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US-Wahl: Warum die türkische Regierung auf Trump setzt und gegen Biden ist

Neues Feindbild: In der Türkei läuft eine Kampagne gegen Joe Biden. (imago images/UPI Photo)
Neues Feindbild: In der Türkei läuft eine Kampagne gegen Joe Biden. (imago images/UPI Photo)

Die Türkei gräbt ein altes Interview aus, um eine Kampagne gegen Joe Biden zu starten. Geht es nach ihr, soll Trump im Weißen Haus bleiben.

„Ich habe viel Zeit mit ihm verbracht. Er ist ein Autokrat.“
(Joe Biden)

Diese Sätze stammen aus einem Interview mit dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und sie kursieren seit einigen Tagen in der Türkei. Sie sorgen für viel Furore, auf Twitter wurde das Interview unter den türkischen Nutzern diese Woche zum beliebtesten Thema.

Wie es scheint, gibt es im Land im Moment keinen größeren Aufreger – umso kämpferischer gibt sich die Regierungspresse auf den Titelseiten der Presse, um die längst aufgehetzte Meute noch weiter zu anzustacheln.

Yeni Safak gab den Ton an und bediente reißerisch türkische Verschwörungstheorien, wonach hinter dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 in Wahrheit die USA gestanden wären: „Mit wem werdet ihr dieses Mal putschen?“ Türkgün verlegte sich auf Beleidigung: „Dreckskerl“. Und Ahaber fragte besonders dreist und hetzerisch: „Wer ist Joe Biden? Ist er ein Jude?“

Biden spricht Klartext

Was war geschehen und was versetzte die türkische Kampfpresse dermaßen in Rage? Im Dezember 2019 äußerte sich Joe Biden in der Reihe „The Weekly“ der New York Times unter anderem zur Türkei. Dieses Interview, das erst am 17. Januar dieses Jahres veröffentlicht wurde, fand monatelang in der Türkei keinerlei Beachtung. Erst jetzt wurde es aus den Archiven herausgeholt, obwohl die türkische Nachrichtenagentur Anadolu dazu bereits Ende Mai eine Analyse veröffentlicht hatte.

Das Video geht nun viral und sorgt parteiübergreifend für großen Aufschrei. Das türkische Gemüt empört sich vor allem über folgenden Aussagen: „Ich denke, wir müssen einen anderen Ansatz für ihn [Erdoğan] wählen. Wir müssen klar sagen, dass wir die Führer der Opposition unterstützen. (…) Wir sollten darüber sprechen, was wir für falsch halten. Sie [die türkische Regierung] sollte für das bezahlen, was sie getan hat.“

Biden äußerte sich auch zum Russland-Geschäften der Türkei, insbesondere zum Kauf des Luftabwehrsystems S-400, obwohl die USA Sanktionen angedroht hatten, sollte er wirklich über die Bühne gehen. „Er [Erdoğan] muss einen Preis dafür zahlen, ob wir unsere Waffen an ihn verkaufen oder nicht. Besonders wenn wir bedenken, dass sie ein Luftverteidigungssystem von Russland bekommen haben. (…) Ich bin sehr besorgt darüber.“ Und weiter hieß es: „Aber wir können immer noch, wie ich es in der Vergangenheit getan habe, direkt mit ihnen [der Opposition] kommunizieren, ihre noch vorhandenen Kräfte unterstützen und sie ermutigen, Erdoğan zu besiegen. Nicht durch einen Putsch, sondern durch Wahlen.“

Türkische Reaktionen

Bidens Äußerungen basierten auf „purer Ignoranz, Arroganz und Scheinheiligkeit“, twitterte der Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, İbrahim Kalın auf Englisch und fügte drohend hinzu: „Die Zeiten, in denen die Türkei herumkommandiert werden konnte, sind vorbei. Wer das versucht, wird den Preis dafür bezahlen“. Erdoğans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun pflichtete bei und befand, die Äußerungen Bidens spiegelten eine „interventionistische Haltung“ wider.

