Einige Fragen zum »Staat Palästina«

PLO-Chef Jassir Arafat 1988, dem Jahr der Ausrufung des »Staates Palästina«. (© imago images/Sven Simon)
PLO-Chef Jassir Arafat 1988, dem Jahr der Ausrufung des »Staates Palästina«. (© imago images/Sven Simon)

Was folgt daraus, dass die PLO 1988 den »Staat Palästina« ausgerufen hat und dieser von etlichen Staaten anerkannt wurde?

Ein Leser hat uns im Anschluss an ein paar unserer Texte einige Nachfragen zum »Staat Palästina« gestellt, auf die ich ihm gerne geantwortet habe. Da die angesprochenen Probleme vielleicht einen größeren Kreis von Leuten interessiert, dokumentieren wir – mit der freundlichen Genehmigung von Herrn Leon Arning – im Folgenden unseren Mailwechsel (kursiv die Fragen, in Normalschrift eingefügt die Antworten).

Sehr geehrtes Team von Mena-Watch,

ich habe mir unter anderem Ihre völkerrechtliche Analyse Besetzt – Umstritten  – Annektiert? Jüdische Präsenz im Westjordanland, aber auch das Buch Vereinte Nationen gegen Israel. Wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert von Ihren Autoren Alex Feuerherdt und Florian Markl durchgelesen. Trotz meiner Begeisterung für die Analyse und auch für das Buch stelle ich mir ein paar Fragen vor allem zur Staatlichkeit Palästinas und deren internationale Anerkennung:

1. Im Jahr 1988 proklamierte die PLO den Staat Palästina. Kurze Zeit später präzisierte der Palästinensische Nationalrat, dass man die Gebiete, die in Resolution 181 (II) zu einem arabischen Staat gehören sollten, für den palästinensischen Staat beanspruche. Über dieses Gebiet hatten die Palästinenser 1988 allerdings noch keinerlei Kontrolle. Wieso war eine Ausrufung dann überhaupt möglich und was hatte sie zu bewirken?

Dutzende Staaten erkannten den gerade ausgerufenen Staat Palästina noch im selben Jahr und in den Jahren danach an, obwohl die Palästinenser zu dieser Zeit keine souveräne Staatsgewalt über die von ihnen beanspruchten Gebiete besaßen und damit der von ihnen proklamierte Staat Palästina auch eindeutig nicht die in Art. 1 der Montevideo-Konvention festgeschriebenen Kriterien der Staatlichkeit erfüllte. Ist es dann überhaupt rechtmäßig, den Staat anzuerkennen? Und wenn es rechtens ist: Wie ist es zu bewerten, dass sie einen Staat anerkennen, der eigentlich kein Staat ist?

Bei der Anerkennung von Staaten muss man zwischen der rechtlichen und der politischen Ebene unterscheiden. Rechtlich gesehen war die Unabhängigkeitserklärung der PLO 1988 erst einmal irrelevant, da die Organisation, wie Sie richtig schreiben, keinerlei Kontrolle über auch nur irgendeinen Teil des beanspruchten Territoriums hatte und »Palästina« den sogenannten Montevideo-Kriterien für Staatlichkeit nicht entsprach, die da lauten: eine ständige Bevölkerung, ein definiertes Staatsgebiet, eine Regierung und die Fähigkeit, in Beziehung mit anderen Staaten zu treten. (Auf diese Kriterien bezog sich beispielsweise auch Österreich in seiner Stellungnahme gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Frage, ob »Palästina« als souveräner Staat zu betrachten sei.)

Die Wirkung dieser Aktion war aber nicht rechtlich, sondern politisch, es war ein symbolischer Akt. Im Juli 1988 hatte Jordanien offiziell den Anspruch auf das Westjordanland aufgegeben, das bis zum Sechstagekrieg 1967 (illegal) unter jordanischer Kontrolle gestanden war. Die Unabhängigkeitserklärung vom November sollte daran anschließend den Anspruch der PLO auf das Gebiet zementieren.

