Die innenpolitisch für Israel brisanteste angebliche Enthüllung aus den geleakten Pentagon-Dokumenten beruht vermutlich auf einem dummen Fehler.
Die Veröffentlichung von rund hundert Seiten an geheimen Unterlagen aus dem amerikanischen Verteidigungsministerium, viele mit Bezug zum russischen Krieg gegen die Ukraine, sorgt auch in Israel für Aufregung. In den Dokumenten, die dem Pentagon dem Anschein nach nicht von außen gestohlen, sondern von innen an die Öffentlichkeit gespielt wurden, wird Israel im Zusammenhang mit zwei Themenbereichen erwähnt.
Waffen für die Ukraine?
Von größerer internationaler Relevanz ist ein Dokument, in dem diskutiert wird, wie Israel dazu gebracht werden könne, der Ukraine auch Waffen zu liefern. Israel vollführt seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine bekanntlich einen Balanceakt: Einerseits hat es den russischen Angriff verurteilt, andererseits ist es darauf bedacht, Russland nicht allzu sehr zu verärgern, um die eigene relative Bewegungsfreiheit in Syrien zu erhalten. Deshalb hat Israel sich nicht an vielen der westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligt und beschränkt seine Unterstützung für die Ukraine auf humanitäre Hilfe, liefert trotz intensiver Bitten aus Kiew also keine Waffen.
In dem als streng geheim eingestuften Dokument vom 28. Februar 2023 wird diskutiert, dass Israel von seinem Nein zu Waffenlieferungen abgehen könnte, wenn entweder seitens der USA entsprechender Druck ausgeübt wird, oder aber sich die russisch-israelischen Beziehungen aus anderen Gründen so verschlechtern, dass Israel keine Rücksichten mehr auf Russland nehmen müsste.
Im Hinblick darauf werden in dem Geheimdokument drei Szenarien angeführt: Israel könnte seine Haltung zu Russland überdenken, wenn Moskau strategische Waffensysteme an den Iran liefere oder das iranische Atomwaffen- und Raketenprogramm verstärkt unterstütze; wenn es amerikanische Rückendeckung für militärische Operationen gegen das iranische Atomprogramm brauche und deshalb empfänglicher für amerikanische Bitten um Waffenlieferungen an die Ukraine wäre; oder wenn Russland seine in Syrien stationierten modernen Luftabwehrsysteme gegen israelische Kampfjets einsetzen und sich damit israelischen Operationen gegen den iranischen Einfluss in Syrien in den Weg stellen würde.
Israel hat sich zu dem Dokument offiziell nicht geäußert. Inoffiziell heißt es in Jerusalem nur, dass Israel an ausschließlich humanitären Hilfen für die Ukraine festhalten werde, weil es seine strategischen Interessen in Syrien im Auge haben müsse.
Hat der Mossad zu Protesten aufgerufen?
Für größere innenpolitische Aufregung in Israel sorgt die in den Geheimdokumenten zu findende Behauptung, die Führung des Mossads, Israels berüchtigtem Auslandsgeheimdienst, habe Mossad-Mitarbeiter und allgemein israelische Bürger dazu ermuntert, an den im Land stattfindenden Antiregierungsdemonstrationen teilzunehmen. Die Information geht auf einen CIA-Bericht von Anfang März zurück, sie sollen auf sogenannter SIGINT beruhen, also auf abgefangener Kommunikation (»Signals Intelligence«). Das Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu stellte am Sonntag dazu fest, diese Behauptungen seien »völlig falsch und absurd«.
Auch wenn das geheime Dokument nicht als Fälschung, sondern als authentisch betrachtet wird, bedeutet das nicht, dass sein Inhalt zutreffend ist. Nach Ansicht vieler Experten ist hier große Skepsis angebracht. Eine der Grundregeln des Mossad lautet, überparteilich zu agieren und sich nicht in die israelische Innenpolitik einzumischen.
Richtig ist, dass Mossad-Mitarbeiter bei der Führung nachgefragt haben, ob sie, gewissermaßen als Privatpersonen und Bürger, zu Demonstrationen gegen die Justizreform gehen dürften. Laut New York Times habe Mossad-Chef David Barnea die Teilnahme von Mitarbeitern niederer Ränge gestattet, solange diese sich nicht als Mossad-Mitglieder zu erkennen geben würden.
Bekannt ist auch, dass mehrere hundert ehemalige Mossad-Mitarbeiter, darunter fünf frühere Leiter der Organisation, sich in einer öffentlichen Erklärung gegen die Justizreform der Regierung ausgesprochen haben. Um all das zu wissen, bedurfte es freilich keines Geheimdienstwissens – man musste nur israelische Medien lesen, die über die kritischen Stellungnahmen aus dem Sicherheitsapparat und die Demonstrationserlaubnis für Mossad-Mitarbeiter ausgiebig berichteten.
In Israel wird vermutet, dass die CIA einfach einen dummen Fehler und aus der »Erlaubnis« der Mossad-Führung, an Demonstrationen teilzunehmen, eine »Ermutigung« gemacht hat.
Für Verärgerung sorgt diese Dummheit in Israel vor allem, weil sie Wasser auf den Mühlen von manchen Vertretern des Regierungslagers ist, die schon seit geraumer Zeit versuchen, die Demonstrationen als Ergebnis finsterer Machenschaften eines »tiefen Staates« und des Auslands zu diskreditieren – eine absurde Verschwörungstheorie, der durch die geleakten US-Dokumente jetzt Nahrung verliehen werde.