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Frankreich: Deradikalisierung von Dschihadisten ein „Fiasko”

Von Soeren Kern

Das Flaggschiff der französischen Regierung zur Deradikalisierung von Dschihadisten ist ein „Totalschaden“ und muss nach den ersten Schlussfolgerungen einer parlamentarischen Untersuchungskommission „völlig neu konzipiert“ werden.

Der vorläufige Bericht zeigt, dass die Regierung für die Dutzenden von Millionen von Steuer-Euros, die sie in den vergangenen Jahren ausgegeben hat, nichts vorzuweisen hat im Kampf gegen die islamische Radikalisierung in Frankreich, wo 238 Menschen seit Januar 2015 bei dschihadistischen Anschlägen getötet worden sind. Der Bericht impliziert, dass die Deradikalisierung weder in spezialisierten Zentren noch in Gefängnissen funktioniert, weil die meisten islamischen Radikalen nicht deradikalisiert werden wollen.

Der Bericht „Deindoktrination, Derekrutierung und Reintegration von Dschihadisten in Frankreich und Europa„“ (Désendoctrinement, désembrigadement et réinsertion des djihadistes en France et en Europe) – der Titel vermeidet das Wort „Deradikalisierung“, da es von einigen als politisch inkorrekt betrachtet wird –- wurde dem Senatsausschuss für konstitutionelle und juristische Angelegenheiten am 22. Februar vorgestellt. Er ist die vorläufige Fassung einer umfassenden Studie, die derzeit von einer parteiübergreifenden Task Force durchgeführt wird, die mit der Bewertung der Wirksamkeit der regierunsgamtlichen Deradikalisierungsbemühungen beauftragt ist. Der Abschlussbericht ist im Juli fällig.

Ein Großteil der Kritik konzentriert sich auf einen 40-Millionen-Euro-Plan, um 13 Deradikalisierungszentren zu bauen, die als Zentren für Prävention, Integration und Staatsbürgerschaft (Centre de prévention, d’insertion et de citoyenneté, CPIC) bekannt sind – eines in jeder Metropolregion – und dafür konzipiert sind, angehende Dschihadisten zu deradikalisieren. Der ursprüngliche Plan, der im Mai 2016 unter großem Aufsehen enthüllt worden war, forderte, dass jedes Zentrum bis zu maximal 25 Personen im Alter von 18 bis 30 Jahren für zehn Monate aufnehmen soll. Die Regierung sagte, dass in den nächsten zwei Jahren 3.600 radikalisierte Einzelpersonen die dort stattfindenden Deradikalisierungsprogramme durchlaufen würden.

Das erste – und bisher einzige – Deradikalisierungszentrum der Regierung, im Château de Pontourny, einem isolierten Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert in Zentralfrankreich untergebracht, wurde im September 2016 eröffnet. Als die Senatorinnen Esther Benbassa und Catherine Tröndle, die beide die Task Force führen, Pontourny am 3. Februar besuchten, fanden sie nur einen Bewohner in der Einrichtung vor, der mittlerweile wegen der Begehung von „Akten häuslicher Gewalt“ im Gefängnis sitzt.

Nach nur fünf Monaten Betrieb steht Pontourny jetzt also leer, obwohl es 27 Mitarbeiter beschäftigt, darunter fünf Psychologen und Psychiater sowie neun Pädagogen bei jährlichen Kosten von 2,5 Mio. €. Obwohl Frankreich die Heimat von schätzungsweise 8250 radikalislamischen Extremisten ist, haben sich seit seiner Eröffnung nur 59 Personen danach erkundigt, ob sie nach Pontourny gehen könnten. Von denen reichten nur 17 Personen eine Bewerbunge ein und nur neun davon erschienen vor Ort. Nicht ein einziger Bewohner hat das volle zehnmonatige Programm abgeschlossen.

Einer der Bewohner war ein 24-jähriger Dschihadist namens Mustafa S., der während einer Anti-Terror-Operation in der Nähe von Straßburg am 20. Januar 2017 verhaftet worden war. Die Polizei sagte, er habe Verbindungen zu einem der Organisatoren des Dschihad-Angriffs auf das Theater Bataclan in Paris vom November 2015. Mustafa S. wurde während eines Urlaubsgangs von Pontourny verhaftet: Er war angeblich auf dem Weg, sich dem islamischen Staat in Syrien anzuschließen.

