Die Wirtschaft ist katastrophal, die Jugend hält von seiner Politik wenig, die Opposition schmiedet ein Bündnis gegen ihn: Für Erdoğan läuft’s nicht gut.
Nach neunzehn Jahren an der Macht steht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nicht nur vor einem wirtschaftlichen Scherbenhaufen, sondern auch vor ernsten politischen Problemen: Vieles deutet darauf hin, dass seine AKP einen großen Teil der Popularität verspielt hat, die sie früher genoss.
Vor allem unter jungen Wählern zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren, die rund fünfzehn Prozent der Wahlberechtigten ausmachen, schneidet die AKP aus ihrer Sicht besorgniserregend schlecht ab – schlechter noch sogar als im Bevölkerungsdurchschnitt. Mit seinem deklarierten Vorhaben, eine Generation frommer türkischer Nationalisten heranzuziehen, ist Erdoğan jedenfalls gründlich gescheitert. Einer Untersuchung aus dem Vorjahr zufolge können besonders junge Türken mit dem autoritären politischen System und dem repressiven gesellschaftlichen Klima im Land nur wenig anfangen.
Wie die Tageszeitung Welt berichtet, gaben drei Viertel der Befragten an, lieber woanders leben zu wollen als in der Türkei, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten. Ausschlaggebend dafür sei der Wunsch nach besseren Lebensbedingungen, nach der Wahrung der Menschenrechte und nach mehr Freiheit. Zwei Drittel gaben an, in der Türkei würden die Menschenrechte nicht respektiert, nur 11,9 Prozent äußerten Vertrauen in das türkische Rechtssystem. 83 Prozent betonten, die Wahrung der Meinungsfreiheit sei ihnen »sehr wichtig«. Auch die von Erdoğan hochgehaltenen islamischen Moralvorstellungen stoßen unter jungen Türken nur auf wenig Gegenliebe. 92,3 Prozent halten voreheliche Beziehungen zwischen Männern und Frauen für völlig normal.
Aus der zunehmenden Unpopularität Erdoğans und der AKP versuchen deren Gegner naturgemäß zu profitieren. Am vergangenen Wochenende kamen die Führungen von sechs Oppositionsparteien zu Gesprächen zusammen. Im Anschluss äußerten sie in einer gemeinsamen Erklärung ihre Sorge über die »tiefste politische und wirtschaftliche Krise« in der Geschichte des Landes, für die sie explizit das von Erdoğan durchgepeitschte Präsidialsystem verantwortlich machen. Sie gelobten, das politische System der Türkei zu transformieren und es in ein »gestärktes System parlamentarischer Demokratie« verwandeln zu wollen.
Bei dem Treffen war ein breites politisches Spektrum vertreten, von der größten Oppositionspartei, der sozialdemokratischen CHP unter der Führung von Kemal Kılıçdaroğlu, bis zu den Parteien der ehemaligen AKP-Politiker Ali Babacan und Ahmet Davutoğlu. Nicht anwesend war dagegen die zweitgrößte Oppositionspartei, die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP). Im Jahr 2023 sollen sowohl Parlaments- als auch Präsidentschaftswahlen stattfinden.
Der Präsident übt sich derweilen in einer seiner bevorzugten Disziplinen: der Verfolgung von Kritikern. Das jüngste Beispiel ist die bekannte türkische Journalistin Sedef Kabaş. Sie hatte in einer Fernsehsendung ein Sprichwort zitiert, das lautet: »Wenn ein Ochse in den Palast einzieht, wird er damit nicht zum König, sondern der Palast wird zum Stall.« Prompt fühlte Erdoğan sich beleidigt und ließ die 53-Jährige verhaften. Die Staatsanwaltschaft fordert mehr als elf Jahre Haft wegen »Präsidentenbeleidigung«, Erdoğan selbst hat sie in einem zweiten Verfahren auf 16.300 Euro »Schmerzensgeld« verklagt.