Von Alex Feuerherdt
Zu Beginn dieses Jahres kündigte das Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin an, eine Dozentin, die wegen israelfeindlicher Aktivitäten in die Kritik geraten war, vorerst kein Seminar mehr leiten zu lassen. Man wolle erst die Vorwürfe gegen sie prüfen. Nun geht die Angelegenheit in ihre entscheidende Phase. Die Unterstützer der Lehrbeauftragten fahren dabei schwere Geschütze auf, ihre Kritiker dagegen gute Argumente.
Am kommenden Mittwoch wird an der Freien Universität (FU) Berlin eine große Podiumsdiskussion über die Bühne gehen. Ihr Titel: „Israelkritik und die Grenzen der akademischen Diskussionsfreiheit. Wissenschaftliche Stellungnahmen aus dem Otto-Suhr-Institut“. Die Teilnehmer sind allesamt am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU tätig, dessen Dekan wird die Moderation übernehmen. Das Institut setzt damit seine Ankündigung vom Januar um, eine Veranstaltung zu organisieren, in der es um die Fragen gehen soll, wo „die Grenze zwischen einer wissenschaftlich relevanten Kritik und einer Verunglimpfung Israels und seiner Politik verläuft“ und was „eine wissenschaftlich vertretbare von einer denunziatorischen Verwendung des Antisemitismusvorwurfs unterscheidet“. Nun ließe sich einwenden, dass dazu bereits eine große Zahl an Kommentaren, Analysen und Studien publiziert worden ist, weshalb man erstaunt darüber sein könnte, dass eine große und renommierte Hochschule wie die FU erst jetzt ihren diesbezüglichen Klärungsbedarf entdeckt und ihn intern befriedigen will. Aber vielleicht muss man auch hier den Grundsatz gelten lassen: Besser spät als nie.
Den unmittelbaren Anlass für die Podiumsveranstaltung stellen die antiisraelischen Aktivitäten der Politik-Dozentin Eleonora Roldán Mendívil dar, über die MENA-Watch zu Beginn des Jahres berichtet hatte. Ausweislich mehrerer Texte auf ihrem Blog, die sie inzwischen gelöscht hat (Screenshots finden sich unter anderem hier und hier), hält Roldán Mendívil Israel für ein Kolonialprojekt europäischer Juden, sympathisiert mit der antisemitischen BDS-Bewegung und verharmlost den palästinensischen Terror. Auch sonst unternimmt sie in Wort und Tat einiges, um den jüdischen Staat zu delegitimieren. Dazu zählen unter anderem die Verteidigung einer antisemitischen Politsekte und die Beteiligung an einem Musikvideo, in dem Israel und seine Unterstützer attackiert werden. Die Hochschulgruppe Gegen jeden Antisemitismus an der Freien Universität machte die Leitung des Otto-Suhr-Instituts (OSI) auf diese Problematik aufmerksam, die Geschäftsführung des OSI reagierte darauf mit einer Stellungnahme.
Darin heißt es, die Kritik an Roldán Mendívil betreffe „die mögliche Eignung der Dozentin für einen wissenschaftlichen Umgang mit Lehrinhalten“, weshalb das Institut sie sehr ernst nehme und ihr unverzüglich nachgehen werde. Man werde „eine wissenschaftliche Untersuchung der Vorwürfe einer israelfeindlichen oder gar antisemitischen Publikationspraxis der Lehrbeauftragten Roldán Mendívil vornehmen“, und die Dozentin erhalte zumindest bis zur Klärung der Vorwürfe keinen weiteren Lehrauftrag am OSI. Zudem werde man „in eine neuerliche Überprüfung unserer Qualitätsstandards für die Vergabe von Lehraufträgen eintreten“. Der Institutsleitung war also durchaus bewusst, dass es ein Problem gibt und dass Handlungsbedarf besteht.
