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Wird Biden doch ein Atom-Abkommen mit dem Iran schließen?

Ist das Abkommen mit dem Iran wirklich vom Tisch?
Ist das Atomabkommen mit dem Iran wirklich vom Tisch? (Quelle: JNS)

Der Zweckoptimismus, den die israelische Regierung zu verbreiten sucht, könnte sich als verfrüht erweisen, was die israelische Position gegenüber dem Iran massiv schwächen würde.

Jonathan S. Tobin

Die Wahrheit über diplomatische Aktivitäten herauszufinden ist oft eine Frage des Herausfilterns des Zutreffenden aus dem Rauschen der Regierungspolitik. Das bedeutet, dass man für eine genaue Einschätzung der Möglichkeit eines neuen amerikanischen Atomabkommens mit dem Iran sowie des Zustands der Beziehungen zwischen den USA und Israel derzeit die meisten Schlagzeilen ignorieren muss.

In diesem Fall könnte sich der derzeit in Jerusalem vorherrschende Optimismus über die Aussichten, dass die Biden-Administration die Sicherheitsinteressen Israels, der arabischen Staaten und des Westens ernstnimmt und nicht verraten wird, als traurige Illusion erweisen.

Im Moment sind der israelische Premierminister Naftali Bennett und Außenminister Yair Lapid guter Dinge, was ihre Strategie im Umgang mit Präsident Joe Biden und seinem außenpolitischen Team angeht, das sich aus ehemaligen Mitarbeitern der Obama-Regierung zusammensetzt und auf eine weitere Runde Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Iran aus ist.

Vernünftig und kurzsichtig zugleich

Als Bennett und Lapid im Juni vergangenen Jahres ihr Amt antraten, sahen sie sich mit der vorherrschenden Gewissheit konfrontiert, Bidens verzweifelte Versuche, zum Deal mit dem Iran zurückzukehren, würden dafür sorgen, dass der Iran schließlich einer Wiederbelebung von Obamas Atompakt aus dem Jahr 2015 zustimmt – wenn auch zu Bedingungen, die weit schwächer wären als die bereits schwachen des ursprünglichen Abkommens.

Die Reaktion der Israelis bestand nicht darin, Alarm zu schlagen wegen des drohenden Verrats an den Sicherheitsinteressen Israels, der arabischen Staaten und des Westens. Da Bennett und Lapid wussten, dass sie keine Chance hatten, die Amerikaner von der Torheit ihrer Absichten zu überzeugen, sahen sie keinen Sinn darin, eine Auseinandersetzung mit Biden zu beginnen, die sie nicht gewinnen konnten. Indem sie sich mit Kritik an der Regierung weitgehend zurückhielten, konnten sie Ärger mit dem Weißen Haus vermeiden.

Vielleicht dachten die israelischen Führer, dieses weitgehende Schweigen würde ihnen bei Biden einen gewissen Kredit verschaffen, den sie zu einem späteren Zeitpunkt in Form von verstärkten Sicherheitshilfen einlösen könnten. Sie könnten auch gehofft haben, dass, wenn sie Biden in einer für Israel existenziellen Frage eine Pause gönnen, er bereit sein würde, ihre Regierung weniger zu sinnlosen Zugeständnissen an die Palästinenser aufzufordern, die den Frieden nicht voranbringen, sondern die Stabilität ihrer prekären Koalition gefährden könnten.

Und stünde der Iran wirklich kurz vor einer Atombombe, so wussten Bennett und Lapid, dass sie jederzeit auf die Anwendung von Gewalt zurückgreifen können. Würden sie ihre Brücken zu Biden nicht abbrechen, hätten sie etwas bessere Chancen, die Unterstützung oder Zustimmung der USA für einen Militärschlag zu erhalten, der keine sicheren Erfolgsaussichten hätte.

