekämpfung und Heimatschutz und arbeitete vor Kurzem als Beraterin für das Simon Wiesenthal Center mit Schwerpunkt auf Großbritannien und Irland.)