Im Dezember folgte bei den Vereinten Nationen die Umbenennung der PLO, die Beobachterstatus bei den UN hatte, in »Palästina«. In der entsprechenden Resolution 43/177 der Generalversammlung wurde aber ausdrücklich festgehalten, dass sich durch diese Umbenennung am Status der PLO nichts änderte. Auch das war also rein symbolischer Natur: eine Organisation, die PLO, gab sich bei den Vereinten Nationen den Namen eines Landes, »Palästina«.

Auch dass dieses »Palästina« von etlichen Staaten anerkannt wurde, änderte am Status nichts – durch die bloße Anerkennung wird nicht ein nicht-existenter Staat geschaffen. Aber die Staaten konnten selbstverständlich aus eigenem Entschluss Vertreter »Palästinas« auf diplomatischer Ebene anders behandeln als zuvor. Sie konnten zum Beispiel PLO-Niederlassungen fortan als »Botschaften des Staates Palästina« betrachten usw. (Nebenbemerkung: Österreich hat den Staat »Palästina« bekanntlich nicht anerkannt, deswegen anerkennt es auch nur eine »Vertretung von Palästina« in Wien. Das hindert diese aber nicht daran, sich trotzdem – und eigentlich illegalerweise – »Vertretung des Staates Palästina in Österreich« zu nennen.)

2. Auch demokratische Staaten wie Schweden oder Island erkennen Palästina als Staat an. Welche Gebiete erkennen diese Staaten genau an? Nur die Gebiete, die unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen (Zone A des Westjordanlandes), oder auch die Gebiete, in denen die Terrororganisation Hamas regiert (Gazastreifen), oder gar das gesamte von der PLO 1988 beanspruchte Gebiet?

Weder noch, zumindest im Falle Schwedens. Soweit ich weiß, bezieht sich die schwedische Anerkennung auf die berüchtigten »Grenzen von 1967«, die in Wirklichkeit die Waffenstillstandslinien von 1949 waren und zu keinem Zeitpunkt eine international anerkannte Grenze darstellten. Das ist mehr als das Gebiet, das heute unter der Kontrolle der PA bzw. der Hamas steht, aber weniger als die 1988 von der PLO beanspruchten Gebiete, welche die in der UN-Teilungsresolution vom 29. November 1947 vorgeschlagenen Grenzen umfassten.

Prinzipiell erstreckt sich die Anerkennung durch Schweden auch auf die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen – wer in den Gebieten regiert, spielt für die Anerkennung keine Rolle.

Falls diese demokratischen Staaten wie Schweden und Island das gesamte Gebiet, das die PLO 1988 als palästinensischen Staat für sich beanspruchte, als Staat Palästina anerkennt, wäre das nicht gleichzeitig die Forderung an Israel, sich auf die unsicheren Grenzen von 1967 zurückzuziehen? Wie ist es Ihrer Ansicht nach zu bewerten, dass so demokratische und fortschrittliche Staaten wie Schweden und Island etwas fordern, das für Israel ein so hohes Sicherheitsrisiko darstellen würde, denn die Grenzen von 1967 sind für Israel ja kaum zu verteidigen?

Richtig, und das sind auch nicht »sichere und anerkannte Grenzen«, wie sie in der Sicherheitsratsresolution 242 von 1967 gefordert wurden. Deswegen hat Israel die Formulierung der »Grenzen von 1967« auch nie akzeptiert und vehement protestiert, wenn sie von maßgeblichen internationalen Akteuren aufgegriffen wurden (man denke an den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama).

Normalerweise reden Politiker, welche die »Grenzen von 1967« im Munde führen, stets davon, dass damit nur ein Ausgangspunkt für Verhandlungen gemeint sei, die zu territorialen Kompromissen führen müssten. Sie verkennen bzw. ignorieren die Bedeutung, die einer Anerkennung der »Grenzen von 1967« – die für Israel eben nicht zu verteidigen wären und von Außenminister Abba Eban deshalb »Grenzen von Auschwitz« genannt wurden – zukäme. In erster Linie würde die palästinensische Seite diese »Grenzen« für sich verbuchen und sich den territorialen Kompromissen verweigern, die für einen etwaigen Friedensschluss erforderlich wären.

