„Nun wird also erneut der Begriff der ‚Islamophobie‘, der im kolonialen Vokabular des 19. Jahrhunderts geprägt und von den Mullahs aus Teheran zur ideologischen Waffe geschmiedet wurde, zum Instrument der Zensur gemacht. Was bedeutet dieser Terminus? Dass jede Kritik am Islam rassistisch ist. Denn die Religion des Propheten ist als einzige unberührbar: Man hat das Recht das Christentum, das Judentum, den Buddhismus, den Hinduismus zu kritisieren, den Papst, die Rabbiner, den Dalai Lama zu verspotten, aber nicht den Islam, der sich in den Mantel der verfolgten Unschuld hüllt. Vor allem sollen wir ihn nicht nach unseren westlichen Kriterien beurteilen, sondern ihm die Klausel der verfolgtesten aller Religionen zugutehalten und all seine Exzesse übergehen. … Intellektuelle, aber auch religiöse Muslime – Frauen wie Männer –, die es wagen, ihr eigenes Bekenntnis zu kritisieren, den Fundamentalismus zu attackieren, eine theologische Reform und die Gleichheit der Geschlechter zu fordern, sollen zum Schweigen gebracht werden. (…)
Das Verbrechen Kamel Daouds ist das des Apostaten und Verräters. Er ist schuldig, sein eigenes Lager verraten und gesagt zu haben, dass die europäische Kultur auch eine der Emanzipation ist. Was dem westlichen Intellektuellen erlaubt ist – sich von seinen Wurzeln zu distanzieren – ist dem maghrebinischen Intellektuellen verboten. Er muss im Einklang mit seiner Herkunftskultur leben und seine Giftpfeile für das verfluchte Europa reservieren. (…)
Im gerührten Ton reicher Menschen, die den Armen erklären, dass Geld nicht glücklich macht, errichten unsere Petitionäre eine Art legaler Apartheid in der intellektuellen Arbeitsteilung: Uns europäischen Autoren und Intellektuellen im Komfort unserer Metropolen das Joch unserer Freiheit und die traurige Pflicht, Europa, das Recht auf Unglauben, Selbstverwirklichung, Geschlechtergleichheit zu geißeln, und euch die Freuden der Sitten und Gebräuche, der Zwangsheiraten, der Todesstrafe für Apostasie, des Glaubenszwangs.“
Der französische Intellektuelle Pascal Bruckner über den Fall Kamel Daoud: „Neokoloniale Verachtung“
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