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EU muss gesamte Hisbollah als Terrororganisation einstufen

Ist die iranische Stellvertreter-Miliz Hisbollah eine legitime politische Organisation?
Ist die iranische Stellvertreter-Miliz Hisbollah eine legitime politische Organisation? (© Imago Images / Xinhua)

Laut Europäischer Union ist die im Libanon verwurzelte und vom Iran unterstützte Hisbollah halb Terrorgruppe, halb politische Partei – womit sie diese zu einer legitimen politischen Organisation erklärt.

Ben Cohen

Mehr als zehn Jahre nachdem fünf israelische Touristen bei einem Selbstmordattentat in einem bulgarischen Ferienort ums Leben gekommen waren, bestätigte der Oberste Gerichtshof des Balkanlandes kürzlich das Urteil gegen zwei Hisbollah-Aktivisten: lebenslange Haft ohne Aussicht auf Bewährung.

Das Urteil wäre allerdings aussagekräftiger gewesen, befänden sich die beiden Terroristen tatsächlich in Haft. Doch wie schon beim ersten Prozess vor fünf Jahren wurde das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Abwesenheit gefällt. Die Aufenthaltsorte von Meliad Farah, ein australisch-libanesischer Doppelstaatsbürger, und Hassan El Hajj Hassan, der einen kanadischen Pass besitzt, sind nach wie vor unbekannt.

Der Anschlag selbst ereignete sich am 18. Juli 2012 auf dem Flughafen von Burgas, einer Stadt an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Ein Bus mit 42 israelischen Touristen, die gerade aus Tel Aviv gelandet waren, wurde von einem Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, wobei Maor Harush, Itzik Kolangi, Amir Menashe, Elior Preiss und Kochava Shriki, eine schwangere Frau, sowie der bulgarische Fahrer des Busses, Mustafa Kyosov, ums Leben kamen.

Ein Jahr nach Beginn der Untersuchungen der Gräueltat kam die bulgarische Regierung zu dem Schluss, dass die vom iranischen Regime unterstützte Hisbollah für die Tat verantwortlich war. Die Staatsanwaltschaft legte offen, dass sowohl Farah als auch Hassan etwa einen Monat vor dem Anschlag mit falschen Papieren nach Bulgarien eingereist waren, ebenso wie der Bombenleger Mohamad Hassan El-Husseini, ein französisch-libanesischer Doppelbürger, dessen Überreste durch eine DNA-Analyse identifiziert wurden.

Es wird davon ausgegangen, dass sowohl Farah als auch Hassan unmittelbar nach dem Attentat aus Bulgarien geflohen sind. Seitdem hat man nichts mehr von ihnen gehört. Die beiden Männer, die 2018 erstmals wegen Beihilfe zu Terrorismus angeklagt wurden, wurden im September 2020 verurteilt. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, El-Husseini den Sprengsatz und logistische Unterstützung zur Verfügung gestellt zu haben und erklärte, die Beweise würden sie mit der Hisbollah in Verbindung bringen.

Absurde Zweiteilung

Der Anschlag warf damals ein neues Licht auf die militärische, finanzielle und politische Unterstützung, die der Iran der Hisbollah im Libanon und anderen terroristischen Organisationen im Nahen Osten leistet. Er führte auch dazu, dass die Europäische Union eine neue Politik einschlug, die allerdings von vielen Beobachtern als logisch unausgegoren und moralisch schwach verurteilt wurde. Im Jahr 2013 stimmte die EU dafür, den »militärischen Flügel« der Hisbollah als terroristische Organisation einzustufen, nicht jedoch ihren »politischen Flügel«.

Diese Zweiteilung der sich selbst als einheitlich verstehenden Hisbollah existiert allerdings nur in der Vorstellung der EU, und das europäische Beharren darauf untermauert den falschen Glauben, die Hisbollah wäre eine legitime Organisation, gäbe sie nur ihre militärischen Operationen auf – als ob politisches Engagement allein eine Gruppe zufriedenstellen würde, die sich dem Dschihad verschrieben hat und für den Tod Tausender Unschuldiger verantwortlich ist.

Die aktuelle Entscheidung des bulgarischen Obersten Gerichtshofs im Fall Burgas bietet der EU nun eine wichtige und zur rechten Zeit kommende Gelegenheit, ihren Fehler zu korrigieren. Die Hisbollah sollte in ihrer Gesamtheit als Terrororganisation eingestuft werden, so wie es die USA 1997 getan haben.

Bedrohung für Israel

Obwohl es an Israels Nordgrenze seit einigen Jahren relativ ruhig ist, bleibt die Bedrohung durch die Hisbollah spürbar. Wie schon während des erbitterten Konflikts im Jahr 2006 ist die iranische Stellvertretermiliz nach wie vor die mächtigste Terrororganisation der Welt. Sie verfügt über bis zu 25.000 Kämpfer und 30.000 weitere in Reserve, ist damit größer als die offizielle libanesische Armee, und trotzt einer Resolution des UN-Sicherheitsrats, welche die Entwaffnung und Auflösung ihrer militärischen Einheiten fordert.

