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Gedenkdienst in Yad Vashem: Fundament einer neuen Beziehung

Vorstandsvorsitzender von Yad Vashem Dani Dayan in der Diplomatischen Akademie Wien am 30. August 2022
Vorstandsvorsitzender von Yad Vashem Dani Dayan in der Diplomatischen Akademie Wien am 30. August 2022 (Copyright: Daniel Schuster)

Der vom österreichischen Staat ermöglichte Freiwilligendienst an der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist ein symbolträchtiger und versöhnender Baustein der Beziehung zwischen Österreich und Israel.

Daniel Schuster

Yad Vashem ist Israels Gedenkstätte für die Opfer des Holocausts. Sie dient der Erinnerung an die Gräueltaten der Nationalsozialisten, dem Gedenken der Opfer, der Würdigung jener, die Widerstand leisteten sowie Opfer halfen, und der Erforschung der Shoah und anderer Genozide. Die Absicht ist beizutragen, Ähnliches in Zukunft zu verhindern.

Seit 1994 entsendet Österreich Gedenkdiener für einen Zivilersatz- oder Freiwilligendienst nach Yad Vashem. Die Gedenkdiener arbeiten hauptsächlich für das Archiv und digitalisieren Dokumente, die mit dem Nationalsozialismus zusammenhängen. Sie lesen originale Unterlagen, filtern nach Schlüsselwörtern wie Personennamen und Orte und schreiben Zusammenfassungen der Inhalte. Dadurch unterstützen sie die Digitalisierung des Archivs von Yad Vashem, um mehr des Archivmaterials online zugänglich zu machen. 

Führt jemand Recherchen zu Personen oder Orten in der Datenbank von Yad Vashem durch, findet er unter anderem die Beiträge von den Gedenkdienern. Ein übergeordnetes Ziel ist es, jedes Opfer zu erfassen, ihm den Namen (zurück)zugeben und sein Schicksal in groben Zügen zu rekonstruieren.

In Israel ist Yad Vashem ein Symbol und eine Art Heiligtum. Daher besuchen internationale Politiker und andere offizielle Gäste meist auch diese Stätte als Teil ihres Besuchs, um ihren Respekt für die Erinnerung an die Opfer der Shoah auszudrücken. Als ehemaliger Gedenkdiener in Yad Vashem erinnere ich mich an Besuche vom damaligen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, von Außenministerin Ursula Plassnik und dem niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll.

Die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialsten und das Gedenken an die Opfer ist für Israelis unverhandelbar. Genau dadurch eröffnet dieses Thema jedoch Perspektiven für Kooperation, Dialog und Freundschaft. Das Thema verdient aus offensichtlichen Gründen Anerkennung, Respekt und einen andachtsvollen Umgang. Wird diesem entsprochen, ist es ein Anfangspunkt für die Vertiefung von Beziehungen.

Persönliche Erfahrungen

Aus persönlicher Erfahrung weiß ich von der Bedeutung eines Gedenkdienstes in Yad Vashem für jüdische Israelis. Sie waren jedes Mal berührt, als sie erfuhren, wo ich arbeitete und was ich tat. Noch mehr waren sie beeindruckt, dass ich dies als Teil eines vom Staat Österreich unterstützten Programms machte und von der Republik als Ersatz für einen Zivildienst in Österreich anerkannt wird. Sie verstanden dadurch, dass auch Österreich als Staat den Stellenwert von Yad Vashem respektiert und seine Mission unterstützt. Sie verstanden den Gedenkdienst als den Ausdruck einer Entschuldigung und Übernahme von Verantwortung für Geschehenes, was sie ausnahmslos schätzten.

Der Gedenkdienst versucht (großteils) junge Menschen eine umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Thema in Form von Konferenzen, Seminaren, Studienreisen, Film-, Literaturclubs und -tipps, Veranstaltungshinweisen, Interessengruppen und Alumni-Einbindung zu bieten. Darüber hinaus bietet er die Möglichkeit eines zehnmonatigen Dienstes in zum Beispiel Yad Vashem, dem Auschwitz Jewish Center oder dem Melbourne Holocaust Museum an. Ein Schwerpunkt der Vorbereitung ist die Vermittlung, dass es sich beim Gedenkdienst nicht nur um Theoretisches oder Akademisches handelt, sondern noch mehr um Menschliches.

In Yad Vashem zu arbeiten bedeutete damals für mich, plötzlich von vielen Holocaust-Überlebenden umgeben zu sein, Gelegenheiten zu haben, weltweit anerkannte Historiker kennenlernen zu können, intellektuell in ein emotional packendes Thema einzutauchen, in Ansätzen als Historiker zu arbeiten und in Jerusalem zu leben. Es bedeutete Teil von etwas viel Größerem als mich selbst zu sein. Meiner Einschätzung nach verstehen Gedenkdiener die Bedeutung und Symbolhaftigkeit ihres eigenen Dienstes während ihrer Zeit im Ausland in nur begrenztem Umfang. Dieser dämmert ihnen im Verlauf der Zeit jahrelang nach Ende ihres Gedenkdienstes.

