Um vielen der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln die dringend benötigte medizinische Behandlung zukommen zu lassen, erhält die Hamas ein Vielfaches dessen, was die Verschleppten erreicht.
Wie die israelische Nachrichteplattform Ynet am Mittwochabend berichtete, kommen die von Ägypten aus in den Gazastreifen gelieferten Medikamente, die für israelische Geiseln bestimmt sind, zum größten Teil der Terrororganisation zugute. »Ein hoher Hamas-Beamter erklärte, dass für jede Kiste, die für die Geiseln bereitgestellt wird, tausend Kisten für die Palästinenser geschickt werden«, hieß es in dem Bericht. Im Rahmen der von Frankreich und Katar vermittelten Vereinbarung erklärte sich Israel außerdem bereit, mehr Hilfsgütertransporte nach Gazazuzulassen.
Die Bedingungen des Abkommens waren umstritten, nachdem klar wurde, dass Israel ursprünglich zugestimmt hatte, die Transporte ohne Inspektion durch die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) in die Küstenenklave zu lassen. Laut Channel 12 sagte Premierminister Benjamin Netanjahu, er habe sich nicht mit den Inspektionsvereinbarungen befasst und verwies auf die Armee als die für die Überwachung zuständige Behörde.
»Der Ministerpräsident ordnete die Lieferung von Medikamenten an die Geiseln an, befasste sich aber in keiner Weise mit den Inspektionsvorkehrungen für ihre Einreise, die von den IDF und den Sicherheitskräften festgelegt werden«, erklärte das Büro des Ministerpräsidenten. Nach Aussagen der IDF wurde um keine Stellungnahme zu dieser Angelegenheit gebeten. Die Streitkräfte hätten erst durch Äußerungen des hochrangigen Hamas-Beamten Musa Abu Marzouk von der Vereinbarung erfahren. Der Sprecher des Büros des Premierministers, Eylon Levy, sagte am Mittwoch, er könne sich zu den »spezifischen Modalitäten«, wie die Hilfsgüter nach Gaza gelangen, nicht äußern.
Die Unstimmigkeiten konnten letztlich gelöst werden. Wie Ynet berichtete, durchliefen fünf Lastwagen eine Sicherheitskontrolle am Kerem Schalom Grenzübergang an der Grenze zwischen Israel und Gaza.
Virtueller Beweis gefordert
Im Rahmen der von Katar und Frankreich ausgehandelten Vereinbarung brachten zwei katarische Militärflugzeuge die Hilfsgüter zum ägyptischen Flughafen El Arish in der Nähe des Grenzübergangs Rafah, der den Sinai mit dem Gazastreifen verbindet. Katar erklärte, seine Vertreter würden den Transport persönlich bis zu ihrem »endgültigen Bestimmungsort« im Gazastreifen begleiten, so das Büro von Premierminister Netanjahu. »Israel besteht darauf, dass alle Medikamente ihren Bestimmungsort erreichen«, heißt es in der Erklärung weiter.
Frankreich schickte die Medikamente am Samstag nach Doha, nachdem Ende letzter Woche ein Übereinkommen mit Katar getroffen worden war. Präsident Emmanuel Macron wies das Außenministerium an, eine Bedarfsliste für jene fünfundvierzig Gefangenen zu erstellen, die sich gemeinsam mit rund neunzig weiteren seit mehr als hundert Tagen in Geiselhaft befinden.
Das Hostages and Missing Families Forum, das die Angehörigen der Geiseln vertritt, kündigte an, einen »visuellen Beweis« zu verlangen, ob die Medikamente die Geiseln auch wirklich erreicht haben. Am vergangenen Wochenende erklärte der im Libanon stationierte Hamas-Führer Osama Hamdan gegenüber dem TV-Sender France 24, dass nur »einige der Medikamente zur Behandlung israelischer Gefangener verwendet werden«.
Nach offiziellen Angaben Israels befinden sich noch rund 136 Geiseln im Gazastreifen, wobei man davon ausgeht, dass Dutzende von ihnen bereits verstorben sind. Viele von ihnen benötigen dringend medizinische Hilfe. Mor Hershkovitz, die Leiterin des medizinischen Teams des Hostages and Missing Families Forum, erklärte gegenüber Medien, viele von ihnen befänden sich in einem kritischen Zustand oder könnten bereits tot sein: »Einige leiden an schweren Herz- und Nierenproblemen und müssten blutverdünnende Medikamente einnehmen, andere wurden während ihrer brutalen Entführung zum Teil schwer verwundet.«
Wie das Völkerrecht ausdrücklich vorschreibt, müssen unparteiischen humanitären Organisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz bei bewaffneten Konflikten Zugang zu den Geiseln gewährleistet werden. Nach Angaben des Regionaldirektors des Roten Kreuzes für den Nahen und Mittleren Osten, Fabrizio Carboni, erhielt seine Organisation von der Hamas bis heute noch keine Erlaubnis, die israelischen Geiseln zu besuchen.