In einem jüdischen Viertel in Sydney hat eine weitere antisemitische Gewalttat die jüdische Gemeinde erschüttert. Vergangenen Mittwoch gab es dort eine schwere Brandstiftung, Sachbeschädigung und antisemitische Schmierereien.
Der Vorfall im östlichen Vorort Woollahra ereignete sich zwei Tage nachdem die australische Bundespolizei eine Task Force mit dem Namen »Avalite« eingerichtet hatte, um die zunehmenden antisemitischen Verbrechen im ganzen Land wie den verheerenden Brandanschlag auf die Adass-Israel-Synagoge in Melbourne zu untersuchen.
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtete, zündeten »Randalierer am Mittwoch in einem Vorort von Sydney, in dem Australiens größte jüdische Gemeinde lebt, ein Auto an und sprühten Graffiti mit antiisraelischen Slogans, darunter ein offensichtlich falsch geschriebenes ›Kill Israiel‹. Beamte verurteilten den Angriff als antisemitisch.«
Die Polizei sucht nach zwei männlichen Tatverdächtigen im Alter zwischen fünfzehn und zwanzig Jahren, die gesehen wurden, als sie vom Tatort wegrannten und Gesichtsmasken bzw. Sturmhauben und dunkle Kleidung trugen, gab die Polizeikommissarin des Staates New South Wales, Karen Webb, bekannt und sprach von »antisemitische[n] Parolen« an zwei Gebäuden, zwei Autos, darunter dem ausgebrannten, und auf dem Gehweg, gab aber keine Einzelheiten über den diskriminierenden Wortlaut bekannt. Das »Kill Israiel«, das auf ein Garagentor gesprüht war, wurde bekannt, weil ein Pressevertreter davon ein Foto veröffentlichte.
Das ausgebrannte Auto, ein roter Kleinwagen, hatten die Täter laut Polizei zuvor gestohlen, um damit zum Tatort zu fahren. Wie im Fall der Brandstiftung in der Synagoge gibt es also ein erhebliches Maß an krimineller Energie, verbunden mit Antisemitismus. Neben der Fahndung nach den Tätern widmet sich die Polizei nun besonders dem Schutz jüdischer Einrichtungen wie Synagogen und Schulen.
In einer Rede am Mittwoch sagte der Ministerpräsident von New South Wales Chris Minns in Anwesenheit des Polizeipräsidenten und jüdischer Gemeindeführer, der jüngste Vandalismus sei »ein gezielter Angriff gewesen, der darauf abzielte, den Menschen im Osten Sydneys Angst einzujagen«. Er habe am Mittwoch mit dem israelischen Botschafter Amir Maimon gesprochen und ihm versichert, die Angelegenheit sehr ernst zu nehmen. »Ich habe ihm sehr deutlich gemacht, dass wir dies als eine abstoßende Zurschaustellung von Antisemitismus betrachten und die überwiegende Mehrheit der Menschen in New South Wales darüber entsetzt ist und Israel als Verbündeten und Freund Australiens anerkennt«, fügte Minns hinzu.
Wirklich Antisemitismus?
Für Verwunderung sorgte allerdings eine Frage, die dem Ministerpräsidenten während eines Fernsehinterviews von ABC-Moderator Chris Taylor gestellt wurde: »Nun zu Ihrer Formulierung in Ihrer Erklärung heute Morgen: Was ist Ihre Begründung dafür, den Angriff als antisemitisch und nicht als antiisraelisch zu bezeichnen? Wie treffen Sie diese Unterscheidung?« Minns antwortete: »Der Ort des Verbrechens, der Aufruf, Israel zu töten, die Abfolge der Ereignisse nach dem Brandanschlag auf die Synagoge in Melbourne, die Angriffe in Sydney vor mehreren Wochen, die Demonstrationen vor religiösen Einrichtungen.«
In diesen Taten etwas anderes als Antisemitismus zu erblicken würde bedeuten, »mutwillig die Augen zu verschließen«, so der Ministerpräsident. Er wolle klarstellen, dass er »genau dasselbe sagen würde, hätte es einen Angriff auf eine andere Gemeindegruppe wegen ihrer Religion oder ihrer Nationalität gegeben«. Taylors Nachfrage, »Wenn Sie es also antisemitisch nennen und nicht nur eine politische antiisraelische Aussage … würden Sie sagen, dass der Antisemitismus Ihrer Erfahrung nach auf einem Allzeithoch ist?«, bejahte Minns ausdrücklich.
In Australien leben rund 120.000 Juden, was etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung entspricht. Zugleich gibt es hier im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Holocaustüberlebenden außerhalb Israels. David Ossip, Vorsitzender der jüdischen Vertretung New South Wales Jewish Board of Deputies, sagte am Mittwoch, der Anschlag in Woollahra sei nur der jüngste »in einer anhaltenden Kampagne der Einschüchterung, Belästigung und des Terrors gegen die jüdische Gemeinde«.
