Die Jahrhunderte andauernde Versklavung von Europäern durch Piraten aus Nordafrika ist bis heute ein schlecht erforschtes Thema.
Beat Stauffer, Neue Zürcher Zeitung
Dass auch Europäer Opfer von Sklaverei geworden sind, scheint aus heutiger Perspektive kaum nachvollziehbar. Die Eroberung der Welt durch europäische Kolonialmächte und der transatlantische Sklavenhandel haben diesen Aspekt der Geschichte des Mittelmeerraums vollkommen in Vergessenheit geraten lassen.
Doch die Raubzüge von Piraten aus den sogenannten Barbareskenstaaten, den osmanischen Regentschaften Algier, Tunis und Tripolis und dem Sultanat Marokko, sind gut dokumentiert. All diese fragilen Staatsgebilde lebten zur Hauptsache von Piraterie, Raub und Lösegelderpressung. Zwischen 1530 und 1780, so schätzt der amerikanische Historiker Robert C. Davis, sollen zwischen 1 und 1,25 Millionen Europäer – größtenteils Männer – verschleppt und versklavt worden sein. (…)
Nur wenige Historiker haben sich bisher dieses Kapitels der Geschichte angenommen. Manche Forscher zweifeln auch die Schätzungen und Hochrechnungen über die Zahl der versklavten Europäer an. Sie halten die Datenlage für zu unsicher, um zuverlässige Schätzungen vorzunehmen, und verweisen auf die nur beschränkte Aussagekraft der Zeugnisse freigelassener Sklaven. Dennoch ist es erstaunlich, dass der Sklavenhandel in umgekehrter Richtung derart aus dem Blickfeld der Forschung und dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist.
(Aus dem Artikel „300 Jahre lang versklavten Piraten aus dem Maghreb Hunderttausende von Europäern. Warum wissen wir so wenig darüber?“, der bei der Neuen Zürcher Zeitung erschienen ist.)