Warum Erdogan sich über internationale Kritik freut

Präsident Erdogan in der in eine Moschee umgewandelten Hagia Sophia. (imago images/Xinhua)
Präsident Erdogan in der in eine Moschee umgewandelten Hagia Sophia. (imago images/Xinhua)

Die Türkei bezahlt einen hohen Preis für die streitlustige Politik Erdogans. Wie lange werden die Wähler das noch mitmachen?

Nick Danforth, Foreign Affairs

In den vergangenen Wochen hat die türkische Regierung für ihren Umgang mit dem einzigartigen kulturellen Erbe des Landes viel internationale Kritik geerntet. Anfang Juli überschwemmte das steigende Wasser eines neuen Staudamms die archäologische Stätte Hasankeyf, was die New York Times mit den Worten kommentierte, das antike Tal sei „für den ‚Fortschritt‘ verloren gegangen“. Bald darauf kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an, dass die Hagia Sophia in Istanbul – die alte Kirche, die erst in eine Moschee und dann in ein Museum umgewandelt worden war – wieder eine Moschee werden sollte.

In Wahrheit begrüßt Erdogan die internationale Verurteilung. Er schöpft Kraft aus dem ständigen Sparring mit in- und ausländischen Gegnern, und der Streit um Hasankeyf und die Hagia Sophia nährt nur weiter seine Pose von Empörung und Groll. Erdogan stellte die Rückwandlung der Hagia Sophia nicht einfach als einen Akt der Frömmigkeit oder als Berichtigung eines historischen Unrechts dar, sondern als Verteidigung der Souveränität der Türkei. Im Fall von Hasankeyf hat Erdogan behauptet, dass die Kritiker sich nicht aus Sorge um das kulturelle Erbe oder die Umwelt gegen den Staudammbau aussprechen würden, sondern weil sie nicht wollen, dass die Türkei vorankomme.

In Erdogans Kulturkampf sind Glaube, Nationalismus und materieller Fortschritt Bestandteile eines Nullsummenspiels mit seinen in- und ausländischen Gegnern. Es propagiert eine Weltanschauung, die bei vielen Wählern auf Anklang stößt. Aber sie hat wenig dazu beigetragen, die angeschlagene Wirtschaft der Türkei zu verbessern, und die Beziehungen des Landes zu seinen Nachbarn werden immer stärker von Konflikten geprägt. Die Kampflust des Präsidenten hat eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zur Folge: Er macht externe Kräfte und fremde Mächte für die Probleme verantwortlich, die er selbst geschaffen hat, indem er ständig gegen das Wirken von Feinden der Nation wettert. (…)

Gegner behaupten regelmäßig, Erdogans Draufgängertum sei nur Show, Teil eines zynischen Versuchs, Stimmen zu gewinnen. Aber die Tatsache, dass er oft auch durchzieht, was er ankündigt, bringt ihm Unterstützung ein.

Im Jahr 2019 zum Beispiel glaubten viele von Erdogans nationalen und internationalen Kritikern nicht, dass er seinen Plan, russische Luftabwehrraketen zu kaufen, wirklich umsetzen würde. Sie hielten an der Überzeugung fest, dass er sich letztlich dem Druck der USA beugen würde. Kritiker wundern sich bis heute über die Gründe für die Anschaffung eines Waffensystems im Wert von 2,5 Milliarden Dollar, das derzeit in einem Lagerhaus steht, immer noch US-Sanktionen nach sich ziehen könnte und mit dem sich die Türkei nicht gegen russische Angriffe verteidigen kann (wie etwa die Luftangriffe, bei denen im vergangenen Frühjahr 33 türkische Soldaten in Idlib getötet wurden). Aber Erdogans trotziges Framing sorgte dafür, dass die tatsächliche Durchführung des Kaufs selbst in den Augen seiner Kritiker wie ein Sieg aussah.

Die Preisfrage ist, wie lange solche Siege für die türkischen Wähler ausreichen werden – und was Erdogan machen wird, wenn sie es nicht mehr tun. Die türkische Wirtschaft strauchelt, die Preise steigen und die Währung schwächelt. Erdogan hat es bisher geschafft, eine knappe Mehrheit zu behalten, indem er seine Gegner zensierte und verhaftete, während er die Wahlordnung zu seinen Gunsten umgestaltet hat. Doch wenn seine Unterstützerbasis wirklich so schnell erodiert, wie einige Umfragen vermuten lassen, könnten selbst diese undemokratischen Maßnahmen nicht mehr ausreichen. Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sind derzeit für 2023 geplant. In den kommenden Jahren werden die Wähler zweifellos noch mehr Moscheen und Megaprojekte erhalten und kein Ende der Reibereien im östlichen Mittelmeerraum erleben. Dann werden sie zu entscheiden haben, ob diese Kämpfe die Ursache für oder die Lösung ihrer Probleme sind.

(Auzüge aus Nick Danforths Artikel „The Mosque, the Dam, and Erdogan’s Widening Culture War“, der auf Foreign Affairs veröffentlicht wurde. Übersetzung von Florian Markl.)

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