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Streit um Lehrer: Wie antisemitisch ist Antisemitismus?

Von Alex Feuerherdt

Die Reaktionen auf die israelfeindlichen Boykottaktivitäten eines niedersächsischen Lehrers und Gewerkschafters finden längst nicht mehr nur im lokalen und regionalen Rahmen statt. Vielmehr spiegeln sie inzwischen die deutsche Debatte über die wachsende antisemitische Boykott-Bewegung BDS in vielerlei Hinsicht wider. Der Ausgang der Sache wird Signalwirkung haben.

Die Causa Christoph Glanz in Oldenburg – und die damit verbundene Diskussion über die antiisraelische BDS-Bewegung – zieht weiter ihre Kreise über die niedersächsische Universitätsstadt hinaus. Zur Erinnerung: Der Oldenburger Kreisverband der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) hatte Ende August in seiner Mitgliederzeitschrift einen Text von Glanz veröffentlicht, in dem der Staat Israel unter anderem „ethnischer Säuberungen“ sowie anderer schwerster Menschenrechtsverletzungen zum Nachteil der Palästinenser bezichtigt wurde. Zudem hatte Glanz, ein radikaler BDS-Aktivist, in seinem Artikel behauptet, schon palästinensische Kinder seien „Isolierhaft, brutalen Verhören und Schlägen“ durch die israelische Armee ausgesetzt, und für einen umfassenden Boykott, für einen Kapitalabzug und für Sanktionen gegenüber dem jüdischen Staat geworben. Nach Protesten und einigem Hin und Her zog der GEW-Kreisvorstand schließlich die Zeitschrift zurück, ging in einer Erklärung auf Distanz zu seinem Autor und beteuerte, einen Boykott Israels abzulehnen. Zugleich kündigte die niedersächsische Landesschulbehörde an, zu prüfen, ob der als Gesamtschullehrer tätige Glanz mit seinen antiisraelischen Aktivitäten gegen geltende Vorschriften verstößt.

Damit war die Angelegenheit jedoch noch lange nicht beendet. Die Oldenburger GEW – in der es offenbar heftige Flügelkämpfe zwischen israelfeindlichen und antisemitismuskritischen Kräften gibt – hat ihre Distanzierung mittlerweile wieder von ihrer Website entfernt, beklagt stattdessen nun „schwere Anfeindungen“ gegenüber Glanz und der Gewerkschaft und plant „die Herausgabe einer kommentierten Dokumentation“ in der nächsten Ausgabe der Mitgliederzeitschrift. Der Vorsitzende des Kreisverbands, Heinz Bührmann, sagt zwar, seine Gewerkschaftsgliederung lehne einen Israel-Boykott weiterhin ab. Zugleich aber haben er und seine Vorstandskollegen in einem Schreiben an die Leitung und den Personalrat jener Schule, an der Glanz lehrt, dem Israelfeind bewusst den Rücken gestärkt. Glanz selbst hat über die GEW hinaus weitere, eher kleine Gruppierungen zu seiner Unterstützung mobilisiert, etwa den zur Linkspartei gehörenden „Bundesarbeitskreis Gerechter Frieden in Nahost“ und die „Jews for Palestinian Right of Return“. Zudem ruft er dazu auf, die Redakteure der lokalen Nordwest-Zeitung (NWZ) mit Leserbriefen einzudecken.

Letzteres hat seinen Grund darin, dass die NWZ – die Glanz lange Zeit gewogen war – zuletzt gleich mehrere kritische Beiträge zum Thema BDS publiziert hat. Dazu gehört beispielsweise ein ausführlicher Text, in dem zahlreiche Kritiker der antiisraelischen Boykottbewegung zu Wort kommen, ein Interview mit dem Antisemitismusforscher Samuel Salzborn – der unmissverständlich klar macht, dass die BDS-Kampagne nicht „nur“ antiisraelisch, sondern auch antisemitisch ist – und ein Kommentar des NWZ-Newsdesk-Leiters Alexander Will, der es an Deutlichkeit nicht mangeln lässt. „Im Jahre 2016 diskutiert man in Deutschland allen Ernstes, ob eine Bewegung, die den Staat Israel abschaffen will, antisemitisch ist“, hebt Will an, um fortzufahren: „Wie anders soll man es nennen, wenn der einzige Ort, an dem Juden im Ernstfall sicher sind, durch die Hintertür zerstört werden soll?“ Die BDS-Kampagne sei „nichts anderes als alter antisemitischer Wein in neuen Schläuchen“, und es gehe ihr auch „nicht um Palästinenser, sondern um Judenhass“.

Nicht bloß eine Provinzposse

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„Intifada of Peace“: Twitter-Account von Christoph Glanz

Längst reichen die Diskussionen und Stellungnahmen zu Christoph Glanz‘ BDS-Aktivitäten über Oldenburg hinaus; sie sind in vielerlei Hinsicht ein Spiegelbild der deutschen Debatte über die Kampagnen für einen Boykott des jüdischen Staates. Deshalb ist das, was sich in der niedersächsischen Stadt abspielt, auch nicht bloß eine Provinzposse. Sonst hätten sich beispielsweise nicht der Bundes- und der niedersächsische Landesverband der GEW eingeschaltet und eine Erklärung abgegeben, die für den Oldenburger Kreisverband der Gewerkschaft eine schallende Ohrfeige darstellt: „Die GEW lehnt einen Boykott Israels und antisemitische Positionen strikt ab. Die GEW distanziert sich vom inkonsistenten Vorgehen von Teilen des Kreisvorstandes der GEW Oldenburg-Stadt.“ Bundespolitiker verschiedener Parteien – beispielsweise Michaela Engelmeier (SPD), Volker Beck (Grüne) und Barbara Woltmann (CDU) – haben sich anlässlich der Causa Glanz ebenfalls deutlich gegen die BDS-Bewegung ausgesprochen und deren antisemitischen Charakter hervorgehoben.

