Wenn das deutsche Entwicklungsministerium erklärt, es würden »keine Mittel an de-facto-Autoritäten« wie die Taliban oder die Hamas fließen, dann mag des schön klingen, entspricht aber nicht der Realität.
Rebecca Schönenbach
Anfang Juli gab die israelische Botschaft in Deutschland in einer Pressemitteilung bekannt, dass Israel hundert Personen identifiziert habe, die gleichzeitig für das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) als auch die Terrororganisationen Hamas bzw. Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ) tätig sind. Bereits zuvor waren zahlreiche Vorwürfe laut geworden, dass es nicht nur eine direkte Beteiligung von UNRWA-Angestellten an dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und den Geiselnahmen gebe, sondern die Einrichtungen der Vereinten Nationen auch als Terrorstützpunkte genutzt würden.
Die UNO konterte diese Vorwürfe, indem sie eine Prüfung der UNRWA beauftragte, die – wenig überraschend, betrachtet man das Prozedere –, keine Beteiligung seitens ihrer Mitarbeiter ergab. Zusätzlich veröffentlichte die UNO noch einen Faktenscheck, in dem nachzulesen ist, dass es eben doch zur Terrorunterstützung durch die UN gekommen sei; man habe aber jedes Mal bei der Hamas Protest eingelegt, wenn die Terroristen Einrichtungen der UN nutzten. So werde man auch streng verurteilen, sollten doch Finanzmittel der UN bei der Hamas landen.
Diese Unbedenklichkeitsbescheinigung mit Packungsbeilage für terroristische Nebenerscheinungen reichte dem bundesdeutschen Auswärtigen Amt, um die Finanzierung der UNRWA im Gazastreifen wieder aufzunehmen und um neunzehn Millionen Euro aufzustocken. Insgesamt stellte Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 neue Mittel in Höhe von 240 Millionen Euro für die palästinensischen Gebiete bereit.
Humanitäre Hilfe für die Taliban
Diese nonchalante Haltung der deutschen Regierung gegenüber den Vorgängen in Terrorgebieten beschränkt sich nicht auf den Gazastreifen beziehungsweise auf die speziell für Palästinenser eingerichtete UNRWA. Auch in Afghanistan wird mit der UNO zusammengearbeitet, die laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ein unverzichtbarer Partner für das deutsche Engagement sei. Hinzu kommen andere Nichtregierungsorganisationen, die in Afghanistan operieren.
Im Jahr 2022 hat Deutschland 527 Millionen Euro für humanitäre Hilfe, strukturbildende Übergangshilfe und Basisversorgung in Afghanistan bereitgestellt; im Jahr 2023 waren es 261 Millionen Euro. Entscheidend sei, heißt es weiter auf der Internetseite des BMZ, »dass die Hilfe unmittelbar der afghanischen Bevölkerung zugutekommt und keine Mittel an die de-facto-Autoritäten fließen«.
Dieser Behauptung stehen mehrere Untersuchungen in den USA entgegen. Die U.S. Agency for International Development (USAID), eine Unterabteilung der US-Entwicklungshilfe, stellte in der 2023 veröffentlichten Studie über die US-Hilfe für Afghanistan durch die UNO fest: »Die Taliban scheinen das UN-System als eine weitere Einnahmequelle zu betrachten.«
Die Taliban hätten die UN-Verwaltung infiltriert und nutzten neben Verträgen auch Einschüchterung und Drohungen, um einen Teil der Hilfe abzuzweigen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Islamisten ausschließlich Gelder der US-Regierung unterschlagen und jene aus Deutschland und der EU unangetastet lassen.
Bereits vor der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 wurde in den USA die Frage nach den Auswirkungen der Finanz- und Militärhilfe gestellt. Um diese Frage zu klären, wurde 2008 der Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) ins Leben gerufen. Die Aufsichtsbehörde der US-Regierung über den Wiederaufbau Afghanistans verfasste über Jahre hinweg mehrere Berichte, in denen die kontraproduktiven Effekte ausländischer Finanzierung beleuchtet werden. Statt die Not der Bevölkerung in bedürftigen Gebieten zu lindern, festigte laut SIGAR ein Teil der Hilfe die Strukturen jener, die qua Waffengewalt Entscheidungen über die Bevölkerung treffen.
Auch die speziell für die Bekämpfung dieser Entwicklung gegründete Stabstelle Afghan Threat Finance Cell (ATFC), die aus verschiedenen amerikanischen und kanadischen Sicherheitskräften zusammengesetzt wurde, bestätigte 2012, dass Entwicklungshilfe und andere Gelder unter anderem über Erpressung, »Steuern« und NGO-Abgaben bei den Taliban landen würden.
