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Durch Spermaschmuggel zum Hamas-Nachwuchs?

Von Alex Feuerherdt

Auf Spiegel Online wird die Geschichte von einer palästinensischen Frau erzählt, die sich mit dem Sperma ihres in Israel inhaftierten Mannes künstlich befruchten lassen und schließlich einen Jungen zur Welt gebracht hat. Die Samenflüssigkeit soll dabei – aufbewahrt in einem Stift, der wiederum in eine Süßigkeit gesteckt wurde – von einem Kind des Paares aus dem Knast geschmuggelt worden sein. Über die Hinter- und Abgründe einer boulevardesken Sensationsstory der Marke „Pallywood“, bei der offenkundige Ungereimtheiten und Widersprüche genauso unter den Tisch fielen wie politische und propagandistische Aspekte.

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Hana al-Za’anin, Ehefrau eines inhaftierten Hamas-Mitglieds

Eine palästinensische Frau wird schwanger, angeblich von ihrem Mann, einem Hamas-Mitglied, der in einem israelischen Gefängnis sitzt. Sie bringt schließlich ein Kind zur Welt. Auf herkömmlichem Weg kann die Zeugung nicht erfolgt sein (jedenfalls nicht mit Beteiligung des Inhaftierten), weil auch Familienangehörigen ein Kontakt zu Häftlingen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt worden sind, grundsätzlich nur durch eine Trennscheibe gestattet ist. Das Prozedere soll deshalb so ausgesehen haben: Ein anderes kleines Kind des Paares hat bei einem Gefängnisbesuch eine Süßigkeit des Vaters in Empfang genommen – für Kinder bis sechs Jahre gilt die besagte Kontakteinschränkung nicht –, in der sich ein Stift befand, der wiederum mit dem Sperma des Vaters gefüllt war. Die Frau hat das Behältnis in Empfang genommen, ist damit zu einer Klinik gefahren und hat sich dort künstlich befruchten lassen. Mit Erfolg.

Die Nachricht von der Schwangerschaft der damals 26-jährigen Hana al-Za‘anin und von der Geburt des kleinen Hassan ist nicht mehr ganz neu, sie fand sich bereits im Oktober 2013 respektive im Januar des darauf folgenden Jahres in verschiedenen internationalen Medien. Die atemberaubenden, um nicht zu sagen unglaublichen Details aber sind erst jetzt einem deutschsprachigen Medium erzählt worden – vom italienischen Fotografen Antonio Faccilongo nämlich, der sich in einer Bildreportage mit palästinensischen Frauen beschäftigt hat, deren Männer im Gefängnis sind und ihre Spermien deshalb zwecks In-vitro-Fertilisation aus der Justizvollzugsanstalt geschmuggelt haben sollen. Also hat Christian Neeb den Bildjournalisten für Spiegel Online zum Interview gebeten und ihn zu den sensationellen, ja, nachgerade erregenden Einzelheiten befragt.

Als „abenteuerlichste Geschichte einer Befruchtung im Nahen Osten seit der Geschichte der Befruchtung von Maria“ hat der Schauspieler, Theaterregisseur und Blogger Gerd Buurmann die Erzählung über die al-Za’anins bezeichnet und dabei auf einige Dinge hingewiesen, die in der Tat mindestens merkwürdig sind. So ist die Überlebensfähigkeit von Spermien bekanntlich stark begrenzt; nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, der kurz nach Hassans Geburt erschien, dauerte es aber alleine sechs Stunden, bis Hana al-Za’anin nach der Entgegennahme des Behältnisses mit dem Ejakulat in jener Klinik in Gaza ankam, wo die Insemination vorgenommen wurde. Spermien benötigen, will man sie für eine künstliche Befruchtung verwenden, in der Regel zudem deutlich bessere hygienische Bedingungen, als sie eine Gefängnisumgebung und ein Kugelschreiber bieten, der anschließend in einem Schokoriegel versteckt wird.

