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Ein absurdes Theater namens UNO

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet spricht während einer offenen Debatte des Sicherheitsrates über Frauen, Frieden und Sicherheit im UN-Hauptquartier in New York
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet (li.) spricht während einer offenen Debatte des Sicherheitsrates über Frauen, Frieden und Sicherheit im UN-Hauptquartier in New York (© Imago Images / Xinhua)

Durch das Gebaren ihres Menschrechtsrats und anderer Institutionen sowie die manische Fixierung auf Israel führen sich die Vereinten Nationen selbst ad absurdum.

Kann man noch von einem Skandal sprechen, wenn das, was eigentlich von jedem Menschen als skandalös betrachtet werden sollte, das normale Tagesgeschäft einer Institution ist und kaum jemandem auffällt? Das ist der Fall bei den Vereinten Nationen. Sie haben sich in den letzten fünfzig Jahren kaum verändert – und schon gar nicht, was ihr Verhältnis zu Diktaturen (gut) und Israel (schlecht) betrifft.

Laut dem Bericht Freedom in the World der amerikanischen NGO Freedom House gibt es weltweit etwa achtzig Staaten, die als »frei« bezeichnet werden können. Eine verblüffend hohe Zahl, auf die man aber auch nur kommt, weil es so viele Zwergstaaten mit demokratischer Ordnung gibt, nämlich Länder wie San Marino, Tuvalu, Liechtenstein oder Saint Lucia. Die anderen 113 UN-Mitgliedsländer, also die Mehrheit, sind Staaten, in denen Regimekritiker im Gefängnis landen oder um ihr Leben fürchten müssen. Die Regierungschefs dieser Länder, sozusagen die Kerkermeister, geben in der UNO den Ton an.

Sie nutzen die Vereinten Nationen als Bühne, um einander zu bescheinigen, wie großartig sie alle seien, gerade, was die Menschenrechte betrifft. So wurde der Iran letztes Jahr in die UN-Kommission für Frauenrechte gewählt und das syrische Assad-Regime in das Exekutivkomitee der Weltgesundheitsorganisation WHO. Eine vom UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) eingesetzte Sonderberichterstatterin für den negativen Einfluss unilateraler Zwangsmaßnahmen – auch so ein Amt gibt es bei der UNO – reiste nach Venezuela und kam mit der Erkenntnis zurück, dass alle humanitären Probleme und Menschenrechtsverletzungen im Land allein Folge von US-Sanktionen seien.

UN-Menschenrechtsrat preist Sklavenhalter

Die regelmäßigen »Überprüfungen« jedes Mitglieds des UNHRC, bei denen die anderen Mitglieder die Lage der Menschenrechte in dem jeweiligen Land überprüfen und kommentieren sollen (eigentlich als Prozedur gedacht, um Licht auf Missstände zu werfen), dient fast nur der Lobhudelei. Selbst der Sklavenhalterstaat Mauretanien wurde bei der letzten Überprüfung 2021 im UN-Menschenrechtsrat mit Lob überschüttet.

»Es ist beschämend, dass nur eine sehr kleine Minderheit von fünfzehn Ländern ihre Redezeit von einer Minute genutzt hat, um die Menschenrechtsbilanz Mauretaniens zu überprüfen«, sagte Hillel Neuer, Exekutivdirektor von UN Watch, einer unabhängigen Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Genf. »Beschämenderweise verschließt die überwiegende Mehrheit der Sprecher die Augen vor Mauretaniens 500.000 Sklaven, der Verhaftung von Anti-Sklaverei-Aktivisten wie Biram Dah Abeid, der Anwendung von Folter zur Erpressung von Geständnissen und der Todesstrafe für Homosexualität.«

Nach Zählung von UN Watch haben 83 der 98 Länder des UN-Menschenrechtsrats Mauretanien für seine Menschenrechtsbilanz gelobt, darunter China, Russland, Kuba, der Iran, der Irak, Indien, Indonesien, Kuwait, Jordanien, Ägypten und die Philippinen.

Dahinter steckt Methode: Derjenige, dessen Hände mit Schmutz behaftet sind, ist daran interessiert, dass noch Schmutzigere die Macht bekommen: Wählt man die allerschlimmsten Verbrecher in UN-Gremien, müssen die anderen, die Menschenrechte verletzen, nicht befürchten, von diesen gemaßregelt zu werden, sondern können unbehelligt weitermachen.

UN-Mission Nummer eins: Verurteilung Israels

Gleichzeitig besteht Konsens darüber, bei jeder UN-Abstimmung stets Israel zum Sündenbock zu erklären. Im UNHRC ist das bekanntlich ein eigener Tagesordnungspunkt bei jeder Sitzung: den Tagesordnungspunkt »Item 7«. Kein anderes Land wird in jeder Sitzung automatisch angeprangert und verurteilt. Nicht Russland, nicht Venezuela, nicht Nordkorea, nicht Syrien, nicht die Volksrepublik China oder der Iran. Einzig Israel. Soweit das Tagesgeschäft.

