„Nur wenige Menschen im Irak wissen genau, was vor [78] Jahren in Bagdad geschah. Doch am 1. und 2. Juni 1941 ereignete sich etwas, was in der Stadt zuvor undenkbar war. Mobs griffen die wohlhabende und einflussreiche jüdische Gemeinde in der Hauptstadt an, töteten mehr als 100 Menschen und plünderten die Häuser. Nach dieser Orgie des Mordens und des Plünderns, war die jüdische Gemeinde derartig traumatisiert, dass sie sich niemals davon erholen sollte. Innerhalb von 10 Jahren würde die überwiegende Mehrheit das Land verlassen und nur eine Handvoll Menschen zurückbleiben, die heute die leere Synagoge der Hauptstadt pflegen. Die zwei Tage des Terrors sind im Irak als Farhud bekannt, das arabische Wort für Plünderung oder Beraubung eines Feindes. Die meisten Iraker wissen jedoch sehr wenig über das Ereignis, da in den Geschichtsbüchern des Landes nur selten davon die Rede ist. Diejenigen Schriftsteller, die diese Tage erwähnen, stellen die Gewalt einfach als Ergebnis der ‚zionistischen Aktivitäten‘ der jüdischen Gemeinde im Irak dar, ohne näher darauf einzugehen. (…)
Das Ausbrechen der Farhud war insbesondere schockierend, da angesichts der 1000-jährigen Geschichte der Juden im Irak niemand jemals damit rechnen konnte. Zum Zeitpunkt des Pogroms machten die Juden rund drei Prozent der irakischen Bevölkerung aus. Rund 90.000 Menschen lebten in der Hauptstadt. Viele waren im Geschäftsleben erfolgreich, viele arbeiteten als Beamte in der von Großbritannien eingesetzten Regierung und viele gehörten zu den führenden intellektuellen und kulturellen Persönlichkeiten des Landes. (…)
[Im Irak] unterstützte Berlin im April 1941 einen anti-britischen Putsch, der von dem Nationalisten Rashid Ali al-Gaylani – einem Verbündeten von [Mohammed Amin al-]Husseini [dem Großmufti von Jerusalem] – angeführt und von hochrangigen Armeeoffizieren unterstützt wurde. Der Putsch stürzte die schwache haschemitische Monarchie des Landes, die ursprünglich aus der saudi-arabischen Region Hejaz stammte und weithin als Londons Marionette galt. Der Putsch wurde bald von britisch geführten indischen und arabischen Legionstruppen unterdrückt, die Bagdad am 29. Mai Bagdad erreichten. Aber die Kombination des gescheiterten Putsches mit der der von Husseini verbreiteten nationalsozialistischen und antijüdischen Propaganda, erwies sich für die jüdischen Einwohner von Bagdad als fatal.
Was genau das Pogrom auslöste ist nicht bekannt, aber möglicherweise feierte die jüdische Gemeinde am 1. Juni ihr jährliches Erntefest, Shavuot. Die Faschisten nutzten den Anblick der feiernden Juden und sagten, dass sie das Scheitern des Putsches feiern würden. Die Möglichkeit zum Losschlagen ergab sich, als britische Truppen vor Bagdad standen und darauf warteten, dass die royalistischen irakischen Soldaten zuerst in die Stadt einrücken, womit ein Machtvakuum vor Ort entstand.“ (Karam Mnashe / Charles Recknagel: „Remembering The Farhud, The Pogrom That Ended Iraqi Jewish Life“)