Angriff auf einen Rabbiner, antisemitische LFI-Propaganda und eine Demonstration ohne Jüdinnen zum Weltfrauentag – so stellt sich Frankreich im März 2025 dar.
Am 22. März wurde Arié Engelberg, der Rabbiner von Orleans, auf der Straße angegriffen, als er gemeinsam mit seinem neunjährigen Sohn von der Synagoge zurückkam. Wie André Druon, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde der Stadt, mitteilte, hatte der Täter den Rabbi mit dem Handy gefilmt. Als dieser ihn aufforderte, damit aufzuhören, schlug der Täter auf den Kopf des Rabbis ein und biss ihn in die Schultergegend.
»Gott sei Dank geht es mir gut. Meinem Sohn geht es auch besser«, sagte Rabbi Engelberg dem Fernsehsender BFM TV. Die Szene schilderte er so: »Ein junger Mann sah uns von Weitem, und ich sah in seinen Augen, dass er uns etwa zurufen wollte.« Der junge Mann habe sich im Selfie-Modus gefilmt und den Rabbi gefragt, ob er Jude sei. Als Engelberg die Frage bejahte, habe der Täter gesagte: »Alle Juden sind Hurensöhne« und auf den Boden gespuckt.
Der Angreifer wiederholte seine Beleidigungen und spuckte erneut. Engelberg erinnert sich: »In diesem Moment sagte ich mir: Wenn ich nichts unternehme, wird dieses Video um die Welt gehen. Darin sehen wir einen Rabbi, einen Juden, einen französischen Staatsbürger, der mit seinem Sohn spazieren geht, wegen seiner Religion beleidigt und bespuckt wird, ohne etwas zu tun. Also beschloss ich, etwas zu unternehmen und sein Handy wegzuschieben«, sagte der Rabbi.
Dann »gab es Schläge. Ich habe mich geschützt und versucht, auch welche auszuteilen.« Als Engelberg versuchte, seine auf den Boden gefallene Kippa aufzuheben, habe der Täter seine Arme um den Rabbi gelegt und ihn in die Schulter gebissen. Ein Ladenbesitzer sei schreiend herbeigeeilt, um die beiden Männer zu trennen.
Auch zwei Autos hätten sofort angehalten. Die Insassen, so der Rabbi, hätten »zu verstehen gegeben, dass sie als Zeugen aussagen könnten«. Darunter seien »Franzosen, Schwarze, Nordafrikaner« gewesen; Letztere hätten die Polizei gerufen. Der Rabbi fuhr fort: »Ich möchte der Polizei danken, die sehr effizient war und gleichzeitig meine religiösen Auflagen bezüglich des Schabbats respektierte.«
Nur eine Frage der Zeit
Er habe schon lange mit einem Angriff gerechnet: »Für mich als Rabbiner war es nur eine Frage der Zeit, bis ich Opfer eines antisemitischen Angriffs werden könnte. Aber es wird nichts ändern. Ich werde weiterhin mit Stolz voranschreiten und mein Judentum mit Stolz zum Ausdruck bringen.«
Frankreichs Staatspräsident Emanuel Macron schrieb auf X: »Der Angriff auf Rabbi Arié Engelberg in Orléans schockiert uns alle. Ich spreche ihm, seinem Sohn und allen unseren Landsleuten jüdischen Glaubens meine volle Unterstützung und die der Nation aus. Antisemitismus ist Gift. Wir werden weder schweigen noch untätig bleiben.«
Der wenige Stunden nach dem Angriff festgenommene Verdächtige wurde in Untersuchungshaft genommen und soll wegen Körperverletzung vor einem Jugendgericht angeklagt werden. Sein Anwalt erklärte, sein Mandant sei »ein unbegleiteter Minderjähriger, der vor weniger als einem Jahr ohne besondere Ausbildung nach Frankreich gekommen« sei. In Polizeigewahrsam weigerte sich der Teenager bislang, sich »Identitätsprüfungen und der Entnahme biologischer Proben zu unterziehen, die seine Identifizierung ermöglicht hätten».
