„Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spielt weiter sein Einpersonenstück. Es kann gut sein, dass er mit der absoluten Autorität, die er bereits de facto ausübt, bald auch formell betraut wird. Offenbar liegt ihm daran, dass sein zunehmend autokratisches Regime auch offiziell abgesegnet wird. Sollte eine einfache Mehrheit der Türken bei einer landesweiten Volksabstimmung im April einer vorgeschlagenen Verfassungsänderung zustimmen, wird Erdogan im Endeffekt die Macht von drei legislativen Körperschaften in einem mächtigen Exekutivamt vereinen – nämlich in seinem. Er würde dann als Führer mit fast unbegrenzter Macht etabliert. Obwohl die gegenwärtige Verfassung ihm eine weitgehend symbolische Funktion zuschreibt, hat Erdogan seit seiner ersten Wahl als Präsident im August 2014 de facto als Chef der Exekutive fungiert. Durch sein Agieren als alleinherrschender Regierungschef verletzt er die Verfassung ausdrücklich – und offenbar freudig. (…)
Selbst wenn die ‚Nein’-Kampagne gewinnen sollte, was unwahrscheinlich ist, wäre das für Erdogan kein Weltuntergang. Er wäre zwar – womöglich schwer – angeschlagen. Doch würde er dann eine andere Karte spielen: vorgezogene Neuwahlen. Neuwahlen zum Parlament würde er gewinnen und dann sein Glück mit den angestrebten Veränderungen noch einmal probieren. Er hätte dabei nichts zu verlieren. Er vertraut offenbar weiterhin auf breite gesellschaftliche Unterstützung. Soweit es das tägliche Politikmachen betrifft, wird eine Mehrheit für ‚Ja’ oder ‚Nein’ die Art der gegenwärtigen Herrschaftsausübung in der Türkei nicht grundsätzlich verändern. Erdogan herrscht letzten Endes schon jetzt allein. Wenn er die Abstimmung gewinnt, wird er auch formell zum Alleinherrscher. Wenn er verliert, herrscht er bis zu seinem nächsten Versuch, die Alleinherrschaft zu formalisieren, de facto sowieso alleine.“ (Burak Bekdil : „Erdogan’s Grab for Absolute Power“)