Wie NATO-Militärexperten die israelische Kriegsführung im Gazastreifen einschätzen und die Tunnel als Schlüssel zum Verständnis der Hamas-Kriegsführung ansehen.
Rolene Marks
»In diesem Krieg geht es aus militärischer Sicht nur um die Tunnel. Sie werden für die Waffenherstellung, als Lager und für Truppenbewegungen genutzt. Die goldene Regel für jedes Militär ist die Manövrierfähigkeit«, so der britische Militärexperte Andrew Fox.
Auf die enormen Schäden in den Stadtvierteln von Gaza, die viele in der internationalen Gemeinschaft empört haben, angesprochen, meinte er, Bilder von Schäden würden im Informationskrieg eingesetzt, was immer eine starke internationale Reaktion hervorrufe; doch um vollständig zu verstehen, was über der Erde geschieht, muss man unter sie schauen: »Die Tunnel sind ein eigenes Waffensystem. Sie werden als Verstecke betrachtet, als eine Möglichkeit, den Luftangriffen des israelischen Militärs zu entgehen – und das sind sie auch. Aber sie sind viel mehr als das.«
»Um die Tunnel zu zerstören, muss man das zerstören, was sich darüber befindet«, erklärte Fox und fügte hinzu, die Hamas sei in der Lage, diese Tatsache als Waffe einzusetzen, um die internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, Druck auf Israel auszuüben und es zum Aufgeben zu bewegen, was früher schon funktioniert habe. »Jeder Tunnel ist mit jeder Moschee, jedem Krankenhaus und jeder Schule verbunden, sodass der Schaden über der Erde angerichtet wird.«
Experte im Anti-Terrorkampf
Der Militärexperte absolvierte drei Einsätze in Afghanistan, darunter einen in Verbindung mit den Spezialeinheiten der US-Armee, und diente in Bosnien, Nordirland und im Nahen Osten. Aktuell ist er Dozent an der Royal Military Academy Sandhurst sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Henry Jackson Society tätig, wo er sich auf Verteidigung, den Nahen Osten und Desinformation konzentriert.
Seit Beginn des Gazakriegs am 7. Oktober hat Fox Israel mehrfach besucht und viel Zeit mit der israelischen Armee im Gazastreifen verbracht. Unlängst war er mit einer Gruppe der High Level Military Group (HLMG) dort. Die HLMG versteht sich als »unabhängiges Gremium aus ehemaligen Generalstabschefs, hochrangigen Militäroffizieren und Kabinettsministern aus NATO-Ländern mit jahrzehntelanger Erfahrung auf höchster Ebene in Land-, Luft- und Seekonflikten und deren Rechtmäßigkeit«. Als solch unabhängiges Expertengremium hat die HLMG beim Internationalen Strafgerichtshof eine Gegenklage eingereicht, nachdem der Chefankläger Karim Khan das Gericht aufgefordert hatte, Haftbefehle gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant zu erlassen.
Gegenüber Jewish News Syndicate erläuterte Fox, was die HLMG in Israel und im Gazastreifen beobachten konnten: Vor einem Luftangriff »prüfen die IDF die Einsatzregeln, mögliche Kollateralschäden, die Anwesenheit von Zivilisten, geschützte Gebiete, die Art der Munition, das Ziel und die rechtliche Lage. Das sind alles Dinge, die wir auch umsetzen. Jeder zweite Luftangriff wird abgebrochen, weil er eine dieser sechs Normen nicht erfüllt. Das ist absolut moralisch, korrekt und legitim.«
Um Vorwürfe des Völkermords zu untermauern, müsse man einen diesbezüglichen Vorsatz nachweisen und könne keine Kommentare von Politikern in Pressekonferenzen als Beweis für eine solche Absicht heranziehen: »Armeen nehmen keine Befehle von Pressekonferenzen entgegen, sie nehmen Befehle von Kriegskabinetten und der Befehlskette entgegen«, stellt der Militärfachmann richtig.
Was das Thema der humanitären Hilfe betrifft, so sind Fox und die HLMG der Ansicht, dass Israel über die Anforderungen des Völkerrechts hinausgegangen ist, indem es Straßen gebaut und dafür gesorgt hat, dass mehr Kalorien pro Person in den Gazastreifen gelangten als vor dem Krieg. »Israel hat auch Polioimpfungen ermöglicht, Wasserleitungen repariert und die am 7. Oktober von der Hamas zerstörte Stromversorgung wiederhergestellt. Es gab mindestens 16.000 offizielle Koordinierungsabstimmungen zwischen den IDF und den Hilfsorganisationen im Gazastreifen. Hinzu kommen noch Tausende weitere«, meinte Fox unter Bezugnahme auf informelle Absprachen.
In den vergangenen Wochen kündigte die britische Regierung an, ihren Einspruch gegen mögliche IStGH-Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant zurückziehen zu wollen. Auf diese Änderung der Haltung gegenüber Israel folgte die Mitteilung von Außenminister David Lammy, dreißig von 350 Waffenexportlizenzen auszusetzen. Fox nannte diese Entscheidung eine »doppelte performative Beleidigung«. Während die nun nicht gelieferten Waffen für den Gaza-Krieg »überhaupt keinen Unterschied machen werden, wurde keiner der Schwellenwerte des humanitären Völkerrechts auch nur annähernd verletzt. Das ist nur performative Boshaftigkeit.«
Informationskrieg
In seinen Ausführungen ging Fox auch auf den Informationskrieg ein. So würden Waffengänge nicht nur auf dem Schlachtfeld vor Ort ausgetragen, sondern auch in den Medien – die diesbezüglichen Statistiken der letzten Monate seien erschütternd. »Die Medien haben der Hamas eine Plattform geboten.«
Zur Untermauerung bezog sich Fox auf eine Studie, »die fünf wichtige Medienplattformen untersuchten, darunterSky News, CNN und BBC. In hundert Prozent der Fälle zitierten sie die Todesfallstatistiken der Hamas. In 75 Prozent der Fälle erwähnten sie, dass sie von der Hamas stammten, aber nicht immer. In vier Prozent zitierten sie IDF-Statistiken. Das ist das Ausmaß des Ungleichgewichts. Ich versuche, die Wahrheit so zu sagen, wie ich sie sehe, und ich habe eine bessere Vorstellung von der Wahrheit, weil ich schon mehrmals in Israel war, weil ich vor Ort in Rafah war, weil ich mit den IDF auf allen Ebenen gesprochen habe. Ich weiß, dass es wahr ist; ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
Fox ist der Meinung, dass drei Dinge in Bezug auf diesen Krieg und die Reaktion Israels verstanden werden müssen: der 7. Oktober, die Geiselnahmen und die Tunnel. Ein Bereich, in dem die IDF sich verbessern könnten, sei die Durchführung ihrer Informations- parallel zu ihrer Militärkampagne, sagte er und fügte hinzu, dass alle westlichen Militärs von dieser Lektion profitieren könnten.
Es gebe überhaupt viele Lehren, die Militärs aus der »Operation Iron Swords« und dem Verhalten der israelischen Streitkräfte ziehen können, ist Fox der Ansicht: »Militärs werden sich mit urbaner Kriegsführung über und unter der Erde zur selben Zeit befassen müssen; mit der Frage, wie Luftstreitkräfte und Drohnen integriert werden können, mit der Koordination und anderen Faktoren, die bisher nie berücksichtigt wurden. Die Israelis mussten es während ihres Einsatzes lernen. Die IDF können die Tunnel [jetzt] viel schneller räumen als zu Beginn des Kriegs.«
Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)