Warum der Wahlkampf für Erdoğan bislang nicht gut läuft

Bislang gelingt es Präsident Erdoğan nicht, im Wahlkampf das Ruder herumzureißen. (© imago images/APAimages)
Bislang gelingt es Präsident Erdoğan nicht, im Wahlkampf das Ruder herumzureißen. (© imago images/APAimages)

Noch nie standen die Chancen der Opposition in der Türkei so gut, Präsident Erdoğan zu stürzen. Dessen bisherige Winkelzüge verfangen bei den Wählern kaum.

Von Murat Yörük

Obwohl die kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei, die am 14. Mai stattfinden werden, immer näher rücken, verhält sich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bislang ungewohnt zurückhaltend. Noch scheint keine euphorische Wahlkampfstimmung ausgebrochen zu sein, gleichwohl mit dem Beginn des heißen Wahlkampfs erst nach dem Ende der Fastenzeit gerechnet wird. Dann bleiben kaum drei Wochen Zeit, bis gewählt wird. Dennoch herrscht im Präsidentenpalast bereits jetzt gedrückte Stimmung, denn der Wahlkampf läuft bislang nicht wirklich gut für den türkischen Präsidenten.

Schwierigste Wahl

Nach 21 Jahren an der Macht steht der sonst so sieggewohnte Erdoğan vor seiner größten Herausforderung. Die Oppositionsparteien sind geeint wie noch nie, die Erschöpfungssyndrome im Erdoğan-Lager sind kaum übersehbar, und seine Wahlkampfstrategie schöpft inzwischen nur noch aus der verbrauchten Mottenkiste. Selbst die treusten Anhänger versetzt das nicht gerade in Siegestaumel.

Auch das noch zur Verfügung stehende Personal bereitet dem Regierungslager Probleme: Seit Jahren umgeben Erdoğan nur noch Opportunisten und Ja-Sager. Die Wahlumfragen bescheinigen ihm denn auch die schlechtesten Umfragewerte seit Machtantritt, verstärkt noch einmal durch das schlechte Katastrophenmanagement nach den schweren Erdbeben von Anfang Februar, das trotz der gut geölten Propagandamaschinerie in den eigenen Medien nicht vergessen gemacht werden kann. Und dann wären da noch die weiterhin spürbaren Folgen der wirtschaftlichen Misere mit hoher Arbeitslosigkeit und Inflation, Vetternwirtschaft und Korruption.

Inzwischen dürfte die Summe dieser Schreckensbotschaften und deren Folgen für die kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auch im Präsidentenpalast angekommen sein, die anstehende Stimmabgabe alles andere als ein leichter Wahlgang für Erdoğan werden. Zwar wünschte sich der türkische Präsident den nun vom größten Oppositionsbündnis als Präsidentschaftskandidaten aufgestellten Parteivorsitzenden der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, als Konkurrenten. Aber mit dem nun zustande gekommenen Kompromiss der Opposition hatte Erdoğan nicht gerechnet: Die populäreren Oberbürgermeister Istanbuls und Ankaras, die ebenfalls als Kandidaten in Frage kamen, sind jetzt als Vizepräsidenten aufgestellt. 

Auf der Suche nach weiteren Bündnispartnern

Das Oppositionsbündnis tritt seit der Lösung der Kandidatenfrage so geschlossen auf wie noch nie und kann sich nun dem inhaltlichen Wahlkampf widmen. Inzwischen verzichtet auch die kurdische HDP auf einen eigenen Kandidaten, was die Gewinnchancen Kılıçdaroğlus noch weiter verbessert. Denn für die Wähler der HDP ist er ein wählbarer Kandidat. Somit erhöht das Oppositionsbündnis seine Chance, bereits im ersten Wahlgang um das Amt des Staatspräsidenten die geforderte 50-Prozent-Hürde zu erreichen.

Die drohende Niederhage hat das Bündnis um Erdoğan, die Volksallianz, das bislang aus der AKP und den national-faschistischen Parteien MHP und der BBP besteht, auf die Suche nach neuen Partnern getrieben. Gefunden hat sie die HÜDAPAR, eine kurdisch-islamistische Partei, die in der Tradition der kurdischen Hisbollah steht und lediglich in wenigen südöstlich gelegenen Provinzen Zustimmung unter kurdischen Wählern erfährt. Zwar werden deren Stimmen, die weit unter einem Prozent liegen dürften, keine wirklich große Rolle spielen. Dass Erdoğan sich jedoch an jede nur irgendwie abgreifbaren Stimme klammert, deutet auf die im Palast ausgebrochene Panik davor hin, die Wahlen zu verlieren.