3. Israel hat völkerrechtlich gesehen den besten Anspruch auf die Gebiete, die nicht zum Kernland Israels gehören, da der letzte international anerkannte Souverän über diese Gebiete das Osmanische Reich war, welches nicht mehr existiert, und Israel die Gebiete 1967 in einem Verteidigungskrieg gewonnen hat.

Um genau zu sein: Dazwischen lag noch das Britische Mandat Palästina, das war natürlich auch international anerkannt, da vom Völkerbund vergeben.

Hat Israel denn immer noch den besten Anspruch auf die Gebiete, die unter palästinensischer Autonomie stehen wie beispielsweise der Gazastreifen, der von der Hamas regiert wird, oder die Zone A des Westjordanlands, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde regiert wird? Immerhin werden die palästinensischen Autonomiegebiete ja auch bereits von einigen Staaten und beispielsweise von der UNESCO als vollwertiger Staat, also als Souverän, anerkannt?

Wieder muss man rechtlich und politisch unterscheiden. Für die Frage, auf welches Gebiet Israel völkerrechtliche Ansprüche erheben kann, spielt es keine Rolle, dass Teile dieser Gebiete momentan von der PA bzw. der Hamas kontrolliert werden. Die rechtliche Grenzziehung gemäß dem Grundsatz uti possidetis juris kümmert sich darum nicht (wie ich in dem von Ihnen erwähnten Dossier Besetzt – Umstritten – Annektiert? Jüdische Präsenz im Westjordanland zu erklären versucht habe). Genauso wenig wie es an der rechtlichen Situation etwas geändert hat, dass bis 1967 Ägypten den Gazastreifen kontrollierte und Jordanien das Westjordanland annektierte.

Politisch dürfte aber klar sein, dass es, sollte es dereinst Frieden geben, irgendeine Art von Kompromiss mit den Palästinensern geben wird müssen. Die Bereitschaft dazu hat Israel durch den Oslo-Friedensprozess und wiederholte Verhandlungsangebote an die Palästinenser deutlich gemacht. Gescheitert sind sie allesamt an der Verweigerungshaltung der palästinensischen Seite.

4. Palästina besitzt bei der UNO seit 2012 einen Beobachterstatus. Was genau hindert die Palästinenserführung daran, ein Vollmitglied der UNO zu werden? Eine Mehrheit in der Generalversammlung gäbe es doch? Könnten die Palästinenser nicht einfach über Verhandlung mit Israel hinweg Vollmitglied bei der UNO werden und Israels Interessen ignorieren?

Die PLO hatte bei den Vereinten Nationen seit 1974 den Status eines »permanenten Beobachters«; 1988 wurde, wie oben schon beschrieben, in der UN-Diktion aus der PLO »Palästina«. 2012 wurde beschlossen, »Palästina« als »non-member observer State« zu behandeln. Aber damit wurde kein Staat geschaffen oder auch nur provisorisch anerkannt, sondern es war lediglich ein Akt, der die Beziehung der PLO zu den Vereinten Nationen sozusagen administrativ verändert hat. Mehr nicht, auch wenn es viele gab, die daraus weit mehr machen wollten.

Ich denke, es gibt drei Gründe, die Mahmud Abbas davon abhalten, bei den UN einen Antrag auf Vollmitgliedschaft zu stellen:

1. Auch wenn es in der Generalversammlung eine Mehrheit für eine Vollmitgliedschaft geben würde, würde die Aktion nichts bringen. Denn die GV kann nur über die Aufnahme eines neuen Mitglieds abstimmen, nachdem der UN-Sicherheitsrat eine entsprechende Empfehlung abgegeben hat. Dafür bräuchte es eine Mehrheit von mindestens neun der 15 Sicherheitsratsmitglieder, und keines der ständigen Mitglieder dürfte sein Veto einlegen. Und genau an diesem Punkt wäre der palästinensische Antrag auch schon wieder Geschichte: zumindest die USA, möglicherweise aber auch Frankreich und Großbritannien würden ihr Veto einlegen.