Das war zwar in mancher Hinsicht vernünftig, aber in anderer Hinsicht kurzsichtig. Indem sie keine Anstrengungen unternahmen, jene Amerikaner zu unterstützen oder gar anzuspornen, die der Politik ihrer Regierung kritisch gegenüberstehen und versuchen hätten können, ihr rechtliche Hindernisse in den Weg zu legen, untergruben Bennett und Lapid die Position der besten Freunde Israels.

Ihre Strategie verringerte auch die Chancen, dass Israel sich darauf verlassen kann, die Republikaner, die im nächsten Jahr den Kongress kontrollieren und 2024 das Weiße Haus zurückerobern wollen, würden Bidens Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Iran rückgängig machen, wie es der ehemalige Präsident Donald Trump bei seinem Amtsantritt getan hat.

Die Lektion des ehemaligen Premierministers Benjamin Netanjahu, der sich leidenschaftlich gegen Obamas Abkommen aussprach, was direkt zu einer Wende der Republikaner gegen den Iran führte, wurde von seinen Nachfolgern nicht verstanden.

Iranische Unnachgiebigkeit

Doch Bennett und Lapid haben Grund zu der Annahme, dass sich ihre Position bald als richtig erweisen wird. Der Iran hat sich bei den Atomgesprächen in Wien weitaus verstockter gezeigt, als man es ihm zugetraut hätte.

Anstatt sich auf Bidens Schwäche einzulassen und sie zu seinem Vorteil zu nutzen, hat der Iran sie rücksichtslos ausgenutzt und Forderungen gestellt, die den amerikanischen Widerstand gegen den iranischen Terrorismus lähmen würden. Obwohl der wiederbelebte Atomdeal (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) bereits Ende des Jahrzehnts ausläuft, womit alle Beschränkungen gegen den Iran wegfallen würden, ist Teheran entschlossen, Bidens Team von Beschwichtigern zu drängen, noch weiter zu gehen, als diese ohnehin bereit waren.

Und so war die Forderung des Irans an die Vereinigten Staaten, das Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) von der Liste ausländischer terroristischer Vereinigungen zu streichen, nicht bloß eine iranische Übertreibung, sondern brachte Biden ernsthaft in Verlegenheit. Obwohl die amerikanischen Unterhändler bereit zu sein schienen, selbst diese unverschämte Forderung als Preis für ein neues Abkommen zu akzeptieren, sickerte die Nachricht von einem möglichen Zugeständnis durch und rief mehr Kritik hervor als erwartet, sogar von der israelischen Regierung.

Diese offensichtliche Pattsituation hat in Jerusalem zu einer neuen Zuversicht geführt, dass ein Iran-Abkommen, das einst als unvermeidlich galt, nun in weite Ferne gerückt ist. Aus israelischen Regierungskreisen ist zu hören, dass die Chancen für eine Einigung derzeit »gering bis gar nicht vorhanden« seien.

Darüber hinaus sehen die Israelis die Tatsache, dass Biden die Einladung Bennetts zu einem Besuch in Israel angenommen hat, als Beweis dafür, dass sich für sie in Bezug auf die Vereinigten Staaten alles zum Guten wenden wird. Bennett hat einen Bruch mit dem wichtigsten Verbündeten seines Landes vermieden.

Wenn die amerikanische Appeasement-Initiative wirklich von einem islamistischen Regime, das nicht nur ein paar Jahre warten will, um eine Atomwaffe zu bekommen, ausgeschlagen wurde, dann müsse diese Entwicklung zu einer Änderung der Nahostpolitik Washingtons führen, so die Hoffnung. Selbst Bidens außenpolitische Berater müssten Teheran nun als einen unerbittlichen Feind betrachten, der nicht dazu gebracht werden kann, sich der internationalen Gemeinschaft anzuschließen.

Das sollte, so die hoffnungsfrohe Conclusio, die Rückkehr zu einer gemeinsamen Strategie von USA und Israel in dieser Frage bedeuten, um sicherzustellen, dass der jüdische Staat und seine arabischen Verbündeten nicht isoliert bleiben, wie viele es vor Kurzem noch als für eine unumstößliche Tatsache hielten.

