Familienzusammenführung: Neues Hindernis im Hürdenlauf der israelischen Koalition

Bislang hat die israelische Regierung keine Mehrheit für ihren Erlass zur Familienzusammenführung
Bislang hat die israelische Regierung keine Mehrheit für ihren Erlass zur Familienzusammenführung (© Imago Images / UPI Photo)

Seit Vereidigung der Regierung sind drei Wochen verstrichen. Obwohl alle Koalitionspartner eifrig an ihre neuen Aufgaben gingen, gab es nicht nur Startschwierigkeiten, sondern immer wieder tauchen neue Herausforderungen auf.

Israels neue Regierung, die einem parteipolitisch-ideologischen Spagat gleichkommt, rang mit Startschwierigkeiten, an die sich ein Hürdenlauf von Herausforderung zu Herausforderung anschließt.

Dabei kommt nicht nur zum Ausdruck, dass Parteien der Rechtskonservativen zusammen mit mittig und liberal orientierten Parteien eine Koalition mit Arbeitspartei und bürgerrechtsbewegter Meretz eingingen, sondern das Konglomerat ist zudem auf die Unterstützung der arabischen Partei Ra’am angewiesen ist.

Ra´am als mit der Islamischen Bewegung Israels zu identifizierende Partei, die u.a. Ziele deklariert, die nicht mit dem Wesen des jüdischen Staates konform gehen, ist „Zünglein an der Waage“. Partei-Chef Mansour Abbas versucht, diese Position zu festigen, ohne dabei zu große Risiken einzugehen. Er vollführt auf einen Drahtseilakt und muss mit seiner tolerierenden Partei zugleich, genau wie alle anderen, den Hürdenlauf der Koalition mitabsolvieren.

Koalitionscredo

Mit Abschluss der Koalitionsabkommen bekundeten die Partner, nicht auf ideologische Prinzipien zu pochen, sondern Kompromissbereitschaft in den Vordergrund zu rücken, um zum Funktionieren der Regierung beizutragen. Der parlamentarische Alltag zeigt jedoch, dass das gar nicht so einfach ist und weitaus mehr Faktoren als bloß Parteipolitik eine Rolle spielen.

Hintergrund des holperigen Startschusses

Als die Knesset über die Einsetzung der neuen Regierung abstimmte, scherte der Ra’am-Abgeordnete Said al-Kharumi aus. Obwohl Ra’am sich geschlossen an die Seite der Regierung gestellt hat, wollte er nicht Pro Regierung stimmen. Das ließe seine Identität als Beduine nicht zu, so seine Erklärung.

Schon vor längerer Zeit war für die Tage nach Amtsantritt der neuen Regierung eine Abrissaktion für rund 30 Gebäude ohne Baugenehmigung in dem lange nicht anerkannten beduinischen Dorf Bir Hadajsh südlich von Be’er Sheva angesetzt.

Die gegenwärtige Lage wird durch den Umstand zugespitzt, dass durch die Eingemeindung in die Kommunalverwaltung vor fast 20 Jahren zwar die Anerkennung des dorfs selbst erfolgte, sich vor Ort jedoch kaum etwas verändert, geschweige denn verbessert hat.

Beduinische Rücksichnahmen

Als Beduine fordert al-Kharumi, dass die tradierten Siedlungsregionen der Beduinen in der Negev-Wüste anerkannt und keine Bauten seiner Community abgerissen werden. Die laut Koalitionsvertrag zugesicherte Anerkennung von drei beduinischen Dörfern gilt als einer der Erfolge, die diese Gemeinschaft durch die Ra’am-Regierungsbeteiligung errang. Dazu gehört zudem die Aussetzung des Kaminitz-Gesetzes, das Verstöße gegen geltende Bauvorschriften harsch ahndet.

Doch al-Kharumi hatte noch weitere Gründe für sein Abstimmungsverhalten: Wenn in der beduinischen Gesellschaft die Stammesoberhäupter Loyalität mit einer Partei bzw. einem Abgeordneten deklarieren, so bringt das ein Wahlergebnis wie es Ra’am in Bir Hadajsh erzielte: mehr als 96% der Stimmen gingen an die Partei.

Obwohl Einwohner des Dorfes betonten, dass die neue Regierung nicht für die Abrissbefehle verantwortlich ist, bangt al-Kharumi um Ruf und parlamentarische Zukunft. Hinzufügen darf man wohl ein weiteres pikantes Detail: Unter den von den Abrissbefehlen Betroffen in Bir Hadajsh sind auch al-Kharumis Mutter und einer seiner Brüder.

Reaktionen der Toleranz und Schadenfreude

Die Koalition hielt sich taktvoll mit Kommentaren zur Blamage, die al-Kharumis Abstimmungsverhalten verursachte, zurück; offiziell zumindest, denn in den rechtskonservativen Parteien war man außer sich.

Ra’am-Chef Mansour Abbas brachte Verständnis für die u.a. identitätsgeprägte Entscheidung seines Parteimitgliedes auf. Andere arabische Abgeordnete von Meretz und Arbeitspartei äußerten ebenfalls Verständnis, hätten aber dennoch erwartet, dass der beduinische Abgeordnete über seinen Schatten springt.