Den Ermittlern zufolge sei er bereits »in drei Gerichtsverfahren verwickelt gewesen, die zwischen Oktober 2024 und Dezember 2024 geführt wurden, und zwar wegen Drogenhandels und vorsätzlicher Gewalt gegen Amtsträger in Marseille sowie schweren Diebstahls in der Gemeinde Orléans«, berichtete die Tageszeitung Ouest-France.
Verabscheuungswürdig
Wenige Tage vor der Tat hatte Frankreichs linksradikale Partei Unbeugsames Frankreich (La France Insoumise, LFI) ein Plakat mit antisemitischer Bildsprache veröffentlicht, das selbst von politischen Verbündeten als »verabscheuungswürdig« bezeichnet wurde.
Am 22. März wollten LFI und andere »überall in Frankreich gegen die extreme Rechte, ihre Ideen und ihre Unterstützer« demonstrieren. Eines der LFI-Plakate erinnerte Kommentatoren aus allen Lagern an antisemitische Darstellungen von Juden in der Zeit vor 1945. Es soll Cyril Hanouna zeigen, einen jüdischen Fernsehmoderator tunesischer Herkunft. Verwendet wurde kein echtes Foto, sondern ein KI-generiertes Bild. Das fratzenhaft erscheinende Gesicht ist schwarz-weiß auf schwarzem Untergrund gezeichnet, die Augen sind klein und stechend, im halb geöffneten Mund nur die unteren Schneidezähne zu sehen.
Die linksliberale Tageszeitung Libération spricht von einem »zu einer hasserfüllten Grimasse verzerrten Gesicht« und zieht Parallelen zu dem Plakat für den antisemitischen Film Der ewige Jude. Die Tageszeitung Le Monde schreibt: »Grimassen schneidend, auf schwarzem Hintergrund. Eine Bildsprache, die an die Codes des Kinos der 1930er und 1940er Jahre und an Plakate antisemitischer Filme wie Der ewige Jude (Fritz Hippler, 1940) oder Jud Süß (Veit Harlan, 1940) erinnert.«
Das am 12. März vorgestellte Bild wurde von der LFI kurz darauf zurückgezogen (hier links die inkriminierte Version, rechts die neue). Auch im linken Lager wurde das Bild scharf verurteilt. Olivier Faure, der Generalsekretär der Sozialistischen Partei, forderte die LFI auf, sich für das »inakzeptable Bild zu entschuldigen«. Der nationale Sekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs, Fabien Roussel, nannte es »einfach verabscheuungswürdig«. Auch La Ligue des droits de l’homme (Menschenrechtsliga) und SOS Racisme, zwei der Organisatoren, die gemeinsam mit der LFI zu der Demonstration am 22. März aufgerufen hatten, distanzierten sich von dem Bild.
»Halten Sie den Mund!«
LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon ist sich keiner Schuld bewusst. Als der ehemalige Präsidentschaftskandidat am Ende der jeden Sonntagmittag ausgestrahlten TV-Sendung Dimanche en politique auf France 3 von einem Journalisten gefragt wurde, ob die Veröffentlichung dieses Bildes »ein Fehler« oder ein Fall von »Antisemitismus« gewesen sei, blaffte er diesen an: »Warum stellen Sie mir diese Frage? Mit welchem Recht? Wer sind Sie? Beschuldigen Sie mich? Beschuldigen Sie mich? Dann halten Sie den Mund!« Mélenchon warf dem Journalisten vor, er würde »eine Kampagne fortsetzen, die von der extremen Rechten gegen uns begonnen wurde. Warum sollte das Antisemitismus sein? Genug! Genug jetzt!»
