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Ein US-Demokrat gegen den israelfeindlichen Trend

Von Stefan Frank

Am Sonntag gab Pete Buttigieg, der 37 Jahre alte Bürgermeister der 100.000-Einwohner-Stadt South Bend, Indiana, in seiner Heimatstadt offiziell bekannt, sich um die Kandidatur der Demokratischen Partei bei den US-Präsidentschaftswahlen 2020 zu bewerben. Manche sagen, er sei die beste Chance der Demokraten, Trump zu schlagen. Buchmacher sehen seine Aussichten, als Kandidat der Demokraten nominiert zu werden, als genauso groß wie die von Bernie Sanders und Joe Biden (Stand 16. April) – und das, obwohl deren Namen jedem Amerikaner bekannt sind, was auf Buttigieg noch nicht zutrifft. Eigentlich aber sind Buttigiegs Chancen sogar deutlich höher zu veranschlagen: Geht man von der vernünftigen Annahme aus, dass die Demokraten nicht jemanden ins Rennen schicken werden, der vier oder fünf Jahre älter ist als Donald Trump (der bei seiner Wahl 2016 bereits der älteste gewählte US-Präsident der Geschichte war), dann liefe es – geht man wiederum von den jetzigen Wettquoten aus – auf einen Kampf zwischen Buttigieg und der kalifornischen Senatorin Kamala Harris hinaus.

Was über Buttigieg derzeit in den Zeitungen zu lesen ist, ist vor allem Folgendes: Er ist Afghanistanveteran, er ist Christ, er hat in Harvard studiert, er ist homosexuell, er spielt Klavier und spricht sieben Fremdsprachen. (Letzteres ist wohl das Erstaunlichste.) Was im deutschsprachigen Raum bislang noch nicht berichtet wurde: Er gilt als israelfreundlich. Das ist zu einer Zeit, in der der Trend in dieser Partei in die andere Richtung geht, bemerkenswert.

Im Mai 2018 reiste Pete Buttigieg mit einer Gruppe amerikanischer Bürgermeister nach Israel. Während ihres Besuchs wurde das Land von iranischen Truppen in Syrien mit Raketen beschossen. Nach seiner Rückkehr aus Israel gab Buttigieg dem Internetradiosender AJC Global Voice ein Interview. Es gebe einige Dinge, die anders aussähen, wenn man einmal die Chance habe, sie mit eigenen Augen zu sehen, sagte er da. Für jemanden, der Israel zum ersten Mal besuche, sei es interessant zu sehen, wie „kompakt“ die Region sei: „Wie nah man selbst in Tel Aviv der syrischen Grenze ist, wie nahe dem Libanon und all den Grenzen in einer ziemlich schwierigen Nachbarschaft. Das hat mir die Augen geöffnet.“ Auch habe er gelernt, dass es in der israelischen Gesellschaft eine weite Bandbreite an Meinungen gebe. „Es ist wichtig, das zu verstehen, weil es oft so dargestellt wird, als wäre jede Gruppe aus einem Guss. Wir wissen, dass die Communities in unseren Städten auch nicht so sind. Es war sehr hilfreich zu sehen, dass das in der israelischen Gesellschaft ebenso ist.“

Der Moderator sprach Buttigieg auf den Raketenbeschuss an. „Das ist nicht etwas, das Ihnen in South Bend passiert. Wie war das für Sie?“ „Das war sicherlich eindrucksvoll“, so Buttigieg. „An jenem Tag wollten wir in die Golanhöhen reisen, in die Nähe der syrischen Grenze. Es stellte sich heraus, dass dies nicht der beste Tag war, um das zu tun.“ Der Beschuss habe daran erinnert, „wie wirklich und unmittelbar all diese Themen sind“. Man habe auch den Eindruck gehabt, dass dies die israelische Gesellschaft nicht zum Stillstand bringe. „Natürlich hat jeder die Nachrichten genau verfolgt, als es zu dieser Konfrontation an der syrischen Grenze kam, aber es hat die Leute nicht davon abgehalten, ihr Leben zu leben. Da kann Amerika etwas lernen. Wir müssen lernen, Terroristen davon abzuhalten, ihr Ziel zu erreichen, unsere Priorität Nummer eins zu werden.“ An Israel könne man sehen, wie ein Land „auf der einen Seite sehr zielgerichtet, ernsthaft und effektiv sein kann, wenn es um Sicherheit geht, auf der anderen Seite aber auch Sorge um Sicherheit nicht zu etwas werden zu lassen, das das Bewusstsein dominiert“. Dies könne eine Lektion sein, in einer Welt, die „leider für alle von uns enger und gefährlicher wird“.

