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Ein neuer Naher Osten entsteht

Unterzeichung der Abraham-Verträge im Weißen Haus in Washington
Unterzeichung der Abraham-Verträge im Weißen Haus in Washington (© Imago Images / MediaPunch)

Im Gegensatz zur Vision von Oslo ist die neue Realität, die sich in der Region herausbildet, echt und frei von Fantasien. Sie muss geschützt und gefördert werden.

Yaakov Amidror

Während einer Reihe von Vorträgen und Gesprächen in mehreren europäischen Ländern über die Auswirkungen der Abraham-Abkommen, mit denen eine Reihe arabischer Länder ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben, auf die Region sagte mir ein Mitglied des EU-Parlaments: »Die Wahrheit ist, dass wir nicht verstehen, was in Ihrem Nahen Osten vor sich geht, und mehr noch, wir wissen nicht, was sich dort verändert hat.« Deshalb hier eine kurze Erklärung dessen, »was dort vor sich geht«, in groben Zügen und ohne ins Detail zu gehen:

Nach der Gründung des Staates Israel versuchten seine Gründerväter, eine Art Bündnis von Ländern in Randlage zu bilden. Es bestand die Hoffnung, dass es möglich sein würde, die Nachbarländer zu umgehen und einen offeneren Dialog mit den nichtarabischen Ländern zu führen, die am weitesten von Israel entfernt sind: Iran, Türkei und Äthiopien. Mit den Ländern, die Israel umgeben, war ein Dialog, abgesehen von minimalen geheimen Kontakten, damals nicht möglich.

In den Beziehungen Israels zu den arabischen Ländern gab es seitdem jedoch Veränderungen. Der bedeutendste Durchbruch war der Friedensvertrag mit Ägypten vom März 1979, der nach sechs Jahren, in denen drei Kriege geführt worden waren (1967 bis 1973), geschlossen wurde. Der ehemalige ägyptische Präsident Anwar Sadat soll erkannt haben, dass die Araber Israel militärisch nicht besiegen konnten und es für Ägypten besser wäre, seine Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu stärken. Dies würde als Teil eines größeren Plans auch den Einfluss der Sowjetunion zurückdrängen.

Vorgeschichte des Abraham-Abkommens

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger erkannte die »Tragweite des Augenblicks« und konnte den Ausgang des Kriegs von 1973 zu seinem Vorteil nutzen, indem er einen Prozess in Gang setzte, der zu einem Friedensvertrag und verbesserten diplomatischen Beziehungen führte. Die arabische Welt folgte Ägypten damals nicht, obwohl es das größte und mächtigste arabische Land war, das Führungsambitionen hatte.

Ein weiteres wichtiges Fenster öffnete sich mehr als ein Dutzend Jahre später mit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens mit den Palästinensern. Die Rückkehr des damaligen Palästinenserführers Jassir Arafat nach Palästina, um den Kampf gegen Israel fortzusetzen, machte deutlich, dass er ursprünglich nicht einmal im Gegenzug für die Gründung eines palästinensischen Staates ein Abkommen mit Israel anstrebte. Arafats oberstes strategisches Ziel war es, vor Ort Fuß zu fassen, und nicht, ein politisches Abkommen zu schließen. Mit der Unterzeichung eines Abkommen mit Israel wurde jedoch ein Tabu gebrochen, das auch nach dem Abkommen mit Ägypten noch bestehen geblieben war. So konnte der jordanische König Hussein 1994 einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnen, möglicherweise, weil er glaubte, dass Syrien kurz davorstand, ebenfalls ein Abkommen zu unterzeichnen, und er nicht der letzte in der Reihe sein wollte.

Diese drei Abkommen veränderten die Position Israels und ermöglichten es anderen muslimischen Nationen, bessere Beziehungen zu Israel zu unterhalten, aber fast alles davon geschah im Geheimen und »unter dem Tisch«. Das schlimmste Schimpfwort in der arabischen Welt zu dieser Zeit war der Begriff »Normalisierung«. Diejenigen, die Abkommen mit Israel unterzeichneten, achteten darauf, die bilateralen Beziehungen nicht auszuweiten und ihre Bevölkerungen nicht dazu zu bringen, ihre Haltung gegenüber Israel zu ändern. Die »arabische Straße« vertritt eine vorsichtige Haltung gegenüber dem Frieden und den Beziehungen mit dem »jüdischen Staat«.