Auch die türkische Opposition hielt sich nicht zurück, obwohl ihr von Biden Unterstützung angekündigt worden war. Überrannt von der aktuellen Kampagne der Regierung, klagte sie ebenso Biden an, stellvertretend für die größte Oppositionspartei CHP forderte deren Sprecher Faik Öztrak „Respekt für die Souveränität der Türkei“. Biden habe sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei nicht einzumischen.

Der gesuchte äußere Feind

Nachdem weder die jüngste Kampagne gegen Griechenland noch die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee in der türkischen Wählerschaft spürbar gefruchtet hatten, die Zustimmungswerte für die Regierung also nicht steigen, sondern eher sinken, sucht die türkische Regierung händeringend nach einem neuen Feind.

Ausschlaggebend für die empörten Reaktionen aus den türkischen Regierungskreisen könnte deshalb die nicht geringe Chance sein, dass Joe Biden die US-Präsidentschaftswahl im kommenden November gewinnt. Dabei gehört Biden unter den Demokraten nicht unbedingt zu den schärfsten Kritikern der türkischen Regierung, verglichen etwa mit Äußerungen des demokratischen Senators Chris Van Hollen ist er äußerst moderat.

Erschwerend kommt hinzu, dass die türkische Regierung in den vergangenen Monaten alle ihre Karten auf US-Präsident Donald Trump gesetzt hat, wohl wissend, dass ihr heftiger Wind entgegenblasen könnte, wenn es nach anderen Republikanern und vielen Demokraten geht: Es drohen harte Sanktionen nach dem „Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act“, einem Gesetz, demzufolge bereits bestehende Sanktionen gegen den Iran, Russland und Nordkorea verschärft werden sollen – bislang sind sie am Widerstand von Trump gescheitert.

Dass nun so scharf auf Biden geschossen wird, hat also einen Grund: Die türkische Regierung fürchtet, dass ein Präsident Biden ihr deutlich weniger Wohlwollen entgegenbringen würde als Präsident Trump. Unbegründet ist diese Sorge nicht.

Wie Murat Yetkin, der ehemalige Herausgeber der Hurriyet Daily News, mutmaßt, könnte hinter dem aktuellen Manöver der türkischen Regierung das Ziel stehen, Biden in eine schwierige Situation zu bringen, und ihn dazu zu drängen, sich persönlich für seine Aussagen bei Erdoğan zu entschuldigen. Biden hatte als Vizepräsident unter Obama bereits zweimal sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass er Erdoğan einmal falsch zitiert und nach dem Putschversuch 2016 die Türkei nicht eher besucht habe.

Bis heute kursieren in der Türkei Verschwörungstheorien, die den USA unterstellen, hinter dem Putschversuch zu stecken. Washington 2016 habe demnach nicht nur zögerlich reagiert, sondern in Wahrheit aktiv daran mitgewirkt, versucht, die türkische Regierung zu stürzen – und daran soll Biden maßgeblich beteiligt gewesen sein.

Eine „Freundschaft“, wie Trump sie versteht

Anders als sein Kontrahent Biden findet Donald Trump für den türkischen Führer immer wieder schmeichelnde Worte. Biden könne, so Trump Anfang dieser Woche einem „erstklassigen Schachspieler“ wie Erdoğan nicht standhalten. Im Gegensatz zu Biden kenne er den türkischen Präsidenten und wisse, wie mit ihm umzugehen sei.

In der Vergangenheit hat Trump mehrfach bekräftigt, dass er und Erdoğan „gute Freunde“ seien. Wobei eine Freundschaft nach dem Gusto Trumps stets mit Vorsicht zu genießen ist – unvergessen ist der demütigende Brief vom Oktober 2019, in dem er Erdogan vor einem türkischen Einmarsch in Syrien warnte, ihm andernfalls drohte, „die türkische Wirtschaft zu zerstören“, und mit den Worten schloss: „Spielen Sie nicht den harten Mann. Seien Sie kein Narr!“

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