Tag des Stolzes
Der Rat der jüdischen Gemeinden, Executive Council of Australian Jewry, meldete kürzlich, dass »antijüdische Vorfälle« im vergangenen Jahr um mehr als dreihundert Prozent zugenommen hätten: Während des Zwölfmonatszeitraums vom 1. Oktober 2023 bis zum 30. September 2024 seien 2.062 antijüdische Vorfälle registriert worden, gegenüber 495 im vorangegangenen Zwölfmonatszeitraum, der am 30. September 2023 endete. In dem Bericht heißt es, zwei Ereignisse hätten »den Ton für die nächsten zwölf Monate« gesetzt.
Das eine sei eine Predigt gewesen, die Scheich Ibrahim Daoud am 8. Oktober 2023 in Lakemba im Westen Sydneys gehalten habe. Darin habe er, einen Tag nach dem Massaker in Israel, bei einer großen Kundgebung, die von der salafistischen Organisation Hizb ut-Tahrir organisiert worden war, den Mord an Juden in Israel verherrlicht und der jubelnden Menge zugerufen: »Ich bin begeistert. Es ist ein Tag des Mutes, es ist ein Tag des Widerstands, es ist ein Tag des Stolzes, es ist ein Tag des Sieges.«
Einen Tag später versammelte sich in Sydney vor dem berühmten Sydney Opera House ein antiisraelischer Mob, zündete Leuchtraketen und skandierte »Fuck the Jews!«, »Wo sind die Juden?« und »Vergast die Juden!«, während die Polizei danebenstand und zusah. Nach der Auswertung von Videomaterial bestritt die Polizei in einer Pressekonferenz, dass »Vergast die Juden« gerufen wurde (was die Frage aufwirft, woher die Polizei wissen kann, dass etwas, das in einem Video nicht zu hören ist, auch nicht gerufen wurde).
»Dieser Protest«, so der Bericht über antisemitische Vorfälle, »wurde von der Palestine Action Group Sydney am 7. Oktober um 20:04 Uhr geplant und öffentlich angekündigt, während die Hamas-Morde an Juden noch im Gange waren«. Es sei »die erste von vielen« solcher Demonstrationen gewesen.
Besonders erschreckend war folgender Vorfall: Nachdem Juden fälschlicherweise der Brandstiftung des Burger-Geschäfts eines palästinensisch-australischen Inhabers in Caulfield, Melbourne, beschuldigt wurden, marschierte am Freitagabend, dem 10. November 2023 ein großer Mob antiisraelischer Demonstranten in einen nahe gelegenen Park gegenüber einer Synagoge. Es kam zu einem Aufruhr, Steine und andere Geschosse wurden auf Juden geworfen, und die Synagoge musste zur Sicherheit der Gemeindemitglieder evakuiert werden.
Ebenfalls in Melbourne wurden am 19. Mai 2024 viele Juden, die an der »Never Again is Now«-Kundgebung gegen Antisemitismus teilnehmen wollten, von einem antiisraelischen Mob angegriffen, der ihnen den Weg versperrte.
Weitere Vorfälle betrafen Fahrzeugkonvois mit palästinensischen Flaggen, die durch Vororte in Sydney fuhren, in denen viele Juden leben. Geschäfte und kleine Unternehmen in jüdischem Besitz wurden mit Graffiti besprüht, einige auch mit dem umgekehrten roten Dreieck der Hamas, das auf ein jüdisches Ziel hinweist. »Es gab viele Morddrohungen gegen einzelne Juden und jüdische Gemeindeorganisationen«, heißt es weiter.
Umzug nach Drohungen
Besonders verhängnisvoll für die jüdische Gemeinde war die »Doxing-Affäre« Anfang 2024. Sechshundert australische Juden aus der Kunst- und Kulturszene hatten sich in einer WhatsApp-Gruppe gegen Antisemitismus zusammengetan. Die antiisraelische Schriftstellerin Clementine Ford, die Hunderttausende Follower in den sozialen Medien hat, machte Namen, Berufe und Chatverläufe öffentlich. Am 7. Februar postete Ford in den sozialen Medien einen Link und einen QR-Code zu einem »durchgesickerten zionistischen Gruppenchat«. Sie schrieb: »Wenn ihr einen Einblick in die koordinierten Bemühungen haben möchtet, palästinensische Aktivisten und ihre Verbündeten zum Schweigen zu bringen, könnt ihr den geleakten Chat hier lesen.«
Der Link öffnete rund neunhundert Seiten mit WhatsApp-Konversationen. Darin befand sich eine Tabelle mit Namen und Berufsbezeichnungen sowie Zitaten aus der WhatsApp-Gruppe, die als belastend angesehen werden sollten, berichtetedie Times of Israel. Außerdem waren rund hundert Fotos der WhatsApp-Teilnehmer aus öffentlichen Medien zu finden.
Die Schikanen setzten sofort ein. Eine Familie schloss ihr Geschäft in der Gegend von Melbourne und tauchte unter, nachdem es mit antisemitischen Graffiti beschmiert wurde und die Besitzer eine Nachricht mit einem Foto ihres Kindes erhalten hatten, in der stand: »Ich weiß, wo du wohnst«, meldete The Jewish Independent.