Obwohl auch die Opposition einst mit Ra’am verhandelt hat, hänselte man in diesen Reihen schadenfroh, davor gewarnt zu haben, dass man sich auf „so einen Partner nicht verlassen kann.“

Nicht enden wollende Zerreißproben

Die Regierungskoalition nahm bereits mehrfach Anläufe, einen Erlass zu verlängern, der schlichtweg aus Termingründen ansteht. Seit 2003 hat die Knesset einmal im Jahr über die Unterbindung der Familienzusammenführung arabischer Bürger des Staates Israel mit Angehörigen – zumeist Ehepartnern – aus dem Westjordanland und aus Gaza abzustimmen.

Innenministerin Ayelet Shaked (Jamina) mag nicht daran denken, dass eintritt, was der juristische Berater der Regierung, Avichai Mendelblit, vorhersagte: Wird der Erlass nicht verlängert, werden Zehntausende Palästinenser Verfahren zur Familienzusammenführung anstreben.

Dem Erlass liegen zweifelsohne demografische Aspekte zugrunde. Die Unterbindung der Familienzusammenführung steht dem demokratischen Israel jedoch gar nicht gut zu Gesicht, weshalb Sicherheitsaspekte in den Vordergrund gerückt wurden. Laut Angaben von 2018 durchaus nicht zu Unrecht, denn ein nicht unerheblicher Prozentsatz der zweiten Generation solcher Familienzusammenführungen fällt wegen terroristischer Aktivitäten auf.

Zudem kann niemand von der Hand weisen, dass bei Wegfall oder Lockerung des Erlasses erneut der „Frauenhandel“ aufblühen wird, denn die Höhe der für Frauen zu entrichtenden Mitgift ist in den palästinensischen Gebieten sehr viel niedriger als in Israel. Deshalb schauen sich gerade polygame Beduinen gerne in den Gebieten nach weiteren Bräuten um, was bei Palästinensern für Freude über die Finanzspritze sorgt.

Shaked ging anfänglich davon aus, dass die Opposition, der sie ideologisch nähersteht als den meisten ihrer Koalitionspartner, für den Erlass stimmen wird und eine Verlängerung gesichert ist. Sie hat aber fehlkalkuliert, denn Ex-Premier Netanjahu verkündete bereits im Vorfeld, dass die Opposition die Unterstützung verweigert. Er hat also nicht vergessen, wie man von den Bänken der Opposition Politik macht und einer Regierung das Leben erschwert.

Inmitten dieses Szenarios nahm sich Ra´am noch relativ harmlos aus, denn die Aufgeschlossenheit, die Partei-Chef Mansour Abbas bislang an den Tag legt, liße er auch bezüglich dieses Erlasses walten. Er stand zwar weiter für dessen Ablehnung ein, gab sich aber zuversichtlich, dass man Kompromisse finden könne, die den Erlass humaner gestalten, so dass seine Partei irgendwie damit leben kann.

Wie geht es weiter?

Doch in den Tagen vor der Abstimmung ereilten die Koalition weitere Hiobsbotschaften: Zunächst gab Meretz-Minister Issawi Frej bekannt, gegen die Verlängerung zu stimmen. Er als arabischer Bürger könne nicht für einen diskriminierenden Erlass stimmen, auch wenn ihn das seinen Ministerposten koste. Vor dem Wochenende entschied die Meretz-Fraktion, seiner Haltung geschlossen zu folgen.

Anders sah es in der Arbeitspartei aus, deren arabische Abgeordnete Ibtisam Mara’ane-Menuchin meinte: „Ich bin gegen den Erlass, er muss geändert werden und ein humanes Antlitz bekommen. Dennoch werde ich nicht dagegen stimmen. Ich habe mich der Koalition angeschlossen, um etwas zu verändern, nicht um gleich wieder alles zu zerstören.“

Es scheint ein typisch hausgemachter israelischer Krimi, der diese Woche in die nächsten Runden geht. Im Arrangement Committee konnte die Koalition gestern keine Mehrheit für die Verlängerung erringen, so dass der Erlass zur Abstimmung in die Knesset weitergereicht wird. Einige sehen das als Sieg der Opposition an, die schon jetzt plant, ein Misstrauensvotum daraus zu machen.

Zwei Misstrauensvoten hat die Koalition bereits gut überstanden; es ist also kein völliger Zitterakt. Die bei diesen Angelegenheiten mitschwingenden Aspekte veranschaulichen jedoch, dass nicht alle Zerreißproben ausschließlich auf Parteipolitik zurückzuführen sind, sondern viele Faktoren der israelischen Gesellschaft eine Rolle spielen.

Egal wie die Sache rund um den Erlass nun letztlich ausgehen wird: im Gegensatz zu den fast automatischen Verlängerungen der letzten Jahre führt die gerade lebhaft geführte Debatte zumindest vor Augen, dass die israelische Demokratie quicklebendig ist.

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