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Film enthüllt das geheime Leben der Juden von Mashhad

Die iranische Stadt Mashhad im Jahr 1958
Die iranische Stadt Mashhad im Jahr 1958 (Quelle: JNS)

Hundert Jahre lang führte die jüdische Gemeinde im äußersten Nordosten Persiens ein Doppelleben. Der Kurzfilm Mashhad beschäftigt sich mit dieser außergewöhnlichen Geschichte.

Lyn Julius

Hört man das Wort »Krypto-Juden«, denkt man normalerweise an jene Juden, die nach der Spanischen Inquisition von 1492 zum Katholizismus konvertierten. Gemeint sind Juden, die nach außen hin Christen waren, obwohl einige weiterhin heimlich das Judentum praktizierten. Tatsächlich könnte sich der Begriff aber genauso gut auf eine Gruppe von Juden in der muslimischen Welt beziehen. Sie lebten in Mashhad, im äußersten Nordosten Persiens, dem heutigen Iran. Die Stadt war nach Teheran die zweitgrößte des Landes und als heilige Stadt bekannt, da sie als wichtiger Wallfahrtsort und Zentrum voller religiöser Inbrunst galt.

Entgegen dem weit verbreiteten Mythos, dass Juden und Muslime im Iran immer in Frieden gelebt hätten – zumindest bis zur Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 –, hatten die Juden bereits unter der Safawiden-Dynastie im 16. Jahrhundert einen Niedergang erlebt. Als Bürger zweiter Klasse, sogenannte Dhimmis, hatten sie nur wenige Rechte, waren in Ghettos eingesperrt und wurden von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung als najas, als »unrein«, betrachtet. So durften Juden beispielsweise bei Regen nicht nach draußen gehen, damit kein Wasser von ihnen auf einen Muslim spritzte und ihn »befleckte«.

Im März 1839 brach der Allahdad aus. So wurde das brutale Pogrom gegen die 2.400 Juden genannt, die im jüdischen Viertel von Mashhad lebten: Fünfzig Männer, Frauen und Kinder wurden abgeschlachtet, Mädchen entführt und gezwungen, im Harem des Imams zu leben. Die übrigen Juden standen vor derselben Wahl wie ihre spanischen Glaubensbrüder zur Zeit der Inquisition: Entweder zum Islam zu konvertieren oder zu sterben.

Geheimes Doppelleben

Die Juden von Mashhad entschieden sich für die Konversion. Sie wurden als Jadid al-Islam bekannt, was »neue Muslime« bedeutet, ähnlich wie die neuen Christen in Spanien. Äußerlich blieben sie Muslime, führten jedoch heimlich weiterhin ein jüdisches Leben. Sie gaben ihren Kindern muslimische, aber auch geheime jüdische Namen. Sie besuchten Moscheen und unternahmen sogar die Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, doch lehrten sie ihren Söhne weiterhin die Tora. Sie heirateten endogam, was bedeutete, dass sie ihre Kinder in sehr jungen Jahren mit anderen Juden verlobten, um zu verhindern, dass Muslime ihnen einen Heiratsantrag machten. Interessanterweise wurden bei jeder Hochzeitszeremonie zwei Ketubahs (Eheverträge) ausgestellt, ein muslimischer und ein jüdischer.

Jüdische Männer versteckten Miniatur-Tefillin (Gebetsriemen) in ihren Turbanen und Mini-Siddurim (Gebetsbücher) in Exemplaren des Korans. Sie kauften Halal-Fleisch, entsorgten es jedoch zu Hause und hielten sich weiterhin an die Kaschrut (Koscherregeln) und Schechita (rituelles Schlachten).

Hundert Jahre lang, bis viele der Juden aus Mashhad ins Mandatsgebiet Palästina und dann nach Israel zogen, führte die Gemeinde ein Doppelleben. Auf diese Weise gelang es ihren Mitgliedern, ihre jüdische Identität zu bewahren. Heute gehören sie zu den strenggläubigsten und engsten Gemeinschaften, die nicht einmal andere persische Juden heiraten.

Ein fünfzehnminütiger Film mit dem Titel Mashhad will nun das westliche Publikum mit dieser außergewöhnlichen Geschichte der jüdischen Kontinuität vertraut machen. Der Film folgt Miriam, einem temperamentvollen jungen Mädchen aus Edgar, dem jüdischen Ghetto, und ihrer Freundschaft mit ihrer muslimischen Nachbarin. Die Offenlegung ihrer jüdischen Identität würde ihre Familie in Gefahr bringen.

Eigene Erfahrungen

Der Kurzfilm wurde von Sarah Solemani gedreht, einer preisgekrönten Schauspielerin, Autorin und Regisseurin, die in London geboren wurde und väterlicherseits von Juden aus Mashhad abstammt. Ihr neues Werk, das auf den Lebenserfahrungen ihrer Großmutter basiert, ist eine »Geschichte von Religion als Unterdrückung und Glauben als Überleben« und feiert seine Premiere beim heurigen Hollyshorts Film Festival in Hollywood.

Die Geschichte der aus arabischen Ländern und dem Iran vertriebenen sephardischen Juden – heute eine der größten ethnischen Gruppen in Israel – ist nicht so bekannt wie die Geschichte der aschkenasischen Juden, erzählt sie in einem Interview mit dem YouTube-Kanal Bond on Cinema. Sie selbst recherchierte diese weitgehend undokumentierte Geschichte, indem sie in Great Neckin New York lebende Juden aus Mashhad interviewte.

Der Film, in dem Farsi sprechende Schauspieler mitspielen, bietet »eine Gelegenheit, sich für den Frieden zwischen zwei unversöhnlichen Geschichten – der palästinensischen und der jüdischen – einzusetzen«, sagt Solemani. »Frieden entsteht, wenn man einander zuhört und einander liebt.« Sie sei gespannt, wie der Film bei Menschen ankommen wird, die mit der Geschichte der im Nahen Osten beheimateten Juden nicht vertraut sind. Bislang, so ihre Erfahrung, habe die meisten Menschen »keine Ahnung von diesem Teil der Geschichte, sind aber sehr daran interessiert, mehr darüber zu erfahren«.

Lyn Julius ist Autorin des 2018 erschienenen Buchs Uprooted: How 3,000 Years of Jewish Civilization in the Arab World Vanished Overnight. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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