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Gaza oder gar nichts. Eine Abrechnung mit dem medialen Palästina-Aktivismus

»Free Palestine form German Guilt«: Ohne Blutmetaphern gibt es der Palästina-Aktivismus gegen Israel nicht
»Free Palestine form German Guilt«: Ohne Blutmetaphern gibt es der Palästina-Aktivismus gegen Israel nicht (© Imago Images / Matrix Images)

Entweder man unterstütze Palästina, oder man befürworte den Genozid. Mit dieser moralischen Erpressung will sich die Autorin Michaela Dudley, eine afroamerikanische Berlinerin und Verbündete Israels, nicht einengen lassen. Sie prangert zudem die Hyperfixierung auf den Gazastreifen an.

Auch wenn man den Gazastreifen als Nabel der Welt darstellt, wird der Kampf für die »Befreiung« Palästinas niemals meine Causa sein. Als Schwarze, und zwar in meiner Eigenschaft als freie Journalistin, stehe ich daher mit vielen weißen Kollegen in der Presse auf Kriegsfuß. Irritiert sind sie nicht nur wegen meiner fehlenden Begeisterung für die Intifada, sondern vielmehr deshalb, weil ich der Free-Palestine-Bewegung eine organische, gefährlich grassierende Demokratiefeindlichkeit vorwerfe. Überdies erdreiste ich mich, die Beweggründe hinter der »israelkritischen« Darstellung des Gaza-Konflikts in den Nachrichten infrage zu stellen.

In der Berichterstattung wird der Gazastreifen gepuscht. Die Geschehnisse in der knapp 365 Quadratkilometer großen Küstenenklave werden seit nahezu zwei Jahren zu einem Phänomen aufgebauscht, das andere, weitaus gravierendere Krisen wie beispielsweise im Kongo oder im Sudan, dauerhaft überschattet.

Natürlich darf man die geopolitische Tragweite des »Nahostkonflikts« – als würden Israel und die Palästinenser den gesamten Nahen Osten ausmachen, in dem es sonst keine Konflikte gäbe – nicht trivialisieren, und ich möchte das echte Leid der Palästinenser keineswegs leugnen. Aber viele Nachrichtenredaktionen haben sich verrannt. Wenn man tagtäglich Betroffenheitsbilder aus einem Kriegsgebiet sendet, ohne die Kausalität zu erforschen und ohne den Kontext zu erläutern, dann verkommt es zu einer emotionalen Inszenierung, die den politischen Diskurs im Keim erstickt.

Genozid und Generation Z

Doch wer im propalästinensischen Lager will überhaupt noch debattieren? Es ist wesentlich leichter, diejenigen von uns, die zum jüdischen Staat stehen, der Beihilfe zum Genozid zu bezichtigen. Der Völkermordvorwurf fungiert also gleichsam als Totschlagargument. Insbesondere junge Menschen neigen zu dieser Taktik. Man kann Genozid ja nicht ohne Gen Z buchstabieren.

Wer sachliche Kritik an der Hamas äußert, kann zudem getrost damit rechnen, als »islamophob« abgestempelt zu werden. Die Täter-Opfer-Umkehr wird vor allem durch die Presse ermöglicht. Mittlerweile liefern sogar nicht nur linke, sondern auch Mainstream-Medien genau jene Bilder und Meldungen, die von der Free-Palestine-Bewegung begehrt sind. Diese werden sowohl auf den Straßen als auch in den sozialen Netzwerken ausgeschlachtet.

Journalistische Prinzipien erodieren, indem die Presse dem Zeitgeist gehorcht. Grundsätze der Ausgewogenheit und der kritischen Distanz werden geopfert, die Sorgfaltspflicht mutiert zur Nebensache. So finden Fake News, manipulierte Bilder und unbelegte Behauptungen kritiklos ihren Weg in die Berichterstattung.

Das Perfide daran ist, dass entsetzliche Falschmeldungen wie jene des UN-Beamten Tom Fletcher, der im BBC-Interview von 14.000 binnen der nächsten 48 Stunden getöteten Säuglingen sprach, bereitwillig an die große Glocke gehängt werden, ohne dass entlastende Richtigstellungen mit derselben Energie veröffentlicht würden. Klärende Angaben werden vermieden, wenn sie nicht ins Narrativ passen.

