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Ein “profunder Kenner” des Nahen Ostens: Michael Lüders

Der "profunde Kenner" des Nahen Ostens Michael Lüders
Der "profunde Kenner" des Nahen Ostens Michael Lüders (© Imago Images / Gerhard Leber)

Als die Moderatorin der ZiB2 nach einem Bericht über die jüngsten Entwicklungen in der Auseinandersetzung zwischen dem Iran und dem Westen einen aus Berlin zugeschalteten „profunden Kenner der Region“ begrüßte, blieben eigentlich nur mehr drei mögliche Interviewpartner übrig: Volker Perthes, Udo Steinbach und, last but not least, Michael Lüders. Wer jemals eine „Analyse“ von Lüders zu hören bekommt, wird ihn nie wieder vergessen können – seine Erläuterungen sind in aller Regel von einer „Qualität“, dass sie selbst unter den oftmals sonderbaren Expertisen diverser „Nahostexperten“ als besonders abwegig hervorstechen.

Henryk Broder erinnert immer wieder gerne an Lüders‘ „Analyse“ eines Bin Laden-Videos: „Gezeigt wurde der Chef der Al Kaida, wie er im Schneidersitz hockt und mit sanfter Stimme die wüstesten Morddrohungen ausspricht, die Kalaschnikow neben sich an die Wand gelehnt. Deswegen, so Lüders, weil Bin Laden die Waffe nicht in den Händen hielt, sei seine Rede eigentlich ein ‚Friedensangebot‘ gewesen.“ Auch im ORF-Interview, so viel sei schon jetzt verraten, wollte Lüders die an ihn gerichteten hohen Erwartungen nicht enttäuschen.

Dabei verlief das Gespräch zu Beginn noch etwas schleppend. Dass Lüders eine Eskalation am Werke sah, die „von beiden Seiten massiv vorangetrieben wird, von der iranischen ebenso wie von der amerikanischen“, das gehört zum Einmaleins von Nahostexperten, denen die vermeintlich professionelle Äquidistanz so ins Blut übergegangen ist, dass sie auch im Falle einer Vergewaltigung von einer „von beiden Seiten massiv vorangetriebenen Eskalation“ sprechen würden. Zur Lüders‘ déformation professionelle gehörte auch das Geschwafel, mit dem er seine erste Antwort zum Abschluss brachte. Die Stichworte hierzu lauteten: „kleiner Funke“, „Pulverfass“, „Explosion“ – Sie können den Satz sicher genauso gekonnt formulieren, wie der „profunde Kenner der Region“ aus Berlin.

Nach diesem zähen Auftakt gewann das Interview allerdings schnell an Fahrt. Könne es denn, so die Frage der Moderatorin, in dieser „Spirale der Eskalation“ jemals eine Lösung geben? Lüders hat jetzt seine optimale Betriebstemperatur erreicht: „Das würde voraussetzen, dass beide Seiten aus sich heraustreten und sich gewissermaßen aus der Vogelperspektive betrachten.“ Die iranische Regierung müsse lernen, „dass Propaganda nicht Politik ersetzt“; für die westliche Politik hieße das, „dass sie endlich anfängt, ernsthaft mit dem Iran zu verhandeln, mit Blick auf das dortige Nuklearprogramm.“ Lüders muss in den vergangenen Jahren nicht nur aus sich heraus-, sondern völlig weggetreten gewesen sein, sollten ihm die unzähligen Versuche des Westens, mit dem Iran zu verhandeln, ebenso verborgen geblieben sein wie die iranische Position, dass es über das Nuklearprogramm nichts zu verhandeln gebe.

Die Lage ist freilich kompliziert, weil man „nüchtern besehen“ akzeptieren müsse, dass der Iran über eine Atombombe verfügen werde, „und der Grund dafür ist nicht allein die kriegerische Einstellung der iranischen Politik, sondern die Sorge, dass der Iran angegriffen werden könnte, von den USA und/oder Israel. Seit Jahren ist die Rede von einem Regimewechsel in Teheran … und das macht natürlich große Besorgnis … in Teheran. Dementsprechend werden die Rüstungsanstrengungen vorangetrieben.“

Der Reihe nach: Seit 1979 hat der Iran in seinem Versuch, die islamische Revolution zu exportieren, so ziemlich jedes seiner Nachbarländer zu destabilisieren versucht, hat weltweit Terroranschläge in Szene gesetzt, unterstützt islamistische Terrororganisationen wie die Hisbollah im Libanon oder die Hamas im Gazastreifen, hat die Vernichtung Israels zu seiner Staatsdoktrin erhoben und betreibt ein illegales Programm zur Entwicklung von Atomwaffen. Und weil all das bei seinen Nachbarn und im Westen nicht gerade Begeisterung auslöst, deshalb würde sich der Iran bis an die Zähne bewaffnen wollen? Wenn dieses „Argument“ grenzdebil klingt, dann wohl, weil es das auch ist. Es erinnert an den alten Witz von dem Angeklagten, der seine Eltern ermordet hat, und jetzt auf mildernde Umstände hofft, weil er Vollwaise ist. Der Unterschied ist nur: Lüders wollte keinen Witz machen, er meinte das völlig ernst.