Ein US-Demokrat gegen den israelfeindlichen Trend
Israels Raketenabwehrsystem Iron Dome

Buttigieg bejahte die Frage des Moderators, ob die Raketenangriffe in Israel ihn an seine Mission in Afghanistan erinnert hätten. „Ja, natürlich. Etwa zu checken, wann es vielleicht den nächsten Raketenangriff gibt. Daran war ich in Kabul gewöhnt. Natürlich war der Zusammenhang ein ganz anderer. Wir waren dort in Uniform und wussten, dass wir im Kriegsgebiet sind. Im anderen Fall war ich in einer sehr modernen Stadt, umgeben von Leuten, die ihr Leben weiterführen.“ Zu sehen, „wie die Leute das gemeinsam durchstehen“, sei „erhellend und in vielerlei Hinsicht bewegend“ gewesen. „Egal was die Herausforderungen in der Nachbarschaft oder der Gesellschaft sind, sie können nicht darauf warten, dass vorher die Sicherheitsprobleme gelöst sind. Die Menschen leben ihr Leben, sie sehen sehr klar, was um sie herum passiert. Und gleichzeitig, lässt man sich nicht davon überwältigen.“ Man habe in Israel das „Gefühl, an einem sehr sicheren und sehr friedlichen Ort“ zu sein: „Was jegliche Art von Gewalt angeht, ob politische Gewalt oder Kleinkriminalität, würden die Statistiken in den Städten, die wir besucht haben – etwa Jerusalem –, sichrlich viele unserer Städte im mittleren Westen neidisch machen, wo wir unsere eigenen Probleme haben, etwa mit Schusswaffengewalt.“

Gefragt, was er durch seinen Besuch in Israel gewonnen habe, antwortete Buttigieg: „Sicherlich das Verständnis der Komplexität und der Nuancen der Angelegenheiten. Aber auch Verständnis für das Maß an Modernität dort.“ Tel Aviv und Jerusalem seien auf „sehr unterschiedliche Weise ergreifend“. Für ihn als „Stadtinnovationsenthusiasten“ sei es „sehr interessant zu sehen, wie sich urbane Lebensformen entwickeln und wie Technologie die Gesellschaft beeinflusst“. An Tel Aviv habe ihn besonders fasziniert, wie die Stadt „mit all dem Wachstum umgeht, wie sie ein Maß an sozialem Zusammenhalt gewahrt hat und Technologien integriert; wie sie aus einem Ausweis eine Smartphone-App gemacht haben und diese nutzen, um sicherzustellen, dass die Leute Zugang zu Informationen und Dienstleistungen haben.“ Das sei etwas, das amerikanische Bürgermeister hofften, bald zu tun.

Buttigieg kritisierte auch die Medienberichterstattung über Israel, diese drehe sich häufig nur um „internationale Spannungen“. „Man sieht nur, was zwischen dem Ministerpräsidenten und der Palästinensischen Autonomiebehörde passiert. Man sieht bei weitem nicht genug von der Energie, der Dynamik, der Kreativität, der Innovation, die vor Ort stattfindet und wie einiges davon auf positive Art in den nationalen Kontext einfließt.“