Während von Zehntausenden, bei manchen gar von Hunderttausenden Hungertoten die Rede ist, gestand die Hamas selbst jüngst ein, dass seit Kriegsbeginn im Oktober 2023 bis heute lediglich 313 Personen an Hunger verstorben sind. Menschlich tragisch, ohne Zweifel. Aber dies entspricht eben nicht der apokalyptischen Legende, die zur Dämonisierung Israels weitererzählt wird. Dennoch wurde diese belangvolle Nachricht, obwohl in der britischen Zeitung Guardian bestätigt, von den Großmedien kaum thematisiert.

Heuchelei als Humanismus

Die mediale Fokussierung auf den Nahostkonflikt findet allerdings nicht in einem Vakuum statt. Sie ist ebenfalls nicht einfach eine Quotenstrategie, die darauf abzielt, mit TikTok & Co. Schritt zu halten. Fakt ist, dass sich ein generationenübergreifender Gesinnungswandel vollzieht. Denn die bundesrepublikanische Brandmauer gegen den Judenhass löst sich in Flammen auf. Man posiert zwar mit den letzten Holocaust-Überlebenden, weil es gerade noch zum guten Ton gehört, aber die Posse beinhaltet ein Alibi. Im nächsten Moment kämpft man mit aller Härte gegen die IHRA-Definition des Antisemitismus, die als wichtiges Werkzeug geschaffen wurde, um genau jener Hetze entgegenzuwirken, die Juden heute leibhaftig bedroht.

Da, wo sogenannte White Saviors am Werk sind, hören die Widersprüche nicht auf. Dieselbe Clique, die sonst gegen die kulturelle Aneignung predigt, gewandet sich in Kuffiyas und ruft zur Intifada auf: Baader-Meinhof-Romantik 2.0. Die leidenschaftliche Unterstützung für die palästinensische Sache ist bei vielen (weißen) Deutschen zu einem Vehikel der Identitätssuche geworden. Man müsse sich von German Guilt befreien, fordern sie. So degradieren sie die deutsche Staatsräson zum Fußabtreter und verhöhnen das Nie-wieder-Prinzip. Obwohl sie persönlich keinerlei Schuld an der Shoah trifft, verkehren sie ihre historische Verantwortung in ihr absurdes Gegenteil. Ihr »Mitgefühl« fördert übrigens eine Militanz, die in den Märtyrertod zahlreicher Menschen mündet.

Eigentlich ganz nach dem Drehbuch der Hamas, die ihren Krieg gegen Israel nicht etwa gewinnen will, sondern ewig fortsetzen möchte. Dies, das wahre Vorhaben der milliardenschweren Milizführer, scheint bei den Demonstrierenden an der Basis nicht so richtig angekommen zu sein. Vielen geht es sowieso weniger um Gerechtigkeit als um Gelegenheit, ihre Antipathien zu artikulieren, wohl mithilfe blutgefärbter Hände und roter Dreiecke.

Wenn sie »From the river to the sea« skandieren, sympathisieren sie mit einem Slogan und einer Organisation, die ausdrücklich zur Vernichtung Israels aufruft. Ein Blick auf Artikel 7 der Gründungscharta der Hamas (1988) klärt auf. Selbst in ihrem bereinigten Grundsatzpapier von 2017 legt die Hamas den Islamismus als Bezugsrahmen für ihre Ziele fest. Demokratie wird dabei nicht als Leitbild genannt, geschweige denn, die Hamas würde sich für Frauen- und LGBTQ-Rechte einsetzen.

Seit 2018 betreue ich ehrenamtlich vereinzelte queere Geflüchtete, zu denen einige aus dem Gazastreifen zählen. Das, was diese tapferen, von der Hamas brutal verfolgten Opfer dort erlebt bzw. knapp überlebt haben, ist haarsträubend. Umso bedenklicher ist es, dass sie keine Solidarität seitens der pro-palästinensischen Flanke erhalten. Sobald ich auf ihr Schicksal hinweise, heißt es krampfhaft, ich würde »Pinkwashing für Bibi« betreiben.