Das Abraham-Abkommen

Als Israels Premierminister hat Benjamin Netanjahu die sich verändernden Beziehungen zu den arabischen Ländern als Teil eines umfassenderen strategischen Weltbilds betrachtet. Dieses Konzept stand im Zusammenhang mit dem Konflikt mit dem Iran und Israels Wunsch, seine Erfolge in den Bereichen Technologie, Cyberspace und Energie zu nutzen, um seine Position in der Region und der Welt zu verändern. Im Laufe der Zeit wurden diverse Initiativen im gesamten Nahen Osten und anderswo durchgeführt. Israelische Führungspersönlichkeiten und Abgesandte, in erster Linie, aber nicht ausschließlich aus dem Bereich der Geheimdienste, trafen sich im zuge dessen mit ihren arabischen Amtskollegen. Netanjahu investierte viel Zeit und Mühe und nahm an mehreren Treffen persönlich teil.

Das Abraham-Abkommen (März 2020) ist das Ergebnis einer langjährigen Beziehung, die durch fünf Faktoren gereift ist:

  1. wurde den arabischen Ländern klar, dass Israel existiert, dies auch weiter tun wird und sogar stärker wird. Es gibt keine realistische Möglichkeit, Israel zu zerstören, und die arabischen Staaten zahlten einen hohen Preis für einen Traum, der keine Chance auf Verwirklichung hatte.
  2. hat der Arabische Frühling eine hochexplosive und instabile Situation im Nahen Osten geschaffen. Die Hoffnungen auf einen inneren Wandel sind verblasst, die islamistischen Kräfte stärker geworden und haben sich zu einer gefährlichen Kraft im Inneren entwickelt.
    Die verschiedenen Machthaber suchen nach Möglichkeiten, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern und sich mit radikal-islamischen Weltanschauungen auseinanderzusetzen, die vor allem von Katar und der Türkei gefördert werden. Die arabischen Machthaber hassen das erste und verachten das zweite.
  3. bewegt die palästinensische Frage die Welt viel weniger als früher; für die arabischen Länder ist das Problem irrelevant und anachronistisch geworden. Die Araber haben erkannt, dass es den Palästinensern nicht gelungen ist, aus den 1993 mit Israel getroffenen Vereinbarungen zur Errichtung eines funktionierenden Staates Kapital zu schlagen, sondern stattdessen zu einem »Bettlergebilde« geworden sind, das um immer mehr Geld bettelt, während es sich über jeden beschwert und kritisiert.
    Viele arabische Machthaber sind der Palästinenser überdrüssig. Für diese Länder sind die Palästinenser eher eine Belastung als ein echtes politisches und moralisches Anliegen.
  4. hat sich der Iran zu einer mächtigen und aggressiven Kraft entwickelt, die nicht zögern wird, jedem zu schaden, der sich weigert, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die Araber haben verstanden, dass die Schiiten, eine Minderheit von fünfzehn Prozent im Nahen Osten, die vom Iran angeführt wird, die größte Bedrohung für die arabische Welt darstellen, und nicht die Juden. Den Sunniten fehlt eine einheitliche Führung. In den letzten 25 Jahren haben der Iran und seine arabischen Verbündeten an Durchsetzungsvermögen gewonnen, und die sunnitischen Araber fürchten die schiitischen Perser.
  5. und letztens wird das amerikanische Engagement im Nahen Osten immer weiter reduziert. Dieser Prozess ist das Ergebnis der Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der langen Kriege in Afghanistan und im Irak, der abnehmenden Abhängigkeit von der Energieversorgung im Nahen Osten und der Einsicht, dass die größte Herausforderung für die Zukunft der Vereinigten Staaten im Fernen Osten liegt. Darüber hinaus zwang der Aufstieg Chinas die Vereinigten Staaten dazu, ihre Bemühungen neu auszurichten oder, wie Präsident Obama es ausdrückte, »nach Osten zu schwenken«.

Ein Herrscher eines arabischen Landes, der das Gefühl hat, dass der amerikanische Schutz, der ihn bislang abgeschirmt hat, nachlässt oder schwindet, während die iranische Bedrohung zunimmt, hat zwei Möglichkeiten:

  1. Einen Deal mit dem Iran eingehen und allmählich seine Souveränität verlieren, wie es der Libanon getan hat. Das ist es, was die Iraner im Irak fast erreicht haben, und das ist es, was Assad in Syrien unbedingt vermeiden will.
  2. Israel als zuverlässigen Partner zu betrachten, der die Wirtschaft stärken, Spitzentechnologie liefern und die Aggression des Irans verhindern kann.