Der Moderator verwies darauf, dass „70 bis 80 Prozent“ der amerikanischen Juden die Demokraten wählten, viele von ihnen sich nun aber Sorgen machten, dass die Demokraten immer mehr nach links rücken und immer mehr auf Distanz zu Israel gehen. „Ist das eine legitime Sorge?“, fragte der Moderator. Darüber habe er in Israel mit Regierungsvertretern gesprochen, so Buttigieg. Israel müsse ein „parteiübergreifendes Thema“ bleiben: „Ich glaube, es besteht das Risiko, dass Israel als ein Thema für Parteienstreit betrachtet wird, und das wäre wirklich ein Unglück.“

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Unterstützer der demokratischen Abgeordneten Ilhan Omar und Alexandria Ocasio-Cortez

Eines, der ersten Dinge, die man begreife, wenn man vor Ort sei, sei, dass dies „keine Links-gegen-Rechts-Angelegenheit“ sei. „Jedenfalls sollte sie das nicht sein. Wir haben viele Leute der israelischen Linken getroffen, die komplexe und nuancierte Ansichten über das haben, was vor sich geht, aber auch auf überzeugende Art erklärt haben, warum vieles, von dem, was entschieden wurde, so ist, wie es ist.“

Er habe auch ein besseres Verständnis von Israels Verhältnis zum Iran gewonnen, der größten Bedrohung des Landes. „Leider werden diese Dinge in den amerikanischen Medien manchmal zu einem Schwarz-weiß-Bild reduziert.“ Die meisten Leute seien sich leider nicht darüber im Klaren, „dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was im Gazastreifen passiert – der von der Hamas regiert wird auf eine Art, die zu sehr viel Leid beiträgt – und einer Umgebung, wo man einen Verhandlungspartner an der anderen Seite des Tisches hat.“

Buttigieg nannte die Sicherheits- und Geheimdienstkooperation zwischen den Vereinigten Staaten und Israel „lebenswichtig“, forderte aber gleichzeitig, dass die USA andere Akteure in der Region dazu anhalten müssten, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Nehmen Sie beispielsweise die ägyptische Rolle im Hinblick auf die Situation in Gaza und denken Sie daran, in welcher Machtposition die USA gegenüber Ägypten sind. Noch ehe man zum Iran kommt und zu dem, was in einigen Golfstaaten vor sich geht, gibt es für die USA sicherlich eine Chance, Einfluss auszuüben und zu einem konstruktiven Akteur zu werden, wenn es um eine Menge Staaten in der Region geht, die ihrer Verantwortung bislang nicht gerecht geworden sind.“

In einer Talkshow des Fernsehsenders ABC wurde Buttigieg im Januar darauf angesprochen, dass drei neugewählte demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses – Ilhan Omar, Alexandria Ocasio-Cortez und Rashida Tlaib – „ausgesprochene Kritiker von Israels Behandlung der Palästinenser“ seien. Sie selbst, so eine der Moderatorinnen, glaube nicht, dass das „hart umkämpfte Thema“ der Demokraten im Jahr 2020 der Nahe Osten sein werde, sondern es werde Israel. Sie erinnerte daran, dass Ilhan Omar gesagt hatte, die Vereinigten Staaten sollten Israel so behandeln wie den Iran, und fragte Buttigieg, wie er dazu stehe. „Ich bin nicht einverstanden mit den Kommentaren über Israel und den Iran“, so Buttigieg. „Leute wie ich werden im Iran aufgehängt. Die Idee, dass man das, was passiert, miteinander vergleichen könne, ist einfach falsch.“

Was von Bürgermeister Pete Buttigieg bekannt ist, macht deutlich, dass er nicht dem radikalen Flügel der Partei angehört, der auf dem Programmparteitag 2012 versuchte, das Bekenntnis zu Jerusalem als Israels Hauptstadt (so wie auch jegliche Bezugnahme auf Gott) aus dem Programm zu entfernen. Diesem radikalen Flügel entstammen Omar, Ocasio-Cortez und Tlaib. Sie sind auch in deutschen Zeitungen sehr präsent, aber sie sind glücklicherweise nur drei von 235 Abgeordneten der Demokraten im Repräsentantenhaus. Buttigieg hat die Chance, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie nicht repräsentativ sind für die Partei – und schon gar nicht die Zukunft der Demokraten.

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