Roldán Mendívil und ihre Unterstützer schießen mit großem Kaliber
Die Angelegenheit schlug rasch Wellen. In Kreisen, die Roldán Mendívil politisch nahestehen, solidarisierte man sich erwartungsgemäß mit der Lehrbeauftragten. Das Lower Class Magazin etwa – Untertitel: „Proletkultjournalismus von der Straße für die Straße“ – schrieb von „Hetze“ und von einem „rechten Angriff“ seitens „pro-kolonialer und großkapitalistischer Allianzen“ auf eine „kritische Wissenschaftlerin“ im Zuge der „ideologischen Kriegsführung pro-israelischer Gruppen“. Das Portal Die Freiheitsliebe veröffentlichte ein Interview mit Roldán Mendívil, in dem diese noch einmal genau das bestätigte, was sie zu widerlegen glaubte, und ernsthaft die Ansicht vertrat, der „Antisemitismus-Vorwurf“ ihr gegenüber diene lediglich dazu, „ein bestimmtes zionistisches Narrativ festzuschreiben“. Ferner glaubt sie, dass ihre „Israelkritik“ auf „objektiven geschichtlichen Analysen“ basiert und dass ihre Definition des Antisemitismus „materialistisch-dialektisch“ ist: „Ich verstehe Antisemitismus als den Überbegriff von historisch und geografisch spezifischen Formen von Rassifizierung und Andersbehandlung von Menschen aufgrund ihrer Zuschreibung zu einem angeblich homogenen Judentum.“ Kurz: als „antijüdischen Rassismus“.
Das soll vermutlich marxistisch und gelehrt klingen, geht an der Sache aber vollständig vorbei, schon weil es weder den Vernichtungswillen der Antisemiten erklärt – die bekanntlich glauben, die Welt von den „jüdischen Übermenschen“, dem „Anti-Volk“ erlösen zu müssen, das angeblich alles beherrscht und zersetzt –, noch den Unterschied zum Rassismus sieht, der „Untermenschen“ erfindet und aus den Augen geschafft haben will. Zudem blendet diese erschreckend simple Sichtweise völlig aus, dass der Antisemitismus sich stets äußerst wandlungsfähig gezeigt hat und in seiner „antizionistischen“, also „israelkritischen“ Variante die Transformation vom individuellen Juden auf den jüdischen Staat als Kollektivsubjekt vornimmt, wobei die Ideologeme aus dem „klassischen“ Antisemitismus übernommen werden. Dass Roldán Mendívil und ihre Gesinnungsgenossen das nicht begreifen wollen, nimmt allerdings nicht wunder. Denn Selbst- und Ideologiekritik sind ihre Sache nicht.
Eine Initiative für Kritische Lehre FU Berlin stellte derweil eine Petition auf der Plattform change.org online, in der eine „offene Diskussion“ und „keine Vorverurteilung“ von Roldán Mendívil gefordert werden und nicht weniger als siebenmal ohne jeden Beleg behauptet wird, die Dozentin werde „diffamiert“. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik findet dagegen an keiner Stelle statt. Schützenhilfe kam auch aus Israel, wo eine linke Vereinigung mit den Namen Academia for Equality, der nach eigenen Angaben „über 200 Mitglieder und Unterstützer in Israel und in akademischen Einrichtungen weltweit“ angehören, auf einer Facebook-Seite „falsche Beschuldigungen von rechten Organisationen“ gegenüber der Lehrbeauftragten beklagte. Über die Relevanz solcher Initiativen und ihrer Interventionen lässt sich gewiss trefflich streiten.
In der taz schlug sich unterdessen der Redakteur Daniel Bax auf die Seite von Roldán Mendívil und schoss mit großem Kaliber um sich. In einem Kommentar hielt er es allen Ernstes für diskutabel, Israel als „Kolonialstaat“ zu bezeichnen und ihm „Apartheid“ vorzuwerfen, das heißt: den jüdischen Staat zu delegitimieren und ihm so die Existenzberechtigung abzusprechen. Wer das nicht verhandelbar findet, will Bax zufolge keine Meinungsfreiheit, sondern trachtet bloß danach, die „Israelkritiker“ mit dem „Antisemitismusvorwurf“ zu diffamieren. So einfach ist das für ihn. Dass Roldán Mendívil keinen Lehrauftrag mehr bekommen soll, hält er für einen „Skandal“, weil die Kritik „von obskurer rechter Seite“ komme; die geplante Podiumsdebatte betrachtet er als „Tribunal“, bei dem die Gefahr bestehe, „dass sich die Ankläger hier auch zum Richter aufspielen“. Nicht einmal vor dem Vergleich mit McCarthy schreckte Bax zurück.