Überwindung alter Paradigmen

Einige führende Politiker in der Region hatten die neue Realität schon erkannt, bevor der ehemalige US-Präsident Donald Trump mit der Präsentation des Abraham-Abkommens eine Änderung des langjährigen Narrativs ermöglichte, indem er und sein Team einen neuartigen und unkonventionellen Vorschlag unterbreiteten. Zum Glück für den Nahen Osten hatten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Israel kluge und mutige Botschafter in den Vereinigten Staaten, die es verstanden, den Stier bei den Hörnern zu packen und mit amerikanischer Unterstützung ein Angebot zu formulieren, das nur schwerlich abzulehnen war. Natürlich boten die Amerikaner auch Anreize für den Prozess.

Da die Trump-Administration über keinerlei Erfahrung in Nahostangelegenheiten verfügte, konnte sich das Verhandlungsteam von den seit Langem bestehenden Paradigmen lösen. Die gängige Auffassung war, dass die Palästinenser den Schlüssel zur Zukunft des Nahen Ostens in der Hand hielten und nur ein Abkommen mit ihnen die arabischen Länder so frei machen würde, dass ihnen Möglichkeit erwüchse, offene Beziehungen zu Israel aufzubauen. Das amerikanische Team vermied es, sich mit der palästinensischen Frage zu befassen, um stattdessen die Beziehungen Israels zu drei arabischen Ländern (VAE, Bahrain und Marokko) zu normalisieren, da es erkannt hatte, dass die Palästinenser nicht zu einer für Israel akzeptablen Lösung bereit sind und keine ernsthaften und direkten Verhandlungen mit Israel wünschen.

Zugleich wurde dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu klar, dass seine politische Basis mit der Alternative, die eine israelische Souveränitätsausweitung nur auf das Jordantal vorsah, nicht einverstanden war. Einige in der Siedlungsführung hielten es für falsch, die Souveränitätsausweitung nur auf einen Teil des Gebiets zu akzeptieren, wenn die für sie perfekt erscheinende Lösung – die Souveränität über das gesamte Westjordanland (Judäa und Samaria) ohne jeden Hinweis auf einen künftigen palästinensischen Staat – nicht möglich war. In dieser Situation war es für Netanjahu profitabler, seine diesebzüglichen Pläne ganz aufzugeben, um im Gegenzug die Beziehungen Israels zu den arabischen Nachbarländern zu verbessern.

Veränderte Situation

Gleich nach Abschluss des Abraham-Abkommens unterschieden sich die Beziehungen Israels zu den drei unterzeichnenden arabischen Ländern von denen mit Ägypten und Jordanien. Marokko, Bahrain und die VAE haben im Gegensatz zu Jordanien und Ägypten keine Angst vor einer wirklichen »Normalisierung« mit Israel. Diese Länder haben sich dazu entschieden, den Abkommen eine breitgefächerte Zusammenarbeit und öffentlichen Kontakte in verschiedenen Bereichen folgen zu lassen, einschließlich offener Besuche von israelischen Funktionären aller Ebenen in diesen Staaten. Was Gegenbesuche in Israel betrifft, so herrscht in allen arabischen Ländern immer noch Vorsicht. Diese Veränderung hat jedoch dazu geführt, dass auch Jordanien und vor allem Ägypten bereit sind, in zivilen Fragen enger zusammenzuarbeiten, als zuvor.

Die Übertragung Israels vom Europäischen Kommando des Pentagon (EUCOM) auf das für den gesamten Nahen Osten zuständige Kommando, das U.S. Central Command (CENTCOM), stellt eine weitere Veränderung dar, welche die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Zusammenarbeit mit arabischen Staaten deutlich erhöht hat. Die arabischen Staaten, die einer offenen und direkten Zusammenarbeit mit den Israelische Verteidigungsstreitkräften (IDF) bisher eher zögerlich gegenüberstanden, fühlen sich unter dem US-Rahmenwerk wohler in der Zusammenarbeit mit Israel. So ist beispielsweise ein IDF-Vertreter im Hauptquartier der 5. Flotte der US-Marine in Bahrain stationiert. Der israelische Vertreter sitzt in einem arabischen Land, das das Abraham-Abkommen unterzeichnet hat, sodass man sich nur vorstellen kann, wie sich die Präsenz und die Verbindungen auf die Beziehungen zur Armee auswirken können.