An anderer Stelle sagte er: »Jetzt fragen wir die extreme Rechte, was man veröffentlichen darf und was nicht. Glauben Sie, dass das Gesicht von Herrn Hanouna, wie meines, nicht karikiert werden kann? Ich werde ständig karikiert.«
Auch Parteisekretär Manuel Bompard sieht keinen Antisemitismus. Alle Personen auf den verschiedenen Plakaten seien mit »denselben grafischen Codes und Methoden der Bildgestaltung« dargestellt worden, versicherte er, »und natürlich ohne jegliche nachträgliche Veränderung, ohne den Wunsch, irgendeine Person aufgrund ihres religiösen Glaubens anzuprangern«.
Zur Erstellung dieser Visualisierungen habe die Partei Grok benutzt, eine künstliche Intelligenz, die auf Initiative von Elon Musk entwickelt wurde. »Es war ein Fehler, sie zu verwenden», sagte Bompard, »denn bei La France Insoumise haben wir die Regel, keine Tools der künstlichen Intelligenz für das Grafikdesign zu verwenden«. Der Koordinator räumte zudem ein, dass dieses Plakat angesichts der Kontroverse und der genannten Parallelen »nicht hätte veröffentlicht werden dürfen«.
Jüdinnen ausgeschlossen
Am vergangenen Dienstag, drei Tage nach dem Angriff auf Rabbi Engelberg, machte Aurore Bergé, Frankreichs Ministerin für die Gleichstellung von Frauen und Männern, die LFI verantwortlich für die »Explosion« des Antisemitismus im Land seit dem 7. Oktober 2023. »Der Antisemitismus seit dem 7. Oktober besteht aus zwei Zahlen: 1.570 antisemitische Taten im Jahr 2024, und 62 Prozent der antireligiösen Taten konzentrierten sich auf unsere jüdischen Landsleute (…) und drei Buchstaben: LFI.«
Die Ministerin zeigte laut Le Figaro mit dem Finger auf La France Insoumise und warf der Partei vor, »einen Wahlkampf zu führen, der auf dem Hass auf Israel basiert«. Die Partei von Jean-Luc Mélenchon sei nicht nur dabei, den Antisemitismus herunterzuspielen, sondern ein Überträger des Hasses. »Schande über eine Partei und über Jean-Luc Mélenchon, der den Antisemitismus für ein ›Überbleibsel‹ hält, während er ihn auf eine strukturelle Ebene reduziert», erklärte Bergé im Plenarsaal.
Sie bezog sich dabei vor allem auf die Nähe der LFI zur Hamas, deren Terror die Partei als gerechtfertigten »Widerstand« verklärt, aber auch die jüngsten Plakate, die von der »Ikonografie der 1930er Jahre« inspiriert seien.
Zudem wiederholte sie ihre Kritik an der Demonstration zum Weltfrauentag, die am 8. März in Paris stattfand. Es sei kein »Rest-Antisemitismus, wenn jüdische Frauen von Demonstrationen für Gleichberechtigung und Frauenrechte vertrieben werden», so die Ministerin. Sie bezog sich darauf, dass jüdische Aktivistinnen der Gruppe »Wir werden leben», die nach dem 7. Oktober 2023 gegründet wurde, der LICRA (Liga gegen Rassismus und Antisemitismus) und iranische Frauen der Gruppe Femme Azadi bei der Demonstration vom Hauptzug ausgeschlossen wurden und dem Zug lediglich hinterherlaufen durften.
Ziel sei es gewesen, jeglichen »Zwischenfall« oder eine »Störung der öffentlichen Ordnung« zu vermeiden, erklärte Polizeichef Laurent Nunez dem Fernsehsender BFMTV. Ein »antizionistischer Block«, der die Frauen an der Demonstration hinderte, skandierte: »Faschistische Zionisten, verschwindet!«
»Wir können nicht ignorieren, dass einige Frauen an der Demonstration gehindert wurden, denn de facto ist das der Fall«, so Bergé. »Sie konnten die Demonstration nicht beenden, verließen diese fast drei Stunden nach den anderen und wurden angegriffen. Glücklicherweise wurden sie von den Ordnungskräften gut geschützt, aber wir sollten Frauen bei einem feministischen Protest nicht schützen müssen.«