Daneben gibt es aber auch noch Dinge, die so schockierend sind, dass man meinen sollte, sie würden von der Öffentlichkeit registriert werden und für einige Empörung sorgen – was aber nicht der Fall ist. Nehmen wir etwa den UN-Mitarbeiter Miloon Kothari (Indien), der kürzlich behauptete, die sozialen Medien würden von einer »jüdischen Lobby« kontrolliert. Welches Amt Kothari bekleidet? Er ist beim UN-Menschenrechtsrat eines von drei Mitgliedern einer »Internationalen Unabhängigen Untersuchungskommission zu den besetzten palästinensischen Gebieten, darunter Ostjerusalem«. Weiters sagte Kothari, er verstehe nicht, wieso Israel überhaupt noch Mitglied der Vereinten Nationen sei.

Beide Äußerungen wurden in sehr ähnlichem Wortlaut auch von Ugandas früherem Diktator Idi Amin getätigt, und zwar auf der Sitzung der UN-Generalversammlung am 1. Oktober 1975. Die USA seien von Zionisten »kolonisiert«, denen »die großen Kommunikationsmittel« gehörten; Israel müsse aus der UNO »ausgestoßen« werden, so der Diktator, der den Nil mit Leichen füllte und Hitler für den Holocaust pries. »Als Hitler Ministerpräsident (sic!) und oberster Führer war, hat er über sechs Millionen Juden verbrannt. Das tat er, weil Hitler und das ganze deutsche Volk wussten, dass »Israelis (sic!) keine Menschen sind, die im Interesse der Völker der Welt arbeiten«, schrieb Idi Amin 1972 in einem Brief an den damaligen UN-Generalsekretär Kurt Waldheim.

In dieser Tradition steht UN-Funktionär Miloon Kothari. Mit anderen Antisemiten teilt er die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung. Im Interview mit der dezidiert antiisraelischen Website Mondoweiss wurde ihm vom Interviewer David Kattenburg eine Frage gestellt, die gar nichts mit Juden zu tun hatte, sondern mit dem kanadischen Regierungschef Justin Trudeau: »Ihre Vorsitzende [Navanethem] Pillay war in der Vergangenheit ein spezifisches Ziel von Angriffen aus Kanada. Die kanadische Regierung hat offenbar ausdrücklich ihren Missmut über Pillays Präsenz als Vorsitzende ausgedrückt.«

Kothari schlug nicht etwa gegen Kanada und dessen Regierung zurück, sondern gegen eine imaginierte »jüdische Lobby«. Er sprach von »den sozialen Medien, die weitgehend von der jüdischen Lobby oder bestimmten NGOs kontrolliert werden; viel Geld wird in den Versuch gesteckt, uns zu diskreditieren«. Eine nicht näher bezeichnete »jüdische Lobby« mit ihrem Geld ziehe also die Fäden, wenn Kanadas Regierung etwas sagt. So stellt Kothari sich das vor. Navanethem Pillay selbst hat sich übrigens zu Wort gemeldet und behauptet, Kotharis Äußerungen seien »aus dem Zusammenhang gerissen« worden. Wie man diese anders verstehen könne, erklärte sie nicht.

Gefeuert wegen Kritik an Kriegsverbrechen des Islamischen Dschihad

Konsequenzen haben die antisemitischen Äußerungen bei der UNO nicht, Sarah Muscroft bekommt sie aber zu spüren. Sie war Leiterin des UN-Büros »für die Koordination humanitärer Angelegenheiten in den besetzten palästinensischen Gebieten«und wurde entlassen, nachdem sie am 9. August auf dem Kurznachrichtendienst Twitter den Waffenstillstand zwischen der Terrororganisation Palästinensischer Islamischer Dschihad und dem Staat Israel begrüßt hatte, der einen dreitägigen Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen beendete. Muscroft fügte hinzu, sie verurteile »das wahllose Raketenfeuer des Islamischen Dschihad«.

Sie hatte Kritik an den Kriegsverbrechen einer palästinensischen Terrororganisation geübt, womit sie ihren Job bei den Vereinten Nationen los war und ihn auch nicht zurückbekommt. Dies erinnert an den Fall des ehemaligen UNRWA-Direktors Matthias Schmale, der seinen Posten verlor, weil er israelische Angriffe auf militärische Einrichtungen der Hamas als »präzise« bezeichnet hatte. Hätte Muscroft Israel kritisiert und Schmale behauptet, die Raketen der Hamas seien präzise, beide wären vermutlich noch im Amt.