Der Aufbau eines regionalen Netzes von Aufklärungs-, Radar- und Warnsystemen gegen iranische Raketen-, Drohnen- und Marschflugkörperangriffe ist der bisherige Höhepunkt der gemeinsamen Sicherheitszusammenarbeit, die die Amerikaner zu fördern versuchen. Die IDF werden physisch und organisatorisch in mehreren arabischen Ländern integriert, von denen einige ein politisches Abkommen mit Israel unterzeichnet haben und andere – wie Saudi-Arabien (noch) – nicht. Dies ist wahrscheinlich die erste regionale Organisation, in der Israel eine zentrale Position einnimmt.

Es ist von wichtig zu betonen, dass trotz der Bedeutung der militärischen Beziehungen die Abraham-Abkommen in Zukunft auch im Hinblick auf die aus ihnen resultierenden wirtschaftlichen Erfolge und die sich entwickelnde Zusammenarbeit auf sozialer und kultureller Ebene zu bewerten sind. Aus diesem Grund sind Initiativen wie das Wasser-für-Energie-Abkommen, bei dem die VAE den Bau eines großen Solarparks in Jordanien unterstützen, um den dort erzeugten sauberen Strom nach Israel zu leiten, von entscheidender Bedeutung. Im Rahmen dieses Projekts wird Israel eine große Entsalzungsanlage am Mittelmeer bauen und Wasser nach Jordanien liefern, das bereits weitgehend von israelischen Wasservorräten abhängig ist.

Die neu entstandene Situation stellt eine grundlegende Veränderung dar. Zum ersten Mal wird deutlich, dass die bestehenden und sich entwickelnden Beziehungen im Nahen Osten von gegenseitigem Nutzen sind. Die Veränderung der Beziehungen Israels zu den arabischen Ländern trägt dazu bei, seine regionale Legitimität zu stärken, liegt aber auch im besten Interesse der arabischen Welt. Die sunnitischen arabischen Länder wünschen sich Beziehungen zu Israel, um die Region sicherer zu machen und bessere Instrumente für die Bewältigung der komplexen Realität an die Hand zu bekommen, mit der sie nach dem Arabischen Frühling angesichts der iranischen Aggression und der amerikanischen Zurückhaltung konfrontiert sind.

Energiepolitik

Um den neuen Nahen Osten und seine weitreichenden Auswirkungen besser zu verstehen, ist es hilfreich, sich vor Augen zu führen, was zur Zeit im Libanon geschieht. Die Wirtschaft des Libanon bricht zusammen, und das Land ist weitgehend funktionsunfähig, was zum Teil auf die tiefe iranische Verstrickung im Land zurückzuführen ist. Eine der Folgen ist der Mangel an Energie und Strom; in diesem Sommer wird Beirut weniger Stunden pro Tag Strom haben als der Gazastreifen. Nachdem die Versuche der Hisbollah, Öl vom Iran zu kaufen, gescheitert sind, zeichnet sich nun eine hervorragende Lösung ab: Israel wird Gas an Ägypten verkaufen, und das Gas wird von Ägypten durch die sogenannte »Arabische Pipeline« nach Jordanien und anschließend nach Syrien fließen. Von Syrien aus wird das Gas in den Libanon transportiert und zur Stromerzeugung für die Menschen im Libanon verwendet – darunter der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.

Gleichzeitig mit der Stärkung der Beziehungen zwischen Israel und den »sunnitischen Status-quo-Staaten« entwickelte sich im westlich von Israel eine wichtige Beziehung zu seinen Nachbarn am Mittelmeer. Das Israel am nächsten liegende nichtarabische Land ist Zypern, ein Mitglied der Europäischen Union, dessen nördlicher Teil 1974 von der Türkei besetzt wurde und mit dem Israel Gewässer in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) im Mittelmeer teilt. Israel hat in seiner AWZ beträchtliche Gasmengen entdeckt, und ein Feld (Aphrodite) wird von beiden Ländern gemeinsam genutzt, wobei sich der größte Teil davon in den Gewässern Zyperns befindet.

