Der Besuch des ägyptischen Präsidenten in Ankara leitet eine neue Phase ein, die eine Annäherung der beiden Staaten in mehreren Bereichen mit sich bringen dürfte.
Während ihres Gipfeltreffens am 4. September in Ankara besprachen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein ägyptischer Amtskollege Abdel Fatah al-Sisi Themen wie den Krieg im Gazastreifen und Möglichkeiten zur Reform der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Erdogan meinte diesbezüglich, mit »einer Win-win-Denkweise« würden die Türkei und Ägypten ihre »vielschichtigen Beziehungen vorantreiben«. Vor allem wolle Ankara die Zusammenarbeit in den Bereichen Erdgas und Kernenergie stärken.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz bekräftigte Erdogan, die Türkei und Ägypten beabsichtigten, den jährlichen Handel in den nächsten fünf Jahren um fünf Milliarden auf fünfzehn Milliarden Dollar zu steigern. Darüber hinaus wurden achtzehn Absichtserklärungen zur Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen, darunter Energie, Verteidigung, Tourismus, Gesundheit, Landwirtschaft, Finanzen, Kultur, Bildung und Verkehr formuliert.
Al-Sisis Besuch in der Türkei folgte auf jenen seines türkischen Amtskollegen in Kairo im Februar, der Erdogans erste Visite in Ägypten seit dem Jahr 2012 war und einen wichtigen Schritt zum Wiederaufbau der seit einem Jahrzehnt stark angespannten Beziehungen darstellt. Die Beziehungen zwischen Ankara und Kairo verschlechterten sich im Jahr 2013, nachdem al-Sisi als damaliger Militärchef den Präsidenten der Muslimbruderschaft, Mohamed Mursi, nach Massenprotesten gegen dessen einjährige Herrschaft gestürzt hatte. Der als Ägyptens erster demokratisch gewählter Präsident geltende Mursi war ein Verbündeter der Türkei, die er nach seiner Amtseinführung im Jahr 2012 sofort besuchte.
Normalisierung und Annäherung
Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern begannen sich im Jahr 2020 zu verbessern, als Ankara einen diplomatischen Vorstoß unternahm, um die Spannungen mit regionalen Mächten, darunter den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Ägypten, abzubauen. Im vergangenen Jahr tauschten die Türkei und Ägypten Botschafter aus.
Der politische Analyst und Forscher am Turkey Research Center Murat Tural sagte, der Besuch von al-Sisi stelle den bisherigen Höhepunkt des diplomatischen Normalisierungsprozesses dar. Seiner Ansicht nach müssten die Türkei und Ägypten ihre Wirtschaftsbeziehungen entsprechend ihren regionalen Ambitionen ausbauen; hätten doch trotz der unterschiedlichen außenpolitischen Prioritäten in der Vergangenheit die globalen Veränderungen und eine neue regionale Dynamik die Notwendigkeit einer starken Partnerschaft aufgezeigt. So mache das Fehlen einer effektiven Rolle der globalen Mächte es für regionale Kräfte notwendig, die Initiative zur Lösung von Krisen wie jenen in Libyen und im Sudan zu ergreifen.
Auch der ägyptische Autor Ashraf Al-Ashry ist der Meinung, dass der Besuch von al-Sisi »den Beginn einer neuen Seite in den bilateralen Beziehungen darstellt«. Er erwartet nun, dass die Staaten ihre umstrittenen »Grenzen im östlichen Mittelmeerraum abstecken, ähnlich wie es Kairo mit Griechenland und Zypern getan hat«.
Kairo öffne seine Arme für Ankara, »und es wird ausführliche Gespräche geben. In der Folge wird es weitere Bereiche der Zusammenarbeit geben, aber sie brauchen etwas Zeit, insbesondere in Bezug auf Libyen«, da jedes Land eine andere Partei im anhaltenden Konflikt auf libyschem Territorium unterstützt, das in zwei rivalisierende Gebiete gespalten ist, von denen jedes die Macht beansprucht.
Al-Ashry schließt nicht aus, dass Ägypten eine Rolle bei der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Ankara und Damaskus spielen könnte: »Auf dem Besuch von al-Sisi wird in der nächsten Phase viel aufbauen, und die umstrittenen Fragen werden durch eine Reihe von Mechanismen gelöst werden, da Kairo bereit ist, die Spannungen in der Region und mit Ankara vollständig zu beenden.«
Wirtschaftsbeziehungen
Der der türkischen Regierungspartei nahestehende Autor Hamza Tekin hingegen klingt weniger zuversichtlich, wenn er meint, »die gegenseitigen Besuche türkischer und ägyptischer Beamter auf verschiedenen Ebenen bedeuten nicht, dass es zwischen den beiden Ländern keine Probleme und keine unterschiedlichen Standpunkte zu diesem oder jenem Thema gibt«. Allerdings fügt auch er hinzu, dass diese Besuche »den gemeinsamen Willen ausdrücken, Differenzen beizulegen und sich in einigen Punkten zu einigen«.
Tekin merkte an, dass trotz der unterschiedlichen Standpunkte die Realität in vielen Punkten eine Zusammenarbeit zwischen Ägypten und der Türkei erfordere, insbesondere in wirtschaftlichen Aspekten: »Die zwischen der Türkei und Ägypten in Ankara unterzeichneten Abkommen sind allesamt Wirtschaftsabkommen, was für beide Länder in der gegenwärtigen Phase, in der die Welt aufgrund von Kriegen diverse Wirtschaftskrisen erlebt, von zentraler Bedeutung ist.«