Nach Schätzungen verfügt die Hisbollah über ein Arsenal von 150.000 Raketen. Außerdem rühmt sie sich regelmäßig damit, Israels militärische Strategie und Ziele entschlüsseln zu können. »Wenn eine neue Situation Israel zwingt, Maßnahmen zu ergreifen, können wir vorhersehen, was der Feind tun wird«, sagte einer ihrer hochrangigen Funktionäre im Jahr 2021 gegenüber dem Hisbollah-freundlichen Nachrichtenportal Al Akhbar.

Der Gedanke, die Hisbollah könnte irgendwann einmal zu Verhandlungen bereit sein, ist lächerlich. Ihre Lieblingspropaganda ist dieselbe wie die ihrer iranischen Zahlmeister: die Vorhersage, dass Israel gewaltsam von der Landkarte verschwinden wird und die arabischen und muslimischen Länder, die versucht sind, mit dem jüdischen Staat Frieden zu schließen, dies besser einsähen sollten oder die Konsequenzen tragen müssten. 

»Der Verlauf der Entwicklungen im besetzten Palästina zeigt, dass sich die Zionisten auf den Untergang und den Zusammenbruch zubewegen«, erklärte der Führer der Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, in einer Rede am 6. März. »Wir bekunden unsere Solidarität mit den palästinensischen Gefangenen und übernehmen in dieser Hinsicht unsere Verantwortung. Die gesamte muslimische Welt ist verpflichtet, die palästinensische Nation gegenüber dem israelischen Regime zu unterstützen.«

Russische Unterstützung

Gegenwärtig versucht die Hisbollah, einen für sich günstigen Ausweg aus der schweren politischen und wirtschaftlichen Krise des Libanons zu finden. Das Parlament des Landes hat nach dem Ende der Amtszeit von Michel Aoun im vergangenen Oktober noch keinen neuen Präsidenten ernennen können. Am 6. März bestätigte Nasrallah, sowohl die Hisbollah als auch Amal, eine weitere schiitische paramilitärische Organisation, würden den altgedienten Politiker Suleiman Frangieh für das Amt unterstützen.

Der 57-jährige Frangieh ist zwar Christ, stößt aber in großen Teilen der maronitischen Gemeinschaft im Libanon auf Misstrauen, ganz im Gegensatz zu seinem Hauptkonkurrenten, General Joseph Aoun, der ebenfalls Christ ist und die Unterstützung der Vereinigten Staaten genießt. So hat sich Frangieh als loyaler Anhänger des Regimes des syrischen Präsidenten Baschar Assad etabliert, das wie die Hisbollah vom Iran und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützt wird.

Obwohl Russland in der Vergangenheit behauptete, ein verlässlicher Partner Israels zu sein, hat Moskau die tödlichsten Gegner des jüdischen Staates aktiv protegiert, mit dem Ergebnis, dass der Iran das russische Militär mit Hunderten von Drohnen beliefert hat, die in der Ukraine gegen zivile Ziele eingesetzt werden. 

Ähnlich positiv ist die russische Haltung gegenüber der Hisbollah. »Manche sagen, die Hisbollah sei eine terroristische Organisation. Wir unterhalten Kontakte und Beziehungen zu ihr, weil wir sie nicht als terroristische Organisation betrachten«, erklärte der damalige stellvertretende russische Außenminister Michail Bogdanow rund um den Auftakt des Burgas-Prozesses. »Die Hisbollah wurde vom Volk ins libanesische Parlament gewählt«, so Bogdanow weiter. »Es gibt Kabinettsmitglieder und Minister, die der Hisbollah angehören. Sie ist eine legitime gesellschaftspolitische Kraft.«

Diese geschönte Sichtweise sollte im Westen nicht glaubwürdig erscheinen, zumal es sich um die offizielle Haltung eines Regimes handelt, dessen imperialer Appetit in Europa eine seit dem Zweiten Weltkrieg nie dagewesene Instabilität verursacht hat. Die EU vertritt nach wie vor den Standpunkt, die Hisbollah sei halb eine Terrorgruppe und halb eine politische Partei. Angesichts der Gräueltaten in Bulgarien vor einem Jahrzehnt und des jetzigen Gemetzels in der Ukraine muss diese Position sofort geändert werden. Es gäbe keine politischen Strafmaßnahmen, würde die EU diesen Wandel vollziehen; was sie vor allem überwinden muss, ist ihre eigene Zurückhaltung.

Ben Cohen ist ein in New York lebender Journalist und Autor, der eine wöchentliche Kolumne über jüdische und internationale Angelegenheiten für Jewish News Syndicate schreibt. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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