Mit der Gründung einer eigenen Partei in Deutschland als Ableger seiner nationalistisch-islamistischen Partei will der türkische Präsident seinen Einfluss in Europa langfristig verstärken.
Gerhard Werner Schlicke
Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei sind seit je her höchst kompliziert und die Beitrittsverhandlungen Ankaras zur EU seit dem Ankara-Abkommen von 1963 umstritten. Mit der 1999 erfolgten Anerkennung als offizieller EU-Beitrittskandidat und dem Beginn der Beitrittsverhandlungen im Oktober 2005 ist dieses spannungsgeladene Verhältnis nicht besser geworden.
Immer wieder, insbesondere seit der Niederschlagung des Putschversuches im Juli 2016, gab es Drohungen seitens des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, diese Gespräche zu beenden sowie den Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei vom März 2016 aufzukündigen und stattdessen eine strategische Partnerschaft mit Russland einzugehen.
Bisher waren diese Drohgebärden immer wieder finanziell lohnende Erpressungsversuche für Erdogan, der genau weiß und darauf spekuliert, dass die strategischen und militärpolitischen Folgen eines solchen türkischen Schritts für den Westen verheerend wären. So würde die NATO eines existenziell wichtigen strategischen Standpunktes beraubt werden und Europa wäre noch viel stärker als bisher neoimperialen Ideen Russlands ausgeliefert.
Demokratischen Grundsätzen entsprechend?
Derzeit leben ca. 1,5 Millionen Menschen türkischer Abstammung in Deutschland und weitere 1,9 Millionen in den restlichen EU-Staaten. Bei den fünfzig Millionen Muslimen in der EU nehmen die türkischen Bürger also nur einen relativ geringen Anteil ein, doch ist der politische Einfluss via Deutschland substanziell. In diesem Zusammenhang ist auch der politisch weitsichtige Ansatz Erdogans zu bewerten, seine neoimperialen und islamistischen Absichten zur Schaffung eines neuen Osmanischen Reiches mithilfe einer eigenen Partei, also eines Ablegers der AKP in Deutschland, zu unterstützen.
»Die Gründung eines deutschen Ablegers der türkischen Regierungspartei AKP stößt auf Kritik. Hintergrund ist ein Bericht der Bild am Sonntag über die Gründung einer ›türkisch-islamistischen Partei‹ mit der Bezeichnung DAVA (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch)«, meldete der deutsche Stern. Mit dieser Parteigründung scheint Erdogan einen Weg gefunden zu haben, nicht mehr nur in Deutschland – wie in der Vergangenheit von der Politik auf Bundes- und Landesebene geduldet – Wahlkampf für seine islamistische AKP zu machen, sondern mit der Gründung einer eigenen politischen Partei auch in den Deutschen Bundestag und in weiterer Folge ins Europäische Parlament einzuziehen.
Selbstverständlich dürfen sich Deutsche mit türkischer Herkunft auch politisch engagieren und gemäß Grundgesetz auch politische Parteien gründen. »Die Gründung von Parteien ist in Deutschland frei (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes – GG). Für die Gründung einer Partei ist somit keine staatliche Genehmigung erforderlich. Allerdings muss die innere Ordnung der Partei demokratischen Grundsätzen entsprechen.«
An diesem Punkt aber wird die Gründung der DAVA-Partei problematisch, weil Erdogans islamistische AKP meilenweit von demokratischen Grundsätzen entfernt ist, womit sich auch die Namensgebung ihres deutschen Ablegers Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch als Täuschung erweist, die nicht mit der Realität übereinstimmt. Der türkisch-islamische Verband Ditib wird in der Presse als »brandgefährlich und demokratiefeindlich« eingestuft.
Niemand kann garantieren, dass die neue türkische Partei in Deutschland frei von Einflüssen der Ditib oder gar der Grauen Wölfe ist, die von der Bundeszentrale für politische Bildung als »größte rechtsextreme Organisation in Deutschland« eingestuft wird. Es ist absehbar, dass mit dieser Entwicklung in Deutschland und der EU nationalistischen und völkisch-nationalen Kräften Vorschub gegeben wird und demokratische Parteien weiter in den Hintergrund gedrängt werden – eine Entwicklung, die Sorgen macht.