Übrigens würde eine bloße Mehrheit in der GV nicht reichen: Für die Aufnahme eines neuen Mitglieds bedarf es einer 2/3-Mehrheit. Ob »Palästina« diese bekommen würde, bin ich mir nicht sicher.

2. Ein Antrag auf eine Vollmitgliedschaft für »Palästina« wäre ein Bruch gegen die geltenden Vereinbarungen im Rahmen des Friedensprozesses. Denn im sogenannten Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen (dem sogenannten Oslo-II-Abkommen) von 1995 ist in Artikel 31(7) festgeschrieben: »Keine der beiden Seiten wird Schritte einleiten oder unternehmen, die den Status des Westjordanlands und des Gazastreifens verändern, solange das Ergebnis der Verhandlungen über den endgültigen Status noch aussteht.«

Nun hat Mahmud Abbas schon mehrfach angekündigt, sich nicht mehr an die Oslo-Vereinbarungen gebunden zu fühlen bzw. diese für obsolet erklärt, aber er ist stets noch davor zurückgeschreckt, diesen Drohungen auch entsprechende Taten folgen zu lassen. (Man kann freilich darüber diskutieren, ob bereits die Aufnahme »Palästinas« als Staat in den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als einseitige Statusveränderung zu werten ist.)

Abbas ist klar: Wenn er die Oslo-Verträge aufkündigt oder klar bricht – etwa durch einen Antrag auf Vollmitgliedschaft bei den UN –, zerstört er seine eigene Machtbasis. Die Palästinensische Autonomiebehörde, die es ihm erlaubt, als »Präsident« der Palästinenser aufzutreten, ist ein Produkt des sogenannten Gaza-Jericho-Abkommens von 1994. Kündigt Abbas den Friedensprozess tatsächlich auf, zieht er der PA den Boden unter den Füßen weg – und bringt sich und die übrigen korrupten Fatah-/PLO-Führer möglicherweise um die Einkommensquellen, die ihnen ihr luxuriöses Leben ermöglichen.

3. Die Palästinenser haben, salopp formuliert, die Schnauze voll von symbolischen Aktionen, die ihrer Führung zwar fünf Minuten Blitzlichtgewitter verschaffen, an der Situation vor Ort aber genau nichts verändern, geschweige denn verbessern. Warum sollte Abbas einen Anlauf zu etwas unternehmen, das absehbarer Weise zu nichts führen wird, außer binnen kürzester Zeit die völlige Aussichtslosigkeit der Aktion unter Beweis zu stellen?

Wie genau begründen Sie die Aussage, dass ein Frieden nur mit Verhandlungen erreichbar ist?

Es gibt nur eine überschaubare Zahl an Wegen, wie ein Krieg zu Ende gehen kann. Entweder eine Seite besiegt die andere so nachhaltig, dass sie ihr ihren Willen aufzwingen kann, oder es kommt eben zu einem verhandelten Kompromiss. Nachdem es nicht so aussieht, als ob eine der beiden Seiten willens und/oder in der Lage wäre, die andere zu besiegen (die eine könnte es vielleicht, will das aus einer Reihe von Gründen aber nicht, die andere würde zwar wollen, ist dazu aber nicht in der Lage), bleibt zum Erreichen eines Friedens nur der Verhandlungsweg. Aber es ist keineswegs sicher, dass dieser Weg zum Erfolg führt.

Die Alternative dazu ist, die Auseinandersetzung auf möglichst niedrigem Gewaltniveau so lange zu managen, bis auf palästinensischer Seite nachhaltige Veränderungen stattfinden und diese ihre Verweigerungshaltung aufgibt, sodass Kompromisse möglich werden. Momentan ist das nicht der Fall.

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