Zwischenstaatliche Relevanz

Neben der Förderung der Gedenkdiener in ihrer Persönlichkeitsentwicklung werden durch einen Gedenkdienst Einsatzstellen in ihren Aktivitäten durch Freiwillige oder Zivilersatzdiener aus Österreich unterstützt. Dabei kommt es immer wieder zu besonderen Begegnungen. Jayne Josem, Direktorin des Melbourne Holocaust Museums, sagte in einem Panelgespräch am 31. August 2022 in der Diplomatischen Akademie Wien, es sollte nicht unterschätzt werden, was die Gedenkdiener vor Ort bewirken, wenn Holocaust-Überlebende oder deren Nachfahren junge Österreicher als Teil des Gedenkdienst-Programms kennenlernen und manchmal sogar Freundschaften schließen.

Als Gedenkdiener in Yad Vashem machte ich einige Interviews mit Holocaust-Überlebenden. Eines davon war mit Saba Feniger, die 21 Familienmitglieder in der Shoah verloren hatte und in Jerusalem lebte. Ich erinnere mich noch an ihre Antwort auf meine Frage, was sie zu Holocaust-Leugnern sage. Die Antwort lautete: »Die sollten mir doch erklären, wo die ganzen verschwundenen Menschen hin sind?«

Der Gedenkdienst hat auch eine zwischenstaatliche Relevanz. Der israelische Botschafter in Österreich, Mordechai Rodgold, empfängt die Israel-Kandidaten vor ihrer Entsendung jährlich in der israelischen Botschaft in Wien. Dieser Empfang bietet ihnen eine Gelegenheit, über Israel zu lernen sowie den Botschafter selbst persönlich auch ein wenig kennenzulernen. Es ist sein Ausdruck für die Wertschätzung Israels für das Programm.

Der Vorstandsvorsitzende von Yad Vashem, Danny Dayan, erzählte in seiner Rede in der Diplomatischen Akademie Wien am 30. August 2022 zum 30-jährigen Gedenkdienst Jubiläum, bereits viele Male nach Österreich (und Deutschland) eingeladen worden zu sein, diese Einladungen bisher jedoch nie angenommen zu haben. Die erste Einladung nach Österreich, die er beschloss anzunehmen, war zur Feierlichkeit des 30-jährigen Jubiläums des Gedenkdienst-Programms. »Es ist, um die Idee des Gedenkdienstes zu würdigen, dass ich das erste Mal in meinem Leben nach Österreich gekommen bin«, sagte er in seiner Rede und berichtete von seinen persönlichen Begegnungen mit Gedenkdienern.

Zusammengefasst hat der Gedenkdienst große persönliche Relevanz für die Teilnehmenden selbst, für die Einsatzstellen, die sie unterstützen, für die Menschen, die sie vor Ort treffen, für die Republik Österreich und ihre internationalen Beziehungen sowie für die österreichische Gesellschaft. Das Programm trägt die Zentralität von Holocaust-Erinnerung weiter und ist darum bemüht, die Teilnehmer für die Lektionen der Shoah zu sensibilisieren.

Der Gedenkdienst ist ein symbolträchtiger Baustein der Beziehung zwischen Österreich und Israel. Dass die Erinnerung an die Gräueltaten und Anerkennung der Opfer der Shoah als konstruktives Fundament einer neuen Beziehung nicht auf Österreich und Israel begrenzt ist, zeigt das Beispiel des palästinensischen Professors und Friedensaktivisten Mohammed S. Dajani Daoudi, der palästinensische Studenten auf Studienreisen nach Auschwitz führt, sich gegen Antisemitismus unter Arabern sowie für ein besseres Verständnis der jeweiligen Narrative und Schicksale in der anderen Bevölkerungsgruppe zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern einsetzt. Für seine Arbeit und seinen Mut erhielt er den Simon-Wiesenthal-Preis 2022 im österreichischen Parlament.

Kein Selbstzweck

Holocaust-Erinnerung ist kein Selbstzweck. Sie ist mehr als vergangenheitsgerichtet. Ohne Anerkennung historischer Tatsachen, ohne der Akzeptanz von Gräueltaten als Gräueltaten, ist eine authentische Friedensfindung zwischen Gruppen mit belasteter Vergangenheit kaum möglich. Es geschieht durch die Anerkennung der Würde der Opfer, durch das Zurückgeben von Namen an Einzelpersonen, durch den Respekt vor historischer Wahrheit sowie der Übernahme von Verantwortung, dass ein nachhaltiges Fundament einer gesellschaftlichen Friedensfindung gelegt wird. Sich auf eine ethische Evaluierung des Holocausts grundsätzlich zu einigen, sollte für alle Menschen der Welt möglich sein. Somit kann er zu einer gemeinsamen Basis zukünftiger konstruktiver Entwicklungen werden. 

Die Beziehung zwischen Österreich und Israel wurde durch ein gemeinsames Verständnis bereits bedeutend bereichert. Der Gedenkdienst in Yad Vashem ist ein konkreter Beitrag dazu. Erinnerung an den Holocaust ragt im Effekt jedoch weit über die österreichisch-israelischen Beziehungen hinaus und schenkt Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Mit Yad Vashem als Hauptgedenkstätte der Welt kann und sollte auf Basis der Lektionen des Holocausts eine neue, friedlichere Welt entwickelt werden.

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