Von Thomas Eppinger
Die Bundesrepublik Deutschland antwortete auf die Ermordung ihrer Eliten mit aller Härte. Sie nutzte den Spielraum, den der Gesetzgeber in einem Rechtsstaat hat, bis an seine Grenzen. Manche sind der Ansicht, noch etwas darüber hinaus. Die Einführung der Rasterfahndung ermöglichte den Behörden erstmals, die Personen unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten zu überprüfen. Autofahrer, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Straße fuhren, Wohnungsmieter, die Strom und Miete bar bezahlten, jeder konnte ins Netz der Terrorfahnder geraten. Der Radikalenerlass verbot die Beschäftigung von ‚Verfassungsfeinden‘ im Öffentlichen Dienst, was für kommunistische Lehrer oder Lokführer praktisch einem Berufsverbot gleichkam. Die ‚Bildung krimineller Vereinigungen‘ und die Mitgliedschaft darin wurden unter Strafe gestellt. Damit konnten auch jene Personen verurteilt werden, denen man vor Gericht keinen konkreten Tatbeitrag zu einer Straftat nachweisen konnte. Schon die Mitgliedschaft in der RAF war strafbar.
Der Staat ging auf allen Ebenen gegen die RAF und deren Sympathisanten vor. Der deutsche Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Gusy beschrieb die Strategie Deutschlands vor zehn Jahren in einem Interview mit der Bundeszentrale für Politische Bildung und hob dabei vor allem die Maßnahmen außerhalb des legislativen und polizeilichen Rahmens hervor:
„Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ist keine Aufgabe allein des Rechts oder gar der Polizei. Im Gegenteil: Ein paar zu allem entschlossene Gegner können einen demokratischen Rechtsstaat mittelfristig nicht existenziell gefährden. Dies kann nur gelingen, wo und wenn es in der Bevölkerung ein Umfeld gibt, in welchem die Terroristen leben können ‚wie ein Fisch im Wasser‘. Wo größere Gruppen von Menschen an die Legitimität der Ziele von Terroristen glauben, entstehen wirkliche Gefahren. Diesen ihre scheinbaren Legitimitätsgrundlagen zu entziehen, ist die vordringliche Aufgabe der Politik.“
Zusammengefasst: Um seine Spitzen zu schützen, reagierte der Staat auf den Terror mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Deutschland schöpfte alle legislativen und polizeilichen Instrumente aus und ging auf allen Ebenen gegen die Terroristen und ihre Sympathisanten vor.
Islamischer Terror funktioniert
Doch diesmal stehen nicht die Eliten im Visier der Terroristen sondern wir alle. Männer, Frauen und Kinder sind zu Zielen geworden. Auf einer Busfahrt, in einem Konzert, auf der Straße. Niemand soll sich sicher fühlen, so das Kalkül der Terroristen. Und das Kalkül geht auf. Der islamische Terror hat längst unseren Alltag verändert. Wir haben uns an die endlosen Sicherheitsprozeduren vor Flugreisen ebenso gewöhnt wie daran, darauf zu achten, nur ja den Islam nicht zu beleidigen. Keine Zeitung in Europa würde heute mehr die Mohammed-Karikaturen veröffentlichen, zu groß ist das Risiko geworden.
Der Terror der RAF war erfolglos. Nicht zuletzt, weil der Staat entschieden gegen die Täter und deren Sympathisanten vorging. Der Terror der Islamisten ist erfolgreich. Nicht zuletzt, weil der Staat gegen die Täter und deren Sympathisanten in einer Art und Weise vorgeht, die potenzielle Täter schützt, während sie potenzielle Opfer in ihrer Lebensführung beeinträchtigt. Ausnahmslos alle Attentäter der letzten Monate waren den Behörden bekannt. Sie wussten von deren Gewalttätigkeit, wussten von ihrer Zugehörigkeit zur islamischen Community, die meisten wurden sogar als „Gefährder“ eingestuft, also als potenzielle Terroristen.