UN-Sonderberichterstatter trägt PLO-Orden

Das von einem UN-Funktionär erwartete Verhalten legte hingegen der kanadische Jurist Michael Lynk an den Tag. Er war, vor der jetzigen Amtsinhaberin Francesca Albanese, Sonderberichterstatter des UN-Büros »für die Situation der Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten«. Den Staat Israel diffamierte Lynk im März dieses Jahres mit der »Apartheid«-Lüge. Dafür wurde er kaum zwei Monate später von der PLO mit einem Orden ausgezeichnet. Wer das für einen Witz hält, kann sich eines Besseren belehren lassen: Es stimmt wirklich.

Währenddessen hat sich der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, in dem 54 Staaten vertreten sind, mit der Situation der Frauenrechte befasst und exakt ein Land dafür verteilt, diese Rechte zu verletzen. Welches Land? Afghanistan, Pakistan, den Iran? – Nein, Israel.

Israel verletze angeblich die Rechte palästinensischer Frauen. In der Resolution heißt es, die »israelische Besatzung« sei ein »großes Hindernis für palästinensische Frauen und Mädchen« bei der »Erfüllung ihrer Rechte, ihrer Entwicklung, ihrer Selbstständigkeit und Integration in die Entwicklung ihrer Gesellschaft«. Man fragt sich, auf welchen Fakten diese Einschätzung beruht. Auf der Website der UN-Frauenagentur UN Women heißt es über die Lage der Frauen in den Palästinensischen Autonomiegebieten:

»Zu den häufigsten Arten von Gewalt gegen Frauen, die in Palästina beobachtet werden, gehören häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung, Frühverheiratung und Femizid sowie öffentliche und private Bereiche wie die Straße, der Arbeitsplatz, die Wohnung und Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte wie Flüchtlingslager, insbesondere in Gaza.

Die veralteten und diskriminierenden Gesetze in Palästina hindern Überlebende von Gewalt daran, auf geschlechtsspezifische Dienste zuzugreifen und Gerechtigkeit zu erlangen. Darüber hinaus sind Überlebende von Gewalt oft mit sozialer Stigmatisierung konfrontiert und werden beschuldigt, für die ihnen widerfahrene Gewalt verantwortlich zu sein.«

Ist es denkbar, dass an alldem einzig und allein Israel schuld ist und überhaupt nicht die Palästinensische Autonomiebehörde und die in Gaza regierende Hamas? Und dass in Gaza Frauen, die keinen Hidschab tragen, verprügelt werden und es Gesetz ist, dass unverheiratete Frauen nicht ohne Zustimmung des Vormunds reisen dürfen, soll die Schuld Israels sein?

Zu den Staaten, die die Resolutions-Farce gegen Israel verurteilt haben, gehörten die USA, Kanada und Großbritannien. Zugestimmt haben hingegen etliche EU-Staaten.

Vierzig Staaten stimmten mit »Ja«: Argentinien, Bangladesch, Belgien, Belize, Benin, Bolivien, Botswana, Bulgarien, Chile, China, Kolumbien, Kongo, Elfenbeinküste, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kasachstan, Lettland, Libyen, Mauritius, Mexico, Montenegro, Neuseeland, Nicaragua, Nigeria, Oman, Panama, Peru, Portugal, Südkorea, Russland, Thailand, Tunesien, Tansania, Zimbabwe.

Sechs stimmten mit »Nein«: USA, Kanada, Großbritannien, die Tschechische Republik, Israel, Liberia. Vier Länder enthielten sich: Österreich, Kroatien, Guatemala, die Solomon-Inseln.

Großes Theater

Die UNO verfügt über eine Fülle von Gremien, die wohl kaum jemand alle kennt. Sie alle agieren so, als wären sie Parlamente, allen voran die UN-Generalversammlung. Die Abstimmungen (von denen es unendlich viele gibt) und die Auszählung und Verkündung der Ergebnisse sind dramatische Augenblicke, also großes Theater. Doch im Unterschied zu einem echten Parlament sind die UN-Versammlungen nicht demokratisch legitimiert und haben auch nichts zu entscheiden (jedenfalls nicht etwas, das greifbare Ergebnis zeitigen würde).

Wenn aber die Diktatoren der Welt sich regelmäßig auf großer Bühne treffen und so tun dürfen, als wären sie unabhängige Richter, die darüber zu urteilen haben, welcher Staat wegen der Verletzung von Menschenrechten an den Pranger gestellt wird, dann ist das eine moralische Realität: eine Perversion, die es zu benennen und bekämpfen gälte. Leider fühlt sich nur eine winzige Zahl von Regierungen dafür zuständig, während EU-Länder entweder abseitsstehen oder gar bei diesem konzertierten Angriff auf Moral, Vernunft und Menschenrechte mitmachen.

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