Griechenland, das westlich des griechischsprachigen Zyperns an der Mittelmeerküste liegt, unterhält enge Beziehungen zu der Insel und die drei Länder haben weitreichende Beziehungen zueinander. Sie unterstützen sich gegenseitig in Notzeiten, z. B. beim Löschen von Bränden im Sommer und beim Auffüllen von Versorgungslücken in Krisenzeiten – so flog Israel beispielsweise zahlreiche Generatoren nach Zypern, als das dortige Kraftwerk ausfiel. Darüber hinaus haben israelische Unternehmen Büros im nahe gelegenen Zypern eröffnet, um ihr Geschäftsleben auf dem europäischen Markt zu erleichtern, und Griechenland ist ein beliebtes Ziel für israelische Touristen.

Zugleich gab es große Spannungen im Zusammenhang mit dem im Mittelmeer entdeckten Gas. Die Türkei, die am nordöstlichen Ende des Mittelmeers liegt, unterzeichnete ein Abkommen mit einer der libyschen Regierungen über die Aufteilung der Wirtschaftsgewässer zwischen den beiden Ländern und ignorierte dabei die zypriotischen und griechischen Ansprüche. Dies könnte auch Israel schaden, da jede Verbindung nach Europa, sei es durch eine Pipeline oder ein Kabel, dieses von der Türkei beanspruchte Territorium auf dem Grund des Meeres durchquert.

Zypern und Griechenland betrachten das Vorgehen Ankaras, das auch die Ausweitung der Forschung zur Vorbereitung einer möglichen türkischen Gasförderung vor der Küste Zyperns beinhaltet, als aggressiv und gefährlich für ihre nationale Sicherheit. Darüber hinaus befürchten Zypern und Griechenland türkische Aggressionen im Bereich der griechischen Inseln, die nahe der Türkei in der Ägäis liegen. Insofern sind die engeren Beziehungen Israels zu Griechenland und Zypern auch dahingehend wichtig, dass die Türkei durch die militärische Stärke Israels abgeschreckt wird. Israel will zwar mit der Türkei nicht in Konfrontation geraten, wird es aber auch nicht zulassen, dass Ankara seine Träume im Mittelmeer verwirklicht – und Israel und Europa auf der Grundlage des mit Libyen unterzeichneten AWZ-Abkommens voneinander abschneidet.

Die Türkei möchte, dass Israel sein Gas über ihr Territorium nach Europa leitet. Dies würde die Türkei zu einem kritischen Land für Israels Wirtschaft machen. Zypern und Griechenland sind besorgt, dass ein solcher Schritt die Position der Türkei als dominante Verhandlungsmacht in der Region weiter stärken und einen Keil zwischen sie und Israel treiben würde. Israel hat viele Gründe, einen solchen Fehler nicht zu begehen; unter anderem das Misstrauen gegenüber dem Erdogan-Regime und seinen Anhängern, die ihre Weltanschauung mit der Muslimbruderschaft teilen. Unabhängig von der Frage der Gaspipeline muss Israel seine Beziehungen zu Griechenland und Zypern stärken, statt sie zu kappen.

Nach den bedeutenden Gasfunden vor der Küste Ägyptens hat sich eine Gruppe von Ländern um das Gasbecken im östlichen Mittelmeer gebildet. Dadurch entstand eine neue Verbindung zwischen Israel und Ägypten, die nicht durch die Landgrenze im Sinai, sondern durch ein gemeinsames Interesse am Mittelmeer geprägt ist. Diese Gruppe, der auch Zypern und Griechenland angehören, trifft sich bereits gelegentlich und sollte in Zukunft formalisiert werden. Dabei sollte das Netzwerk ausgebaut und gestärkt werden, indem Länder mit komplementären Interessen wie die VAE und Jordanien einbezogen werden, auch wenn sie nicht am Mittelmeer gelegen sind. Wenn die arabischen Länder darauf bestehen, die Palästinenser in diese Gruppe aufzunehmen, sollte es keine Einwände geben.

Ein Blick in die Zukunft: Israel als Regionalmacht

Auf europäischer Seite könnte der Beitritt Italiens, das aufgrund seiner langjährigen Interessen in Libyen zögert, und möglicher weiterer Länder das Mittelmeer, das sich als großes Gasreservoir erweist, in eine Region verwandeln, die den Nahen Osten und die Gruppe der Länder des Abraham-Abkommens mit den südlichen Staaten der Europäischen Union verbindet, wobei Israel und Ägypten als Brücke zwischen den beiden Seiten dienen.

