„Es tobt ein antiisraelischer Informationskrieg“

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Der Kampf im Nahen Osten wird nicht nur mit physischen Waffen geführt. Der Politologe Leo Sucharewicz spricht von einem antiisraelischen Informationskrieg. Yvette Schwerdt befragte ihn zu den psychologischen Aspekten in diesem mächtigen Gefecht.

Yvette Schwerdt (YS): Sie sind Politologe und spezialisiert auf Politische Psychologie  Wie unterscheidet sich Ihre Sicht auf den Nahen Osten von der anderer Beobachter und Experten?

Leo Sucharewicz (LS): Die Perspektive unterscheidet sich nicht grundsätzlich. Ich berücksichtige nur zusätzlich die psychologischen Determinanten.

YS: Von welchen psychologische Determinanten sprechen Sie?

LS: Es gibt für jeden politischen Akteur Motive und Motivationen. Die einen sind vordergründig, die anderen nur psychologisch erklärbar. Allerdings müssen die Letzteren identifiziert und analysiert werden.

Psychologische Entschuldung

YS: Ein Beispiel bitte.

LS: Nehmen Sie die Israel-Obsession mancher Medien, etwa jene des SPIEGEL. Das Magazin ist geprägt von Rudolf Augstein, der mehrere frühere Nazigrößen in seine Redaktion holte. Für sie bot Israels Besetzung des Westjordanlands und was die palästinensische Propaganda daraus machte eine historische Gelegenheit der psychologischen Entschuldung.

YS: Meinen Sie, dass damit die Nazizeit in gewisser Weise relativiert werden konnte? Das muss als eine Art von Erleichterung für viele gedient haben. 

LS: Richtig. Man kann nach 1945 zutreffend von einem kollektiv-empfundenen Schuldgefühl der Deutschen sprechen. Unsichtbar, aber permanent vorhanden. Zu Beginn kaum diskutiert, aber wirkungsmächtig. Die aus der Nazizeit belasteten SPIEGEL-Redakteure hatten ein Magazin mit Massenwirkung zur Verfügung. Sie konnten diesen Entschuldungseffekt verbreiten und manipulativ bei einer großen Leserschaft zementieren. Je heftiger die Kritik an Israel, je mehr Vorwürfe aus den Artikeln hervorgingen, desto stärker die Relativierung der eigenen Verbrechen und der Naziepoche im Allgemeinen.

YS: Sprechen Sie von einem bewussten oder unbewussten Phänomen?

LS: Generell sprechen wir von einem psychologischen Reflex, der bei den meisten Menschen unbewusst wirkt. Das gilt für Kinder und Kollektive gleichermaßen. Bei den SPIEGEL-Redakteuren will ich nicht ausschließen, dass die Entschuldungswirkung sehr wohl bewusst genutzt und sogar herbeigeführt wird.

YS: Besteht der Wunsch nach Relativierung der Naziverbrechen denn nicht nur in Deutschland?

LS: Nein, dieser Wunsch geht weit über Deutschland hinaus. Das hat die palästinensische Propaganda längst begriffen und nutzt die Klaviatur antisemitischer Klischees, um international zu punkten. Das geht bis hin zum perfiden Vergleich Israels mit dem Nazi-Regime. Flüchtlingslager werden als KZs bezeichnet, auch wenn sie sich ausschließlich in arabischen Ländern befinden. Oder nehmen Sie den Terminus Völkermord: er taucht in der palästinensischen Propaganda gegen Israel inflationär auf – auch wenn aus 700.000 Palästinensern mittlerweile 5 Millionen geworden sind.

YS: Wie wollen Sie der psychologischen Manipulation entgegentreten?

LS: Den Reflex selbst kann man nicht verhindern. Je größer das kollektive Schuldempfinden, desto größer die Versuchung, zur Israel-Kritik zu greifen. Je vertiefter eine antisemitische Grundhaltung, desto bereitwilliger die Übernahme antiisraelischer Desinformation. Jedoch kann die Wirkung eingedämmt werden. Dazu muss der psychologische Zusammenhang und die Wirkungsweise in der Öffentlichkeit thematisiert und erklärt werden. Diese Thematisierung findet bisher kaum statt.

YS: Meinen Sie nicht, dass die Bedeutung der Entschuldung mit der Zeit auf natürliche Weise abnehmen wird?

