In Paris ist der israelfreundliche jüdische Philosoph Alain Finkielkraut auf einer Kundgebung von linken Demonstranten beschimpft, bespuckt und verjagt worden. Der Angriff fällt in eine Zeit nicht enden wollender antisemitischer Attacken in Frankreich, die zu einem Höchststand bei der Auswanderung französischer Juden nach Israel geführt haben. In Schweden musste derweil ein Minister nach antisemitischen Äußerungen und wegen Kontakten zu Rechtsextremisten und Islamisten seinen Hut nehmen.
Alain Finkielkraut gehört zweifellos zu den streitbarsten französischen Philosophen. Der 66-Jährige begibt sich immer wieder ins Getümmel öffentlicher Debatten und vertritt dort mit Nachdruck seine Überzeugungen, mögen sie auch ein teilweise scharfes Echo hervorrufen. Vehement wendet sich Finkielkraut beispielsweise gegen jede Form des Kulturrelativismus und der falschen Toleranz, etwa wenn die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen in islamischen Gesellschaften als Ausdruck kultureller Eigenheit oder als „Brauchtum“ verharmlost und antirassistisch verbrämt wird. Für die Existenz und die Verteidigung Israels tritt der Sohn eines Auschwitz-Überlebenden in aller Deutlichkeit ein, zugleich äußert er Kritik an der israelischen Siedlungspolitik, die er für einen „moralischen Fehler“ und einen „politischen Irrtum“ hält. Immer wieder setzt er sich zwischen alle Stühle und scheut die intellektuelle Konfrontation nicht, vor allem mit der politischen Linken. Angriffe ist er also durchaus gewohnt.
Was ihm allerdings Mitte April in Paris widerfuhr, erlebt auch Finkielkraut nicht alle Tage und hat eine neue Qualität. Seit dem 31. März demonstriert die Protestbewegung „Nuit Debout“ auf dem Place de la République – wie auch in anderen französischen Städten – täglich gegen die Verschärfung der Arbeitsgesetze, die hohe Arbeitslosigkeit besonders unter Jugendlichen und die zunehmende soziale Schieflage in Frankreich. Grundsätzlich hat auf den Versammlungen, so haben es die Organisatoren jedenfalls beschlossen und verkündet, jeder Teilnehmer ein Rederecht. Finkielkraut wollte allerdings gar nicht sprechen, sondern lediglich den Reden zuhören. Doch bereits das war einigen der meist jungen Demonstranten zu viel: Sie beschimpften ihn als „Faschisten“ und „Rassisten“, bedrängten und bespuckten ihn. Der Attackierte versuchte trotzdem, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, allein: Es war vergebens. Finkielkraut verließ die Kundgebung gezwungenermaßen vorzeitig.
„Ich wurde von einem Platz verjagt, der für gemeinsame Versammlungen für Demokratie und Pluralismus steht“, sagte er der Times of Israel zufolge. Das von „Nuit Debout“ vertretene Verständnis von Demokratie sei allerdings Unsinn und ihr Pluralismus eine Lüge, fuhr er fort. „Und ich bin nur zum Zuhören gekommen, ich wollte nicht einmal reden und meine Meinung äußern. Trotzdem wollten sie den Platz von mir säubern.“ Der hasserfüllte Rauswurf Finkielkrauts stieß in Frankreich auf Kritik. Arbeitsministerin Myriam El Khomri beispielsweise fand den Vorfall „bedauerlich“ und sagte: „Es ist jedem erlaubt, an der Debatte teilzunehmen.“ In vielen französischen Medien war die Rede von Zensur und einem mangelnden Demokratieverständnis bei den Demonstranten. Der konservativen Opposition in Frankreich sind die linken Proteste auf dem Platz der Republik ohnehin ein Dorn im Auge.
Französische Juden: Auswanderung auf Höchststand
Der Angriff auf den israelfreundlichen jüdischen Philosophen fällt in eine Zeit nicht enden wollender antisemitischer Attacken in Frankreich. Diesmal ging er von Linken aus, ansonsten ist in den vergangenen Jahren vor allem der islamisch motivierte Antisemitismus drastisch gestiegen. Nach Angaben des französischen Innenministeriums ist von allen als rassistisch eingestuften Taten mittlerweile knapp die Hälfte gegen Juden gerichtet – die weniger als ein Prozent der Bevölkerung stellen. Wer eine Kippa oder eine Halskette mit einem Davidstern trägt, muss damit rechnen, auf offener Straße beschimpft und bespuckt zu werden. Während der israelischen Militärschläge gegen die Hamas im Sommer 2014 verwüsteten islamistische Täter jüdische Geschäfte und Einrichtungen oder setzten sie gar in Brand.
Roger Cukierman, der Vorsitzende des „Repräsentativen Rats der Jüdischen Institutionen Frankreichs“ (CRIF), sprach deshalb nach den Morden im „Hyper Cacher“ von einer „Kriegssituation“ für die in Frankreich lebenden Juden. Zwar wurde der Polizeischutz für jüdische Einrichtung verstärkt, dennoch ging und geht die Massenemigration französischer Juden weiter: 7.900 von ihnen wanderten im Jahr 2015 nach Israel aus, zehn Prozent mehr als im Jahr davor – das markierte einen neuen Höchststand. Die Franzosen stellen damit die größte Gruppe unter den Neuankömmlingen im jüdischen Staat. Ultrarechte Politiker reagierten darauf mit der Forderung, jüdischen Emigranten die französische Staatsangehörigkeit zu entziehen, und verglichen den Wehrdienst in der israelischen Armee mit dem „Dschihad“ der Terroristen des „Islamischen Staates“. Wie nahezu überall ist der Antisemitismus auch in Frankreich längst nicht an ein politisches Lager gebunden, sondern er grassiert in der gesamten Gesellschaft.
Schweden: Grüner Minister vergleicht Israelis mit Nazis
Margot Wallström, die Außenministerin der rot-grünen Regierung in Schweden, sprach von „fürchterlichen Aussagen“ und ging auf Distanz zu Kaplan. Zu Beginn des Jahres hatte sie selbst noch für einen diplomatischen Eklat gesorgt, als ihr zur in Israel tobenden „Messer-Intifada“ gegen jüdische Israelis nichts Besseres eingefallen war, als in einer Rede vor dem schwedischen Parlament die „außergerichtlichen Tötungen von Palästinensern“ zu beklagen und eine „gründliche Untersuchung“ der Rechtmäßigkeit der Erschießung von Attentätern zu fordern.
Die israelische Regierung hatte diese Äußerungen als «ungeheuerlich und dumm» bezeichnet und Wallström zur in Israel unerwünschten Person erklärt. Premierminister Benjamin Netanjahu sagte damals: „Die Leute verteidigen sich gegen Angreifer, die mit gezücktem Messer auf sie zurennen, die sie erstechen wollen. Wenn sie die Terroristen dann erschießen, sind das ‚außergerichtliche Tötungen‘?“ Mit diesem Vorwurf, so Netanjahu weiter, werde Israel „in absurder Weise an den Pranger“ gestellt. Ähnliches lässt sich auch über den Umgang der linken französischen Demonstranten mit Alain Finkielkraut sagen.
Artikel zuerst erschienen auf Audiatur Online