Die Reaktionen im Gazastreifen auf die Tötung des Hamas-Chefpropagandisten Abu Obeida durch Israel, zeigen dass offene Kritik am Führungspersonal der Terrorgruppe immer mehr Raum gewinnt.
Mohammed Altlooli
Lokale und internationale Medien sowie Aktivisten in den sozialen Medien verbreiteten am Samstag die Nachricht, dass Abu Obeida, der militärische Sprecher der Al-Qassam-Brigaden der Hamas, bei einem israelischen Luftangriff auf Gaza getötet worden sei. Während die israelische Armee unmittelbar nach dem Luftschlag bekannt gab, ihn tatsächlich ins Visier genommen zu haben, erklärte Israels Verteidigungsminister Israel Katz am Sonntag, dass der Chefpropagandist der Hamas, Hudhayfah Kahlout alias Abu Obeida am Vortag bei einem gezielten Tötungseinsatz der Israelischen Verteidigungstreitkräfte (IDF) und des Sicherheitsdienstes Shin Bet getötet worden war.
Die IDF teilten am Samstagabend mit, einen »wichtigen Hamas-Terroristen« im Gebiet von Gaza-Stadt eliminiert zu haben, nachdem erste Berichte über die Tötung von Abu Obeida eingegangen waren. Abu Obeida, so die Erklärung, »war einer der letzten verbliebenen hochrangigen Terroristen des militärischen Flügels der Hamas aus der Zeit vor dem 7. Oktober 2023«. Eine palästinensische Quelle informierte den saudischen TV-Sender Al Arabiya am Sonntagmorgen über die Tötung des Propagandachefs, der sich in der Öffentlichkeit nie unmaskiert gezeigt hatte.
Am 25. Oktober 2023 hatte die arabische Medienabteilung der IDF-Pressestelle die Identität von Abu Obeida bekanntgegeben und ihn als Hudhayfah Kahlout enttarnt. »Hudhayfah Kahlout, Sie sind entlarvt worden«, twittert der Leiter der arabischen Medienabteilung Avichay Adraee und teilte ein Video, das Kahlouts Gesicht zeigte. »Er und andere Hamas-ISIS-Führer verstecken sich gerne in Tunneln und hinter Frauen und Kindern sowie hinter Masken und Schatten. Es ist Zeit, mit dem Vertuschen aufzuhören. Die Maske und die Keffiyeh werden dir nicht helfen.«
Am Freitag noch drohte der vierzigjährige Abu Obeida als Reaktion auf den IDF-Plan, Gaza-Stadt einzunehmen, mit dem Tod der als menschliche Schutzschilde verwendeten israelischen Geiseln und erklärte, die Terrororganisation werde die Gefangenen »solange wie möglich« zusammen mit ihren Kämpfern festhalten. Er warnte, dass »die feindliche Armee mit dem Blut ihrer Soldaten bezahlen werde« und drohte mit weiteren Entführungen. Die Hamas sei »in Alarmbereitschaft, hat eine hohe Moral und wird den Invasoren eine harte Lektion erteilen«.
Here's how the 10/7 narrative shifts over time to whitewash Hamas. Now the @nytimes is not sure all or even one of Sinwar, Deif & Haniyeh orchestrated 10/7. It's only an unverified claim. Who could have planned it? We just don't know. pic.twitter.com/rTD9fVuSJY
— Aizenberg (@Aizenberg55) September 1, 2025
Zynismus und Mut
Trotz der bis Sonntag herrschenden Unklarheit, ob Abu Obeida nun wirklich getötet worden war oder nicht, waren die unmittelbar erfolgten öffentlichen Reaktionen innerhalb des Gazastreifens bemerkenswert. Viele Einwohner griffen zu Satire, um ihre aufgestaute Wut gegenüber der Hamas-Führung und ihrer Kriegspolitik zum Ausdruck zu bringen.
Einige Bewohner Gazas fragten bitter: »Wie viele Zivilisten wurden wegen ihm getötet?«, was als Anspielung auf seine militaristischen Propagandareden, welche die Spannungen verschärften und zu hohen zivilen Opfern beitrugen, zu verstehen ist. Andere bemerkten als Kritik an der Nutzung von Wohngebieten als menschliche Schutzschilde durch die Hamas: »Warum versteckt er sich hinter Zivilisten?« Zynische Kommentare verbreiteten sich schnell: »Er ist weg … aber er hat Tausende Unschuldige mitgenommen!«
Diese Welle der Satire und des Zynismus war nicht nur Ausdruck schwarzen Humors, sondern auch Zeichen für eine sich verändernde Stimmung. Zum ersten Mal seit Jahren wagten es die Menschen, die Hamas-Führer offen zu kritisieren, was zuvor wegen der Gefahr, verhaftet oder sogar gefoltert zu werden, fast undenkbar war.
Abu Obeida war lange Zeit ein Propagandasymbol der Hamas; seine aufgezeichneten Audio-Erklärungen waren eines der wichtigsten Instrumente der Gruppe zur Mobilisierung und psychologischen Kriegsführung. Dementsprechend wirft die Nachricht über seinen Tod innerhalb des Gazastreifens Fragen auf, die sich die Menschen nun offen zu äußern wagen:
- Warum leben die Führer im Untergrund im Schutz der Tunnel, während die Zivilisten den höchsten Preis zahlen?
- Wie lange wird die Bevölkerung noch als Puffer zwischen der Hamas und dem israelischen Militär benutzt werden?
Im Unterschied zu früher richtete sich die Kritik diesmal nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die Führung der Hamas selbst. Seit Beginn des Kriegs hat Israel die Hamas beschuldigt, von Krankenhäusern, Schulen und dicht besiedelten Gebieten aus zu operieren, weswegen in jeder Kampfrunde die Zivilisten die Hauptlast der Verluste trugen.
Die Nachricht über Abu Obeidas Tod gab den Menschen die seltene Gelegenheit, lange vermiedene Fragen laut zu stellen: Wer schützt wen? Schützt die Hamas die Zivilisten, oder schützt sie sich selbst mit Zivilisten, die zum Wohl der Terrorbewegung geopfert werden?
Festzuhalten bleibt, dass die öffentliche Reaktion auf die Nachricht von seinem Tod zu einem politischen Ereignis wurde. Die Menschen nutzten Satire und Zynismus, um die Mauer der Angst zu durchbrechen. Das ist ein Zeichen dafür, dass offene Kritik am Führungspersonal der Hamas auf den Straßen von Gaza immer mehr Raum zu gewinnt.
Waren Abu Obeidas Reden immer dazu gedacht, die Moral des »Widerstands« zu stärken, hat sein Schweigen nun die Tür zu einer neuen Debatte im Gazastreifen geöffnet, nämlich einer Debatte über die wahren Kosten einer möglichen fortgesetzten Herrschaft der Hamas.
Mohammed Altlooli ist palästinensischer Bürgerrechtler und Gründer der Temporary Palestinian Civil Affairs (TPCA).