Schwarz auf Weiß

Als Person mit afroamerikanischen Wurzeln kann ich nur Tränen lachen, allerdings schmerzhafte Tränen, wenn progressive Weiße mir die Intifada als »dekolonial« vorgaukeln. Denn die Bewegung schwelgt in einem pan-arabischen Nationalismus, der die Augen vor der eigenen Geschichte verschließt: Der islamische Imperialismus hat bereits ab dem 7. Jahrhundert weite Teile Afrikas verwüstet. Eine wesentliche Säule dieser Kolonialherrschaft bildete der transsaharische

Sklavenhandel, der für die Verschleppung und Vernichtung von ca. zwanzig Millionen Afrikanern verantwortlich ist.

Im Gazastreifen haben osmanische Herrscher Afrikaner sogar bis ins 20. Jahrhundert hinein als Ware gehandelt. Die traurige Bilanz: Rund 11.000 marginalisierte Afro-Palästinenser wohnen heute im Lager al-Abeed, dessen abfälliger Name »Versklavte« bedeutet. – Wie war das noch einmal mit dem Apartheid-Vorwurf gegen Israel?

Doch damit nicht genug. Zu den ersten Opfern des Terrorangriffs vom 7. Oktober 2023 gehörte der Tansanier Joshua Mollel, der im Kibbuz Nahal Oz von der Hamas vor laufender Kamera entführt, drangsaliert und hingerichtet wurde. Sein Tod erinnert mich an die Methoden des Ku Klux Klans, einer Organisation, der ich als Kind in den USA der 1960er Jahre unvergesslich begegnete. Mollels Landsmann Felix Mtenga wurde ebenfalls von der Hamas ermordet. Sie beide waren weder Israelis noch Juden, sondern Christen, die als Agrar-Praktikanten in Israel arbeiteten. Dass die beiden jungen Schwarzen panisch um ihr Leben flehten, hat die Hamas herzlich wenig beeindruckt. Von wegen Bruderschaft.

Angewidert nehme ich zur Kenntnis, wie in der europäischen Bevölkerung die Gräueltaten der Hamas beliebig geleugnet, als »Jugendsünden« bagatellisiert oder sogar als »Widerstand« gerechtfertigt werden. Die Presse müsste hier effektiver aufklären. Natürlich obliegt es ihr auch, harte Fragen an die israelische Regierung zu stellen. Das tun Millionen Israelis tagtäglich, wie es sich in einer Demokratie geziemt. Aber viele westliche Medien sind selten dazu bereit, die propalästinensischen Akteure zur Rede zu stellen geschweige denn zur Rechenschaft zu ziehen. Gerade hier offenbart sich der Rassismus der geringen Erwartungen, indem man ihnen die Handlungsfähigkeit abspricht.

Das ist wiederum nicht die einzige Stelle, an der sich übergriffige Vorurteile zeigen. Wegen meiner Haltung stoße ich vor allem in Medien, die sich als linksliberal bzw. progressiv rühmen, an eine gläserne Decke. In den Räumen, die Diversität und Inklusion feiern, spüre ich als Schwarze einen gewaltigen Erwartungsdruck, die thematische Vorherrschaft des Gazastreifens anzuerkennen und die Israel-Skepsis gewissermaßen als Werkeinstellung zu würdigen. Wer nicht mitzieht, dem widerfährt Gaslighting und Ghosting, zwei neudeutsche Begriffe für das Faktum, vertröstet und vermieden zu werden. Die Zensur durch die eigene Zunft ist gnadenlos. Aber ich beuge mich der Nötigung nicht. In Deutschland ist der Zeitgeist nicht immer ein guter Ratgeber.

Michaela Dudley (Jg. 1961), eine Berliner Queerfeministin mit afroamerikanischen Wurzeln, ist Publizistin, Juristin (Juris Dr., US), Keynote-Rednerin und Autorin von taz-Kolumnen und Artikeln bei Belltower.News, Berliner Zeitung und Tagesspiegel. Auch tritt sie im ÖRR auf. Ihr Buch Race Relations befasst sich mit Rassismus und Antisemitismus und drängt auf eine Wiederbelebung des Schwarz-Jüdischen-Bündnisses aus Zeiten etwa der Bürgerrechtsbewegung. 2023 trat sie im Kinofilm Geschlechterkampf. Das Ende des Patriarchats und im Aufklärungsvideo Hab’ ich was gegen! der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf. Überdies hat sie mit den NS-Dokumentationszentren in Köln (Referentin) und München (Autorin/Buchprojekt) zusammengearbeitet.

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