Verfrühter Optimismus?

Bennett und Lapid wären jedoch gut beraten, ihren Zweckoptimismus auf Eis zu legen. Der größte Fehler, den sie machen könnten, ist, die Bereitschaft Bidens und der ehemaligen Obama-Mitarbeiter zu unterschätzen, alles zu tun, um doch noch ein neues Iran-Abkommen zu erreichen.

Derzeit schieben die Amerikaner die Schuld für ihre Probleme auf Donald Trump, dessen Entscheidung, aus dem Iran-Abkommen auszusteigen, ihrer Meinung nach eine zwecklose Aktion war, die Teheran nur näher an die Verwirklichung seines Nuklearziels gebracht habe, das durch Obamas Abkommen zumindest aufgeschoben worden sei.

Das ist zwar ein falsches Narrativ, aber es wird wahrscheinlich auch die Begründung für mindestens einen weiteren Versuch der US-Regierung liefern, dem Iran weitere Zugeständnissen zu machen, in der Hoffnung, die Gespräche zu retten.

Schließlich erklärte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, genau an dem Tag, an dem die israelische Regierung die Atomgespräche als gescheitert bezeichnete, gegenüber Reportern, dass die Regierung zutiefst besorgt darüber sei, der Iran könnte in wenigen Wochen kurz vor einem nuklearen Ausbruch und dem Besitz einer Waffe stehen. Nachdem sie sich in letzter Zeit zu den Gesprächen weitgehend bedeckt gehalten hat, ist Psakis Bereitschaft, nun offen darüber zu sprechen, ein klares Zeichen dafür, dass das Weiße Haus durch den mangelnden Fortschritt in Wien zwar entmutigt ist, aber keineswegs aufgegeben hat.

Wie im Jahr 2015 bei Obama besteht Bidens Rechtfertigung für seine Iran-Strategie darin, dass er behauptet, die einzigen zwei Alternativen seien Beschwichtigung oder Krieg. Mit anderen Worten: Bidens Personal ist der Meinung, dass die Optionen entweder darin bestehen, um jeden Preis ein Abkommen zu schließen oder mit einem atomar bewaffneten Iran konfrontiert zu werden, dem man militärisch nicht entgegentreten könne.

Auch wenn die Israelis glauben, durch die iranische Unnachgiebigkeit gerettet worden zu sein, könnte die Angst vor einer Atomwaffe, die Obama bereits 2015 wahrscheinlicher gemacht hat, ausreichen, um Biden dazu zu bewegen, der Streichung der Revolutionsgarde von der Terrorliste doch nicht zuzustimmen, oder stattdessen andere Anreize anzubieten. Das könnte den Iran dazu verleiten, einen neuen Pakt zu unterzeichnen, der – wie das Abkommen von 2015 – garantiert, dass der Iran letztlich doch eine Atomwaffe erhält, gerade dann, wenn die Israelis denken, sie seien aus dem Schneider.

Wenn das passiert, und es wäre töricht, dagegen zu wetten, könnten sich die vermeintlichen Vorzüge von Bennetts und Lapids verhaltenem Ansatz als Illusionen erweisen. Nachdem Biden ein Abkommen mit dem Iran geschlossen hat, wird er wohl kaum einen Schritt gegen seinen neuen Vertragspartner unterstützen oder eine ins Wanken geratene israelische Regierung belohnen.

Die israelische Regierung wird ihren amerikanischen Freunden vielmehr die Botschaft übermittelt haben, dass sie sich um die größte Bedrohung für die Sicherheit des jüdischen Staates nicht schert. Das ist eine Katastrophe für Israel, egal, wie man es betrachtet.

Jonathan S. Tobin ist Chefredakteur des Jewish News Syndicate, wo der Text ursprünglich auf Englisch erschien. (Übersetzung von Alexander Gruber und Martina Paul.)

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