Rückblickend ist klar erkennbar, dass ein Teil der internationalen Förderung die Rückkehr der Taliban erst ermöglicht hat. Wie das BMZ zu dem Schluss kommt, die Taliban hätten das lukrative Geschäft mit der ausländischen Hilfsbereitschaft ausgerechnet nach ihrer erneuten Machtübernahme aufgegeben, erschließt sich also in keinster Weise.
Mehr Transparenz gefordert
Bisher scheinen das Auswärtige Amt bei humanitärer Hilfe und das BMZ bei der Entwicklungszusammenarbeit auf die Erfüllung von Compliance zu achten, also auf die rein formale Einhaltung aller Kriterien. Jedoch bedeutet ein grüner Haken auf dem Papier gerade in Gebieten, die von korrupten und autoritären Terrorgruppen beherrscht werden, vor Ort selten eine Erfüllung der Vorgaben aus Deutschland.
Statt der rein formalen Betrachtung müsste eine Risikoanalyse angestellt werden, an deren Ende eine Abwägung zwischen der Hilfe, die tatsächlich bei der Bevölkerung ankommt, und der möglichen Unterstützung der herrschenden Terroristen stehen sollte. Diese Abwägung muss transparent gemacht und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein, wobei in die Risikobewertung nicht nur die direkten Finanztransfers einbezogen werden sollten, sondern auch Güterlieferungen, die zu Geld verflüssigt werden können.
Zudem ist der nicht-finanzielle Effekt der Hilfe demokratischer Staaten an Terroristen ein bedeutender Faktor, denn humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist nicht nur eine Einkommensquelle, sondern dient auch der Reputation der Terroristen. Entgegen der vollmundigen Behauptung des BMZ müssen Verhandlungen mit den »de-facto-Autoritäten« Taliban und Hamas stattfinden, denn unter anderem brauchen jene NGOs, über die Hilfsleistungen geleitet werden, eine offizielle Genehmigung der Behörden vor Ort. Damit werden die Terrorgruppen anerkannt, auch wenn man die Realität durch »Du-weißt-schon-wer«-Formulierungen wegzuzaubern versucht. Die fortlaufende Kooperation ermöglicht also nicht nur den Machterhalt von Terroristen, sondern legitimiert auch deren inhaltlichen Kurs.
Gerade bei über Jahre dauernder Entwicklungsförderung sollte berücksichtigt werden, wie sich die Herrschaft von Terroristen auf die Bevölkerung auswirkt. Ein einfaches Kriterium, um Machthaber zu beurteilen, ist die rechtliche und reale Stellung von Frauen. Unter der Hamas waren Frauen nie gleichberechtigt, durften ohne Erlaubnis eines männlichen Vormundes nicht ausreisen und mussten sich in der Öffentlichkeit verhüllen. Kurz gesagt, Frauen galten als Menschen zweiter Klasse. Über die massiven Proteste von Palästinenserinnen im Jahr 2019 gegen diese Unterdrückung wurde im Ausland einfach hinweggesehen. Die Taliban wiederum haben Frauen in Afghanistan seit 2021 erneut vollständig entrechtet; als bisherigen grausamen Höhepunkt führten sie Steinigungen wieder ein.
Wird das Risiko geleugnet, passieren Fehler wie im Sudan. Dort hatten die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), deren Hauptgeldgeber das BMZ ist, und das Auswärtige Amt zum Schutz ihrer jeweiligen Einrichtungen ein Unternehmen engagiert, das mit den Rapid Special Forces verbunden ist. Die Miliz hatte bereits 2019 zivile Proteste im Sudan durch Massenvergewaltigungen brutal beendet und führt seit Monaten im Süden des Landes einen genozidalen Krieg, bei dem sie systematisch sexualisierte Gewalt einsetzt. Somit haben das Auswärtige Amt und das BMZ eine Gruppierung unterstützt, die sich zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig macht.
Selbst der »Faktencheck« der UN lässt erkennen, dass auch die von Deutschland mitfinanzierte Infrastruktur UNRWA im Gazastreifen den Angriff der Hamas am 7. Oktober mit ermöglicht hat. Wer kein nächstes Massaker und damit keine neuen Kriegsverbrechen mitverantworten will, muss sich dieser Realität stellen. Denn die »Keine-Mittel-an-die-de-facto-Autoritäten«-Selbsthypnose verhindert leider keine de-facto-Unterstützung für Terrorismus mit deutschen Steuergeldern.