„Die Probleme, sagt der Istanbuler Ökonom Hursit Günes, reichten sehr viel weiter, als die Regierung wahrhaben wolle. ‚Erdogan hat das Ausmaß dieser Krise noch immer nicht verstanden.‘
Der Präsident hat den Konjunkturboom in den ersten Jahren seiner Amtszeit durch Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur befeuert. Er hat Straßen errichten lassen, Krankenhäuser, Flughäfen. Die radikale Wachstumspolitik der türkischen Regierung ging gut, solange die Lira stabil war und Kapital aus dem Ausland floss. Nun aber ist das Land in eine gefährliche Abwärtsspirale geraten.
Durch seinen erratischen Regierungsstil hat Erdogan das Vertrauen der Anleger erschüttert. Zwischen 2015 und 2017 sind Direktinvestitionen aus dem Ausland fast um die Hälfte eingebrochen. Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat die Kreditwürdigkeit der Türkei auf Ramschniveau herabgestuft.
Für die Regierung in Ankara wird es von nun an immer teurer, jenes frische Geld zu leihen, das sie für ihre Bauprojekte so dringend benötigt. Türkische Unternehmen, die Kredite überwiegend in Dollar und Euro aufgenommen haben, sind durch den Verfall der Lira kaum mehr dazu in der Lage, ihre Schulden zu begleichen. (…)
Ökonomen sind sich einig, dass die Regierung in Ankara die Zinsen erhöhen und die Staatsausgaben drosseln müsste, um einen Wirtschaftskollaps zu verhindern. Erdogan aber will vor den Regionalwahlen im Frühjahr 2019 mit Wachstumszahlen protzen. Er sperrt sich gegen jede Reform, die die Konjunktur dämpfen könnte. Er glaubt, die Krise aussitzen zu können.“ (Maximilian Popp: „‚Erdogan hat das Ausmaß der Krise nicht verstanden‘“)