Ein anderer Pontourny-Bewohner war eine 24-jährige schwangere Frau namens Sabrina C., die vom 19. September bis zum 15. Dezember in der Anlage lebte. Sie enthüllte gegenüber einer Lokalzeitung, dass sie nie radikalisiert war, sondern Pontourny benutzte, um ihrem „Familienkokon“ zu entkommen und „etwas frische Luft“ zu bekommen: „Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich für irgend eine Religion wie auch immer interessiert. Meine Familie ist katholisch, nicht praktizierend, wir gehen von Zeit zu Zeit in die Kirche, aber nicht mehr. Mein Freund wollte, dass ich das Kopftuch trage, aber ich weigerte mich immer.“ Sabrinas Mutter sagte, die Deradikalisierungseinrichtung „war eine Gelegenheit für unsere Tochter, eine Berufsausbildung zu machen, kochen zu lernen, in der Nähe von Tieren zu sein.“ Sabrina fügte hinzu, dass ihr Aufenthalt dort ein Albtraum war: „Ich weinte jede Nacht, ich fühlte mich in Pontourny nicht am richtigen Ort, sie behandelten mich wie eine Verbrecherin.“ Sie spekulierte, dass der einzige Grund, warum sie in die Anlage zugelassen wurde, der war, dass die Regierung die „Zahlen in die Höhe treiben“ musste.

Die Regierung ist auch in ihren Bemühungen gescheitert, islamische Radikalisierung in französischen Gefängnissen zu bekämpfen. Im Oktober 2016 hob die Regierung eine Politik auf, radikalisierte Gefangene in separaten Flügeln unterzubringen, nachdem es eine Zunahme der Angriffe auf Gefängniswärter gegeben hatte. Die ursprüngliche Idee war, die Islamisten zu isolieren, um sie davon abzuhalten, andere Insassen zu radikalisieren, aber Justizminister Jean-Jacques Urvoas gab zu, dass die Islamisten, sobald sie sie in getrennten Gefängnisflügeln untergebracht waren, tatsächlich gewalttätiger wurden, weil sie von dem, was er den „Gruppeneffekt“ nannte, ermutigt wurden.

Der nun vorliegende Bericht kritisiert auch die Entstehung einer „Deradikalisierungsindustrie“, in der Verbände und Nichtregierungsorganisationen ohne Erfahrung in der Deradikalisierung mit lukrativen Regierungsverträgen dotiert werden. „Mehrere Verbände, die in finanziellen Mangelsituationen eine öffentliche Finanzierung anstrebten, wandten sich ohne wirkliche Erfahrung der Deradikalisierungsbranche zu“, so Senatorin Benbassa. Benbassa sagte, dass das Regierungs-Deradikalisierungsprogramm angesichts der schweren dschihadistischen Bedrohung schlecht konzipiert war und aus politischen Gründen hastig vorangetrieben wurde. „Die Regierung war in Panik wegen der Dschihadistenangriffe“, führte sie aus. „Es war die Panik, die ihr Handeln leitete. Es stand nur wenig Zeit zur Verfügung, denn die Öffentlichkeit beruhigen musste beruhigt werden.“

Der französisch-iranische Soziologe Farhad Khosrokhavar, ein Experte für Radikalisierung, sagte zu France 24, dass die einzige Möglichkeit der Regierung, mit Radikal-Dschihadisten umzugehen, darin bestehe, sie einzusperren: „Manche Menschen können deradikalisiert werden, aber nicht alle. Es ist unmöglich bei den Hardcore-Dschihadisten, bei denen, die völlig überzeugt sind. Diese Art von Profilen sind sehr gefährlich und stellen etwa 10% bis 15% derjenigen dar, die radikalisiert wurden. Das Gefängnis ist vielleicht einer der einzigen Wege, mit diesen Hardcore-Gläubigen umzugehen.“

In einem Interview mit L’Obs sagte Benbassa, dass die Regierung sich auch nicht um Prävention gekümmert habe: „Junge Kandidaten für den Dschihadismus müssen sozialisiert werden. Wir müssen ihnen einen Beruf beibringen, sie zu Berufstätigen machen und ihnen ein individualisiertes Follow-up anbieten. Dazu gehört die Familie, Imame, örtliche Polizeibeamte, Pädagogen, Psychologen und Unternehmer, die auch intervenieren können … Ich denke auch, dass unsere politischen Führung ein wenig Nüchternheit und Demut annehmen sollte, wenn sie sich diesem komplexen Phänomen nähet. Die Aufgabe ist äußerst schwierig: ‚Deradikalisierung‘ geschieht nicht in sechs Monaten. Die Menschen, die keine Ideale erhalten haben, und die sich an die Ideologie des islamischen Staates klammern, werden sie nicht so einfach los. Es gibt kein ‚Sesam öffne Dich‘.“

Senator Philippe Bas, der Vorsteher des Senatsausschusses, der den Bericht beauftragt hat, wurde ncoh deutleicher. Er beschrieb das Deradikalisierungsprogramm der Regierung mit den worten: „Es ist ein totales Fiasko, alles muss neu überdacht werden, alles muss von Grund auf neu gestaltet werden.“

Artikel zuerst erschienen bei Gatestone Institute.

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