Auch in Israel stoßen Glanz und seine BDS-Aktivitäten auf Widerhall. Die israelische Botschaft in Deutschland beispielsweise erklärte: „Der Auftrag eines Lehrers ist es, Schüler zu unterrichten, und nicht, sie aufzuhetzen oder offen mit Gewalt zu sympathisieren.“ Christoph Glanz habe sich der BDS-Bewegung verschrieben, die das Existenzrecht des Staates Israel nicht anerkenne. Dieser Antisemitismus dürfe „im 21. Jahrhundert keinen Platz haben, besonders nicht in Deutschland, wo Volksverhetzung gesetzeswidrig ist“. In der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post berichtet deren Europa-Korrespondent Benjamin Weinthal regelmäßig über den Fortgang der Geschehnisse in Oldenburg und Glanz‘ israelfeindliches Tun. Gegenüber der NWZ machte er den Grund dafür deutlich: „Herr Glanz ist einer der führenden Aktivisten der antisemitischen BDS-Bewegung in Deutschland. In diesem Sinne hat Oldenburg internationale Bedeutung, weil der moderne und eliminatorische Antisemitismus hier geplant und verbreitet wird.“

Früher die Ritualmord-, heute die Apartheidlegende

Zusätzliches Gewicht bekommt die Angelegenheit dadurch, dass sie auch eine juristische Dimension hat. Denn vor Gericht ist ein Streit zwischen Glanz und der Oldenburger SPD-Stadträtin Sara Rihl anhängig, die den Aktivisten einen „bekannten Antisemiten“ genannt hatte. Glanz – der bezeichnenderweise vom Vorsitzenden der Linkspartei im Stadtrat, Hans-Henning Adler, anwaltlich verteidigt und politisch unterstützt wird – klagte dagegen auf Unterlassung und bekam vor dem Landgericht Oldenburg vorläufig Recht, wobei Rihl der Verhandlung krankheitsbedingt nicht beiwohnen konnte, weswegen ein Versäumnisurteil erlassen wurde. Anschließend strengte das Landgericht eine gütliche Einigung an, doch auf Rihls Vergleichsvorschlag wollte sich Glanz nach Auskunft der Oldenburger SPD-Politikerin nicht einlassen. Deren Vorschlag ging dahin, dass Glanz der Antisemitismus-Definition der „European Parliament Working Group On Antisemitism“ – die auch die Feindschaft gegenüber Israel einschließt – zustimmen und sich zugleich vom so definierten Antisemitismus distanzieren sollte; im Gegenzug wollte Rihl sich verpflichten, Glanz nicht mehr als Antisemiten zu bezeichnen. Nun hat die Stadträtin beim Oberlandesgericht Hannover beantragt, das Hauptsacheverfahren einzuleiten.

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Christoph Glanz mit dem BDS-Aktivisten Ronnie Barkan

Ungeachtet der Frage, wie dieses Verfahren ausgehen wird, hat der Theaterregisseur und Schauspieler Gerd Buurmann unbedingt Recht, wenn er auf seinem Blog feststellt, dass Glanz‘ Horrorgeschichten über den jüdischen Staat „nichts weiter als Gerüchte über Juden“ sind und sich lesen „wie die alten Vorwürfe, die seit Jahrhunderten gegen Juden vorgebracht werden“. Diese Vorwürfe seien „so wahr wie die Vorwürfe der Ritualmordlegende und der Brunnenvergiftung“. Weiter schreibt Buurmann: „Der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zu beweisen, dass Christoph Glanz bewusst verzerrt und lügt, ist so schwer, wie einem Judenhasser klar zu machen, das Juden keine Christenkinder schlachten, um daraus ihr Matzebrot zu backen.“ Wer wie Glanz behaupte, Israel verübe ethnische Säuberungen zum Nachteil der Palästinenser, verbreite „eine Lüge in der Größenordnung der Ritualmordlegende“. Ähnlich sieht es der NWZ-Kommentator Alexander Will: „Es ist dies das alte Spiel der Dämonisierung von Juden. Waren es früher angebliche ‚Ritualmorde‘, so ist es heute herbeifantasierte Apartheid.“

Das sind erfreulich klare Worte – und Erkenntnisse, die man sich auch beispielsweise von der Oldenburger GEW, von Christoph Glanz‘ Arbeitgeber und von der niedersächsischen Justiz wünschte. Sie hätten eine nicht zu unterschätzende Signalwirkung auf die Diskussion über die wachsende BDS-Bewegung sowie auf den Umgang mit israelfeindlichen Boykottkampagnen. Und dafür wäre es höchste Zeit.

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