Institutsinterne Kritiker der Dozentin werden deutlich
Es gibt jedoch auch Stimmen, die sich nach der Ankündigung der OSI-Geschäftsführung, Roldán Mendívil kein weiteres Seminar zu überantworten, eindeutig kritisch gegenüber der Lehrbeauftragten positionierten. Die Fachschaftsinitiative des OSI beispielsweise nannte den Aufruf der Dozentin zu einer „Intifada“ gegen Israel, vorgetragen auf einer Demonstration am 1. Mai des vergangenen Jahres, „nicht tolerierbar“ und schrieb, die Gleichsetzung von Antisemitismus und Rassismus, wie Roldán Mendívil sie vertritt, zeuge „von einem unterkomplexen Theorieverständnis“. Noch deutlicher wurden 16 wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrbeauftragte am Institut für Politikwissenschaft in einer gemeinsamen Erklärung. Sie beanstandeten nicht zuletzt die Strategie von Roldán Mendívil und ihren Unterstützern, die Kritik an den antiisraelischen Äußerungen der Dozentin durch den wiederholten Hinweis auf die angeblich „rechte“ und „reaktionäre“ Herkunft der Kritiker zu diskreditieren, um sich nicht inhaltlich mit ihr auseinandersetzen zu müssen.
Zudem heißt es in dem Statement, die Diskussion werde von Eleonora Roldán Mendívil und jenen, die sich öffentlich mit ihr solidarisieren, gezielt „auf die vermeintlichen Untaten Israels gelenkt“. Diese Diskursverschiebung diene dazu, „den eigentlichen Vorwurf nicht weiter thematisieren zu müssen“. Doch es gehe nicht um Israel oder den Nahostkonflikt, sondern um Antisemitismus. Für dessen Analyse sei es, so die Unterzeichner, „unerheblich, was die israelische Regierung oder ‚die Juden‘ tun oder nicht tun“. Die Feindschaft gegen Juden äußere sich heute weniger direkt als vielmehr auf Umwegen, vor allem über die „Israelkritik“. Von Roldán Mendívil seien mehrere Äußerungen bekannt, „die als israelbezogener Antisemitismus interpretiert werden können und damit Anlass zur Prüfung geben“. Es sei deshalb merkwürdig, dass die Kritik an der Lehrbeauftragten „pauschal als Angriff gewertet werden, gegen den sich vorbehaltlos solidarisiert werden muss – anstatt sich, dem eigenen Anspruch entsprechend, kritisch und selbstkritisch inhaltlich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen“.
Die Gruppe Gegen jeden Antisemitismus an der Freien Universität wiederum, die den Stein ins Rollen gebracht hatte, stellte klar: „Wir haben die Universität lediglich auf Positionen hingewiesen, die Roldán Mendívil bereits öffentlich, für jeden im Internet lesbar, vertritt. Der Skandal ist der Israelhass einer Dozentin und nicht, dass eine Gruppe darauf aufmerksam macht.“ Wer nicht in der Öffentlichkeit als Israelhasserin dastehen wolle, solle öffentlich keinen Israelhass verbreiten. Der einzige jüdische Staat auf dieser Welt sei ein Schutzraum für Juden, so die Gruppe weiter, und ihm die Daseinsberechtigung abzusprechen, wie Roldán Mendívil es tue, sei antisemitisch. Außerdem sei es nicht einzusehen, „wieso es eine linke Position sein soll, ständig den einzigen Staat in der ganzen Region anzugreifen, in dem die Einwohnerinnen und Einwohner die Möglichkeit haben sich an demokratischen Wahlen zu beteiligen, Männer und Frauen die gleichen Rechte haben und Homosexuelle nicht vom Staat verfolgt werden“.
Das sind wahre Worte, und wer darin eine Kampagne von Rechten sieht, hat ein grundsätzliches Problem mit seinem politischen Koordinatensystem und zudem offenkundig genau jene Diffamierung im Sinn, die den Kritikern von Roldán Mendívil vorgeworfen wird. Dabei geht es nicht einmal darum, dass diese Frau grundsätzlich zum Verstummen gebracht werden soll. Sie soll nur nicht mehr als Lehrbeauftragte am Fachbereich Politikwissenschaft der Freien Universität tätig sein können, denn dort gehört niemand hin, der die Existenz des jüdischen Staates infrage stellt. Zu diesem Ergebnis werden – das sollte sich jedenfalls von selbst verstehen – auch die Teilnehmer der Podiumsveranstaltung am Mittwoch kommen. Und der frühere Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, hoffentlich ebenfalls. Er soll als Experte die Kritik an Roldán Mendívil einer Prüfung unterziehen.