LS: Ja und nein. Die Befindlichkeit der kollektiven Seele ändert sich nicht innerhalb von drei Generationen. Unterschätzen Sie die Halbwertzeit kollektiver Traumata nicht. Denken Sie nur an Südkorea und Japan, China und Japan, die Baltischen Staaten und Russland, Polen und Russland. Von einem ubiquitären, traumatischem Massenverbrechen nicht zu reden.

Doppelte Standards

„Es tobt ein antiisraelischer Informationskrieg“
Von Palästinensern entführte Flugzeuge (Quelle: Wikipedia, Gemeinfrei)

YS: Die Entschuldung bleibt, Ihrer Meinung nach, also als psychologisches Element erhalten. Gibt es noch andere relevante Determinanten?

LS: Natürlich. Verschiedene Gefühle spielen mit, die zur gleichen Verhaltensorganisation führen. Der Ölboykott arabischer Staaten 1973 stellte den Wohlstand Europas in Frage. Dem palästinensischen Terror in den `70ern mit Anschlägen und Flugzeugentführungen versuchten europäische Staaten durch Vereinbarungen mit den Terrororganisationen zu entgehen. Willi Brandts „Wandel durch Annäherung“ hatte auch eine nahöstliche Facette. Der erwachende arabische Markt mit 300 Millionen Konsumenten war für die deutsche Exportindustrie vielversprechender als drei Millionen Israelis.

All dies führte zu einer politisch-interessenbasierten Distanzierung von Israel. Und damit zu schlechtem Gewissen gegenüber dem von Feinden umzingelten, demokratischem sowie ethisch und kulturell Nahestehenden. Schlechtes Gewissen ist ein mächtiges Gefühl, das zu erstaunlichen Verhaltensmustern führt. Man beurteilt denjenigen strenger, manchmal unbarmherziger, der das Schuldgefühl auslöst. Das ist der psychologische Hintergrund vieler empörender Fälle, in denen Israel kritisiert wird, weil ein Terrorist erschossen wurde, während derIran und andere Staaten mit tausenden von staatlichen Todesopfern nicht angeprangert werden.

YS: Das nennt man dann wohl Doppelstandard. 

LS: Der Doppelstandard ist eine unmittelbare Folge. Aber lassen Sie mich noch einmal auf den Punkt „verschiedene Gefühle – gleiche Richtung“ zurückkommen. Dem israelkritischen, emotionalen Mix folgen heute auch Tabubrüche. Radikale Palästinenser brüllen in Berlin „Hamas Hamas, Juden ins Gas“ oder „Kindermörder Israel“. Und die Holocaust-Fantasien des Irans muss man gar nicht erst zitieren. Die „echten“ Nazis fühlen sich bei solchen Tabubrüchen wie von Fesseln befreit. Und schließlich: Wer kritisiert, erhöht sich damit. Das ergibt insgesamt einen toxischen psychologischen Cocktail, der bisher nicht mal im Ansatz neutralisiert wurde.

YS: Wie kann man diesen psychologischen Cocktail entkräften? Welches Thema müsste ganz praktisch und primär behandelt werden?

LS: Anzufangen ist mit dem antisemitischen, memetischen Ballast – Quadrillionen von Bits und Bytes antisemitischer Informationen aus kirchlichen, ideologischen und rassistischen Richtungen, die sich über die Jahrhunderte angehäuft haben. Dieser Informationsballast besteht aus Verleumdungen, die zu tief verankertem „Wissen“ über Juden mutierten. Dieses vermeintliche „Wissen“ prägt die gesellschaftspolitische Haltung und wird schließlich Teil der eigenen Identität.

YS: Wie erklären Sie den Fortbestand antisemitischer Meme?

Meme werden von Generation zu Generation weitergegeben wie Grimms Märchen. Sie sind konserviert in hunderttausenden von Schriften undwerden heute ergänzt durch tausende von antisemitischen und antiisraelischen Websites und Blogs. Diese memetische Basis ist eine Realität im Kopf – auch der Mehrheitsbevölkerung. Sie erleichtert die antiisraelische Propaganda von Palästinensern, Linksextremen und Neonazis, die bewusst oder unbewusst antisemitische Meme in antiisraelische Informationen umkanalisiert haben. Damit waren sie erfolgreich.

Gegenstrategien

„Es tobt ein antiisraelischer Informationskrieg“YS: Also zurück zu meiner Frage: Was tun? Kann man sich überhaupt dagegenstemmen? Und wie?

LS: Man kann, indem man im Prinzip das Gleiche tut, nämlich Meme kreiert. Meme konkurrieren miteinander. Antiisraelische und antijüdische Meme bekämpft man mit pro-israelischen und pro-jüdischen Memen.