Die Aufnahme Indiens als wichtiger Handelspartner in die Gruppe der Länder des Abraham-Abkommens, insbesondere wenn Saudi-Arabien sich öffentlich bereit erklären würde, der Gruppe beizutreten, könnte einen starken Block mit wirtschaftlichen und technologischen Fähigkeiten bilden, der für die entstehende Weltordnung von Bedeutung wäre. In einer Welt, in der die Spannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten alles andere überschatten, wird die Bildung eines solchen Blocks, der seine Stärke aus Bereichen bezieht, die nicht Teil dieser Konkurrenz sind, über die israelisch-arabischen Beziehungen hinaus von Bedeutung sein.

Und schließlich gibt es ein weiteres Phänomen im Bereich der Stromversorgung, das die Situation verändert hat. Die Verlegung eines Stromkabels zwischen Griechenland, Kreta, Zypern und Israel wird von der Europäischen Union vorangetrieben und teilweise finanziert. Ein weiteres Kabel wurde von Zypern aus zum Anschluss an das ägyptische Stromnetz verlegt, womit sich ein Elektrizitätssystem entwickelt, das ein Gleichgewicht zwischen diesen Ländern herstellt und für jedes Land eine optimale Lösung auf der Grundlage seiner Bedürfnisse bietet.

Wenn grüne Energiequellen an dieses System angeschlossen werden, wie es Kreta beabsichtigt, wenn eine Verbindung zwischen dem ägyptischen und saudischen System hergestellt wird und wenn Zypern ein großes Kraftwerk auf der Insel errichtet, damit seine Gasfelder erschlossen werden können, wird ein Elektrizitätssystem geschaffen, das sich von Europa bis nach Israel und Saudi-Arabien erstreckt. Ein solches System wird eine bessere Effizienz der einzelnen Stromsysteme ermöglichen. Darüber hinaus bietet es ein hohes Maß an Energiesicherheit auf der Grundlage der unterschiedlichen und sich ergänzenden Kapazitäten der verschiedenen Länder, sodass Zypern zu einem regionalen Zentrum für die Stromerzeugung wird. Israel kann als Brücke zwischen diesen beiden Blöcken fungieren, sowohl physisch als auch konzeptionell, und eine bedeutendere Rolle bei der Entwicklung der gesamten Region spielen, da es mit einem Fuß im arabischen Block und mit dem anderen im östlichen Mittelmeerraum steht.

Die Antwort auf die Frage, ob Israel in der Lage ist, mit den neuen Umständen als »Regionalmacht« umzugehen, ist komplex. Dennoch erfordern die einzigartigen Umstände eine andere israelische Denkweise und einen anderen Ansatz für Israels Engagement in diesem Rahmen. Wie im Nahen Osten üblich, wird es immer Elemente geben, die versuchen, den neuen Rahmen zu untergraben. Israel muss sein Vorgehen daher sorgfältig planen, seinen Beziehungen zu den Golfstaaten Priorität einräumen und bedeutende Projekte mit ihnen durchführen. Darüber hinaus sollte es seine Beziehungen zu Ägypten, Jordanien und Marokko sowie seine wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Griechenland und Zypern ausbauen und gleichzeitig seine Verbindungen zu Europa nutzen.

Es gibt einen »neuen Nahen Osten«, und im Gegensatz zur Osloer Vision ist er echt und frei von realitätsfernen Fantasien. Er muss geschützt und gefördert werden.

IDF-Generalmajor a. D. Yaakov Amidror war nationaler Sicherheitsberater des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu und Vorsitzender des israelischen Nationalen Sicherheitsrates (April 2011 bis November 2013). Er diente 36 Jahre lang in hochrangigen Positionen in den israelischen Streitkräften (1966 bis 2002), u. a. als Kommandeur der Militärschulen, Militärsekretär des Verteidigungsministers, Direktor der Abteilung für Nachrichtenanalyse im militärischen Nachrichtendienst und Chef des Nachrichtendienstes im Nordkommando der Streitkräfte. Er ist Stipendiat des JINSA-Zentrums Gemunder und Autor von drei Büchern über Geheimdienst und Militärstrategie: Reflections on Army and Security (2002), Intelligence, Theory and Practice (2006) und Winning Counterinsurgency War: The Israeli Experience (2008). (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate.)

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