„Ironischer Weise“, so fuhr er fort, „haben verschiedene iranische Führungen, angefangen mit Präsident Khatami im Jahr 2003, den Amerikanern angeboten, die Beziehungen zu den USA zu normalisieren, einschließlich der Aufgabe des Atomprogrammes und der Normalisierung sogar der Beziehungen zu Israel, aber die USA, damals unter George W. Bush, haben das abgelehnt, mehrfach und brüsk.“ Was auch immer Lüders unter Ironie verstehen mag, die Geschichte vom angeblich von der Bush-Administration ausgeschlagenen, großen Angebot Khatamis gehört seit einigen Jahren zum Standardrepertoire all jener, die die Schuld für das Fortdauern der Auseinandersetzung entweder dem Westen im Allgemeinen, oder einer sinistren Verschwörung neo-konservativer Kriegstreiber im Besonderen anhängen wollen.

Ohne darauf näher einzugehen (Details sind hier und hier nachzulesen), lässt sich sagen, das an der Geschichte in etwa so viel dran ist wie an dem Gerücht, Ahmadinejad habe nie zur Vernichtung Israels aufgerufen. Nebenbei bemerkt: Was die „verschiedenen iranischen Führungen“ gewesen sein sollen, die seit Khatami nichts lieber getan hätten, als sich mit den USA zu versöhnen und das Verhältnis mit Israel zu „normalisieren“, das bleibt Lüders‘ Geheimnis: Der Nachfolger Khatamis im Amt des iranischen Staatspräsidenten hieß Mahmud Ahmadinejad – verfügt Lüders etwa über Informationen über bislang gänzlich unbekannte Avancen Ahmadinejads gegenüber dem Westen?

Apropos Ahmadinejad: Dessen Regierung sitze, so Lüders weiter, „fest im Sattel. Es gibt keine politische Kraft im Iran, die diese Regierung herausfordern könnte“. An dieser Stelle blendete der ORF noch einmal ein, dass der Interviewte ein „Politikwissenschafter und Iran-Experte“ sei, und das war auch gut so, denn sonst hätte es niemand geglaubt.

Kann es sein, dass dem „Iran-Experten“ Lüders entgangen ist, dass die „Regierung Ahmadinejad“ im Iran alles andere als „fest im Sattel“ sitzt, dass dort sein Monaten erbitterte Machtkämpfe stattfinden und dass es sich bei der „politischen Kraft“, die ihn herausfordert, um niemanden Geringeren als den Obersten Geistlichen Führer Khamenei und dessen Verbündete handelt? Die „Islamische Republik als System“ sei ungefährdet, „ungeachtet der Massenproteste, die wir gesehen haben im Jahr 2008.“ Die Massenproteste, „die wir gesehen haben“, fanden zwar nicht im Jahr 2008 statt, sondern nach den geschobenen Präsidentschaftswahlen im Juni 2009, aber auf so eine Kleinigkeit kommt es angesichts dessen, was der „profunde Kenner der Region“ in den bisherigen knapp fünf Minuten des Interviews bereits alles zum Besten gegeben hatte, wirklich nicht mehr an.

Was am Ende all dessen natürlich nicht fehlen durfte, war der Gänsehaut auslösende Ausblick auf die Apokalypse: „Wir müssen einen Modus finden, mit dem Iran uns zu arrangieren, so schwer das fällt. Geschieht das nicht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zum Waffengang mit Teheran kommt, und das wäre eine Katastrophe für die gesamte Region. Das würde von Marokko bis Indien die gesamte Region in den Abgrund stürzen und die Ölpreise weltweit explodieren lassen.“

Seit den WikiLeaks-Veröffentlichungen sollte zwar eigentlich auch Lüders schon verstanden haben, dass viele regionale Akteure einen „Waffengang mit Teheran“ nicht nur nicht ablehnen, sondern die Amerikaner sogar mehrfach explizit dazu aufgefordert haben. So ernsthaft die Folgen einer militärischen Konfrontation auch wären, warum das etwa Marokko, Tunesien oder Indien „in den Abgrund“ stürzen sollte, bleibt unklar, aber vielleicht sollten wir Lüders in diesem Punkt einfach glauben – mit Abgründen kennt er sich offenkundig aus.

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