Ähnlich ist der Versuch zu bewerten, eine weitere türkisch-islamistische Splitterpartei in das Bündnis aufzunehmen: die Yeniden Refah Partisi (Neue Wohlfahrtspartei), die erst im November 2018 von Fatih Erbakan gegründet wurde, dem Sohn des Gründers der Milli-Görüs-Bewegung und ehemaligen politischen Ziehvaters Erdoğans, Necmettin Erbakan. Auch diese Partei bewegt sich in Wahlumfragen unter zwei Prozent, und ist dennoch für Erdoğan attraktiv. Nach Verhandlungen ist es allerdings zu keinem Bündnisbeitritt gekommen, stattdessen hat Erbakan seine eigene Kandidatur um das Amt des Staatspräsidenten bekannt gegeben

Die Verhandlungen mit Erbakan scheiterten an Gegenwind, der überraschend im eigenen AKP-Lager entstanden ist. Einige weibliche Abgeordnete und hohe weibliche Parteikader der AKP wie Özlem Zengin protestierten gegen die Bündniserweiterung, zumal öffentlich wurde, welche Forderungen die Partei Erbakans an die AKP gestellt hatte. So sollten weitere Frauenrechte abgebaut werden, wie die Rücknahme des Gesetzes 6284, einem Gesetz zum Schutz der Familie und zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen. Zengin, die auch stellvertretende AKP-Vorsitzende ist, bezeichnete dieses Gesetz als ihre rote Linie. Nach dieser Aussage wurde sie in sozialen Medien zur Zielscheibe sowohl von eigenen Parteikadern, als auch islamistischen Kreisen. Daraufhin drohte sie mit ihrem Rücktritt, was dazu führte, dass Erbakan die Verhandlungen für als vorläufig gescheitert erklärte.

Alte Weggefährten kehren den Rücken

Ein weiterer Schritt Erdoğans, das eigene Profil zu stärken, war der Versuch, einen alten Weggefährten in das Boot zurückzuholen: Die AKP führte seit einiger Zeit bereits Gespräche mit dem ehemaligen Minister Mehmet Şimşek, der von 2007 bis 2018 Finanzminister und auch stellvertretender Premierminister war. In der eigenen Parteierzählung steht Şimşek symbolisch für bessere Zeiten, seine potenzielle Rückkehr versprach Stimmenzuwächse, obwohl Şimşek 2018 die AKP verlassen musste, nachdem ein Streit über die Wirtschaftspolitik ausgebrochen war. Über die Nachrichtenagentur Reuters verbreiteten hochrangige AKP-Kader bereits vorletzte Woche das Gerücht, nach den kommenden Wahlen würde mit der Rückkehr von Şimşek eine orthodoxe Wirtschaftspolitik eingeläutet werden.

Erdoğan erhoffte sich mit dem Rückruf Şimşeks viel, doch mehr als eine deutliche Abfuhr bekam er diese Woche nicht. Dabei hatte sich die AKP-Presse in Vorfreude vor der AKP-Parteizentrale versammelt, um die frohe Botschaft der Heimkehr Şimşeks zu verkünden. Dieser verließ die Parteizentrale jedoch unauffällig durch die Hintertür und teilte über Twitter lediglich mit, dass er nicht beabsichtige, wieder in die aktive Politik zurückzukehren.

Die Ruhe vor dem Sturm?

In 21 Jahren Herrschaft hat Erdoğan sämtliche Institutionen, die ein Gegengewicht hätten bilden können, auf seine Seite ziehen können. Die Justiz und die Medien sind in seiner Kontrolle, die Armee ist ihm weitgehend treu ergeben. Im Polizei- und Geheimdienstapparat sind die wichtigsten Schaltstellen mit eigenen Kadern besetzt. Das Parlament ist seit dem Übergang in das Präsidialsystem entmachtet. Die türkische Wahlkommission arbeitet in seinem Sinne.

Wird der türkische Führer einfach aufgeben und sich seinem Schicksal unterordnen, wenn eine Niederlage droht? Oder ist im Wahlkampf und vor allem am Wahlabend mit noch unabsehbaren Eingriffen zu rechnen? Diese Fragen sind gegenwärtig nicht übertrieben, die bisherige Zurückhaltung und Ruhe, das Ausloten möglicher Taktiken, die eine Wahlpleite verhindern könnten, machen das weitere Vorgehen Erdoğans im Wahlkampf unberechenbar. Die Türkei könnte momentan die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm erleben. Oder das Image des Autoritären verleitet zu Trugschlüssen – und der starke Führer entpuppt sich am Vorabend seiner Niederlage als zu schwach, um das ihm drohende Schicksal noch abzuwenden.

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