„In Ankara geben sich derzeit ausländische Militärs die Klinke in die Hand. Eben war erstmals seit 1979 der iranische Generalstabschef in der Türkei. Am Mittwoch folgte US-Verteidigungsminister James Mattis, und nach ihm hat sich der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow angesagt. Da liegt etwas in der Luft, als stünden große, folgenschwere Dinge kurz bevor. Tatsächlich scheint die Türkei entschlossen, den Amerikanern in Syrien militärisch die Stirn zu bieten. Dort nämlich stärken die USA die syrischen Kurden. Diese hält Washington inzwischen für verlässlicher als die Türkei, ihren jahrzehntelangen Nato-Partner, der sich immer mehr zum Problemstaat entwickelt. Es ist ein doppeltes Umdenken in Washington und Ankara, das die historischen Partner – die Türkei ist der zentrale US-Vorposten im Nahen Osten – zu Gegnern machen könnte. Die Geschichte dieser Entfremdung begann vor gut zehn Jahren. (…)
Inzwischen scheint man diesen Ansatz in Washington für gescheitert zu halten. Zugespitzt gesagt gilt dort nun die Devise: Demokratie und Islam, das funktioniert nicht. Ein Grund für dieses Umdenken ist die türkische Politik selbst: Die ‚gemäßigt muslimische‘ Führung unter Präsident Erdogan erwies sich als immer weniger gemäßigt, immer muslimischer und unterstützte in Syrien radikal fundamentalistische Kräfte – in direktem Widerspruch zur amerikanischen Strategie. Schon lange vor Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump schwenkte Obama um: So unterstützten die Amerikaner das putschende Militär in Kairo, statt dort auf ‚gemäßigte Muslime‘ zu hoffen. Es war eine Rückkehr zur traditionellen US-Nahost-Politik, die mehr Gewicht auf ‚Stabilität‘ legte – und weniger auf ‚Demokratisierung‘. Man arrangierte sich mit Diktatoren, wenn sie prowestlich waren. Die Türkei aber wurde vom Vorbild zum abschreckenden Beispiel. Die Folge ist ein großes Fragezeichen in der Nato selbst. Schon lange werden keine sensiblen Informationen mehr mit Ankara geteilt, da Washington zweifelt, ob auf den traditionellen Partner politisch noch Verlass ist. Das Dilemma: Die Türkei zu verlieren wäre für die USA eine Katastrophe, ihr Agieren in der Nato wird aber auch als Katastrophe gesehen.“ (Boris Kálnoky: „Amerikas großes Dilemma mit der Türkei“)