Wozu neue Gesetze zur Internet-Kontrolle, wenn die bisherige Überwachung ohne Folgen bleibt, fragt man sich da als Steuerzahler und potenzielles Anschlagsopfer. Wie kommen unsere Regierungen angesichts dieses Staatsversagens dazu, uns nach jedem neuen Anschlag aufs Neue die selben abgedroschenen Floskeln zuzumuten?
Der Staat schützt seine Bürger nicht
Wenn seine Eliten angegriffen werden, fährt der Staat alle Geschütze auf. Wenn seine Bürger angegriffen werden, heißt es, das gehöre eben zum normalen Lebensrisiko. Und überhaupt sei es wahrscheinlicher, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen. Stimmt. Galt aber auch schon für Buback, Ponto und Schleyer. Nur dass die Empörung grenzenlos gewesen wäre, hätte man deren Ermordung mit denselben Phrasen verniedlicht, mit denen Regierungschefs nun die Ermordung ihrer Bürger kommentieren. Denn erschossen zu werden gehört eben nicht zum normalen Berufsrisiko eines Vorstandsvorsitzenden. Genauso wenig, wie es zum normalen Lebensrisikos eines Mädchens gehört, bei einem Konzert in die Luft gesprengt zu werden.
Friedlich waren die meisten Linken in den 1970er Jahren auch. Das hat den Staat nicht davon abgehalten, das ideologische Umfeld der Terroristen mit allen gerade noch rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Als es um seine Spitzen ging, wusste der Staat, dass er gefährdet ist, wenn es für Terroristen ein Umfeld gibt, in dem sie „leben können wie ein Fisch im Wasser“. Und die islamischen Terroristen leben in ihren Communities wie der Fisch im Wasser, nur dass sich ihr Habitat zu jenem der RAF verhält wie der Traunsee zum Atlantik.
Würde der Staat mit ähnlicher Entschlossenheit gegen die Terroristen vorgehen, die seine Bürger bedrohen, wie er gegen die Terroristen vorgegangen ist, die seine Eliten bedroht haben, hätte er Muslimbrüder und Salafisten längst als „kriminelle Vereinigung“ klassifiziert und die Mitgliedschaft unter Strafe gestellt. Dann würde er Betätigung für den Politischen Islam genauso ahnden wie nationalsozialistische Wiederbetätigung. Er würde die paar tausend ‚Gefährder‘ aus Europa ausweisen oder, wenn das nicht möglich ist, inhaftieren. Er würde amtsbekannte Extremisten und Agitatoren mit Fußfesseln ausstatten und ihnen bei Strafe verbieten sich zu versammeln – was man problemlos automatisiert überwachen könnte. Imame, die nicht auf dem Boden der Verfassung stehen, hätten längst Berufsverbot, islamistische Kindergärten wären längst geschlossen.
Ja, der eine oder andere wäre vielleicht von subjektiv inadäquaten Maßnahmen betroffen. Aber die Europäische Union beschäftigt die bestausgebildeten Beamten der Welt, die mit einiger Sicherheit effektive und rechtsstaatliche Richtlinien entwickeln könnten, hätte der Schutz der Bürger ähnlich hohe Priorität wie Toaster und Glühbirnen. Ein britischer Forscher über Internationale Beziehungen, der gebürtige Inder Sumantra Maitra, bringt in einem bemerkenswerten Aufsatz auf den Punkt, wie brisant es ist, wenn der Staat beim Schutz seiner Bürger versagt:
„Die primäre Pflicht eines Staates ist es, seine Bürger zu beschützen. Sonst nichts. … Sicherheit für jene zu sicherzustellen, die Steuern zahlen. Wenn ein Staat daran scheitert, greifen die Bürger selbst zu den Waffen. Und, glaubt mir, das wollt Ihr in Eurem Land nicht sehen.“