YS: Konkret? Wie sehen solche pro-israelischen und pro-jüdischen Meme aus? Wie produziert man sie am sinnvollsten?

LS: Meme sind Informationen, die so zutreffend, so unterhaltsam, so gewinnbringend, so spannend und so emotionalisierend sind, dass sie nach Verbreitung von den Empfängern direkt oder indirekt weitergeleitet werden. Wenn, beispielsweise, jemand mit ausgeprägtem Rechtsempfinden in irgendeiner Zeitung jetzt liest, Israel habe den Luftraum des souveränen Staates Libanon verletzt, kann er sofort einen Leserkommentar als Korrektiv verfassen. Darin beschreibt er deutlich den vorangegangenen Raketenbeschuss und macht den „Konter-Mem“ noch nachvollziehbarer, wenn er den geopolitische Kontext nicht nur beschreibt, sondern den Vergleich zu einem solchen Geschehen in „heimischen Gefilden“ zieht.

YS: Gibt es bestehende Aktionen, die im Meme-Wettkampf bereits Wirkung gezeitigt haben.

Ja. Denken Sie an die Ausstellung 1948, über die wir schon gesprochen haben. Sie zieht eigendynamisch ihre Kreise. Stadt für Stadt entlarvt und dekonstruiert sie die palästinensische Propaganda. Jetzt arbeitet der Trägerverein DEIN an einer neuen Ausstellung mit dem Titel: „Wir Juden.“ Die darin enthaltenen Meme bekämpfen die bekannten antijüdischen und antiisraelischen Vorurteile. Wir haben bei einer ersten Testreihe verblüffende Haltungsänderungen bei rechten Jugendlichen erlebt.

YS: Wie sieht es mit der palästinensischen Propaganda aus. Ist sie psychologisch überlegen?

LS: Leider ja und leider seit langem. In den `70ern und `80ern war man in Israel und der Diaspora noch stolz auf die hübschen Soldatinnen und tapferen Soldaten, während die Palästinenser längst den Pazifismus der Linken und der Mehrheitsgesellschaft für ihre Selbstdarstellung nutzten. Psychologisch geschickt richtet die palästinensische Propaganda ihre Meme-Produktion an differenzierten Zielgruppenpsychogrammen aus, z.B. an Problemen palästinensischer Frauen, die dann natürlich nicht unter häuslicher Gewalt und patriarchalischer Unterdrückung leiden, sondern unter der „Besatzung.“

YS: Welchen Rat geben Sie all jenen die gegen die anti-israelische und anti-jüdische Propaganda ankämpfen wollen.

LS: Zunächst müssen sie erkennen: Die Abwesenheit von Antisemitismus ist historisch gesehen eben nicht der Normalzustand, sondern repräsentiert Ausnahmephasen. Das ist psychologisch nicht ohne weiteres zu bewältigen, muss aber rational zu Konsequenzen führen. Wenn man sich dem Informationskrieg nicht entziehen kann, muss man darin performen: individuell und institutionell.

Danach geht es darum, Vorstellungsvermögen zu entwickeln. Sehen Sie, warnen kann man nur denjenigen, der sich die Gefahr vorstellen kann. Leser verändern ihre Haltung: Aus Information wird Wut, aus Wut Hass und aus Hass der Wunsch nach Vergeltung – bis hin zur Messerattacke am Checkpoint oder zum Überfall in Berlin. Offenbar versagt bei vielen dieses Vorstellungsvermögen. Tragisch, denn wenn Hass-Wording sichtbar wird, muss sofort gehandelt werden. Gleiches gilt im Übrigen auch für das Gegenteil: Erfolg kann man nur haben, wenn man sich den Erfolg vorstellen kann. Auch hier scheint die Vorstellungskraft unterentwickelt. Dabei könnte der Kampf gegen die Antiisrael-Propaganda erfolgreich geführt und gewonnen werden.

YS: Was macht Sie zuversichtlich?

LS: Israel hat mächtige Verbündete: die historische Wahrheit, die überlegenen Argumente, das Völkerrecht, die politische Moral, die Demokratie – um nur einige zu nennen. Selbst das Know-How ist vorhanden, wenngleich noch nicht verbreitet. Deshalb führt der DEIN e.V. auch Kurse in Politischer Psychologie durch. Außerdem sind in Deutschland allein, konservativ geschätzt, über eine Million Menschen ausgesprochen proisraelisch eingestellt.

YS: Vielen Dank für dieses Gespräch und besonders auch für den optimistischen Ausklang.

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