„Entsprechend der vielfältigen Motivlage von Frauen, sich dem Jihad anzuschließen, ist auch die Haltung bei der Rückkehr ganz unterschiedlich. Einige sind vom erlebten Alltag im IS-Gebiet ernüchtert und betrachten ihre Entscheidung auszureisen als Fehler; andere stehen nach wie vor zu den Zielen der Organisation und werden nach ihrer Rückkehr versuchen, entsprechend zu handeln, möglicherweise Anschläge mitorganisieren oder selbst durchführen. Eine dritte Gruppe ist vom IS enttäuscht, hält aber am Ziel des Aufbaus einer islamistischen Gesellschaft fest. (…) Die Rückkehr der Frauen ist schlicht der militärischen Niederlage des IS geschuldet. Einige sind der Gefangennahme durch rechtzeitige Rückreise entgangen, andere wurden gefangengenommen und möchten natürlich lieber nach Deutschland ausgeliefert werden, als in einem syrischen oder irakischen Gefangenenlager zu sitzen.
Viele Rückreisende kehren in salafistische und jihadistische Milieus zurück, in die sie bereits vor der Ausreise eingebunden waren. Einige schließen sich neuen salafistischen Milieus an, weil sie dort mit offenen Armen aufgenommen und als Heldinnen gefeiert werden. Diejenigen, die sich von der Szene distanzieren, werden mehrheitlich in ihre Familien zurückkehren. (…) Frauen haben im salafistisch-jihadistischen Milieu viele wichtige Aufgaben. Sie sind für den Aufbau und Erhalt der transnationalen Netzwerke unerlässlich, stiften Ehen innerhalb der Szene und arbeiten an einer salafistischen Gegenkultur. Dabei geht es um das Vertreiben von Konsumartikeln wie Bekleidung, Parfüm, religiöse Produkte oder Medikamente, um die Organisation von Veranstaltungen oder auch um Tätigkeiten in salafistischen Moscheen und Vereinen. Sie werben Gelder für salafistische und jihadistische Projekte, betreuen Strafgefangene, rekrutieren weibliche Mitglieder und kontrollieren die Befolgung salafistischer Normen innerhalb der Szene. Sie verbreiten die salafistische Ideologie in den sozialen Medien, schulen Mitglieder in sogenannten Aqida-Gruppen und indoktrinieren ihre Kinder. (…)
Die Frauen, die nach Syrien und in den Irak gegangen sind, um sich dem IS anzuschießen, waren oder sind von der Ideologie des IS überzeugt und wollten einen Beitrag zum sogenannten Kalifat des Abu Bakr al-Baghdadi leisten. Diese Unterstützung bestand in erster Linie darin, einen der Auslandskämpfer des IS zu heiraten und Kinder für den Jihad zu gebären. Einige Frauen übernahmen aber auch andere Funktionen und verdingten sich beispielsweise in den al-Khansaa-Brigaden von Raqqa, einer weiblichen Polizeieinheit, die an der Folterung von Frauen beteiligt war. (…)
Salafistinnen haben nur wenige Möglichkeiten in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden, da sie ‚wie Perlen in der Muschel‘ vor neugierigen Blicken versteckt bleiben sollen. Nur in kompletter Verhüllung inklusive des Gesichtsschleiers können sie sich außer Haus bewegen, wenn sie die moralischen Grundsätze des Salafismus beherzigen. Da die Bildsprache allgemein verständlich ist, wird die Verhüllung als Zeichen eingesetzt. Sie gilt zudem als Mutprobe, da die Reaktionen von Passanten nicht immer freundlich sind. Diejenigen, die Selfies im öffentlichen Raum von sich machen und ins Netz stellen, können daher viele Freundinnen gewinnen und ihren Status aufbessern. In diesem Sinne ist der Niqab ein Kommunikationsmittel, ein Mittel, im internen Ranking der Gruppe aufzusteigen, und er ist natürlich auch subversiv, allerdings im Sinne einer totalitären, letztendlich sogar faschistoiden Ideologie. Dass Feministinnen Hijab- und Niqabträgerinnen zu Ikonen stilisieren, schadet nicht nur all den Frauen, die unter eine islamistische Ordnung gezwungen werden, sondern leistet einer menschenverachtenden Ideologie Vorschub.“ (Interview mit Susanne Schröter in der Jungle World vom 11.01.2018: „Angst vor der Freiheit“)