 

Ungereimtheiten und Distanzlosigkeit

Palestinian baby boy Al-Hassan, the son of Palestinian prisoner Tamer al-Za'an (pictured in poster), who was conceived with al-Za'anin's sperm smuggled out of an Israeli prison, is held by al-Za'an's brother as his mother Hana rests on a bed at a hospital in Gaza City January 10, 2014. REUTERS/Suhaib Salem
Poster des inhaftierten Hamas-Aktivisten Tamer al-Za’an, Spital in Gaza-Stadt

Eigentümlich mutet auch an, dass nur der Fotograf Faccilongo die Version vertritt, ein anderes Kind der al-Za’anins habe das Sperma des Vaters aus dem Gefängnis gebracht. In jenen Medien, die schon früher als Spiegel Online über die ungewöhnliche Befruchtung berichtet hatten, war dagegen nichts davon zu lesen, dass Hana al-Za’anin bereits Mutter ist. Der Guardian mutmaßte vielmehr, es könnte eine andere Familie am Schmuggel beteiligt gewesen sein; bei Al-Jazeera hieß es, ein Bruder von Hana, der im selben Gefängnis einsitzt wie Hanas Ehemann, habe seinem kleinen Sohn bei einem Besuch das Ejakulat seines künftigen Schwagers in einer Schachtel mitgegeben. Dieser habe es dann an seine Tante weitergereicht.

Die ganze Geschichte beinhaltet letztlich zu viele Widersprüche, Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten, um tatsächlich so geschehen sein zu können, wie Antonio Faccilongo sie wiedergibt. Zumindest müsste sie Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen, eigentlich hinreichend Gründe für ernsthafte Zweifel und kritische Fragen bieten. Christian Neeb und Spiegel Online beschränken sich jedoch nahezu durchweg aufs Stichwortgeben: „Wie sieht die Beziehung von Hana zu ihrem Mann aus?“, „Wie konnten sie dieses Kind zeugen?“, „Wie läuft das genau ab?“, „Sind sich die kleinen Schmuggler ihrer geheimen Mission bewusst?“, „Wie viele Frauen haben Sie denn während des Projekts getroffen, die auf diesem Weg schwanger wurden?“. Das ist kein kritischer Journalismus, der eine Distanz zu seinem Gegenstand wahrt, sondern Affirmation, ja, boulevardeske Sensationslüsternheit.

Nicht einmal als der Fotograf darauf zu sprechen kommt, dass es sich bei den inhaftierten Männern vielfach um Mitglieder des bewaffneten Arms der Hamas, gar um Mörder oder Mordhelfer handelt und dass deren Frauen ihre Kinder als „Teil des palästinensischen Widerstands“ betrachten, hakt Neeb ernsthaft nach. „Kindermachen als Waffe?“, lautet seine knappe Frage lediglich – und dabei bleibt es, obwohl Faccilongo eine verstörend relativierende Antwort gibt: „Kein Widerstand im militärischen Sinn. Sie wollen einfach ihr Leben führen, ohne Einschränkungen. Und sie wollen Babys bekommen. Nichts soll sie davon abhalten. Hana und die anderen sind sehr starke Frauen, die ihrem Land eine neue Zukunft geben wollen.“

 

Reproduktionsmedizin als Beihilfe zum Judenmord

hamas-childrenWomöglich ist diese „neue Zukunft“ aber in Wirklichkeit ganz die alte, von der Hamas entworfene – und der Kinderwunsch etwas, das sehr wohl militärische Gründe hat. Schließlich ist hinlänglich bekannt, dass insbesondere die Hamas, aber auch die Fatah schon die Jüngsten zu Kindersoldaten macht, zum Dschihad erzieht, in Trainingslagern im Gebrauch von Waffen unterweist und im Kinderprogramm des Fernsehens zum Mord an Juden aufstachelt. Auch zum Bau von Schmuggel- und Terrortunneln werden sie missbraucht. In diesen Zusammenhang passt es überdies, dass einige palästinensische Kliniken den Frauen von inhaftierten Hamas-Terroristen die künstliche Befruchtung, die normalerweise 3.000 Euro kostet, umsonst anbieten – „um den palästinensischen Widerstand zu unterstützen“, wie Faccilongo unumwunden berichtet. Reproduktionsmedizin als Beihilfe zum Judenmord also – auch das hätte ein Nachbohren verdient gehabt, auf das Spiegel Online jedoch wiederum verzichtete.

Weil die Erzählung vom heldenhaften Spermaschmuggel aus israelischen Haftanstalten in vielerlei Hinsicht offenbar einfach zu sensationell und zu fantasieanregend ist, um sie infrage zu stellen, wird auch nicht in Betracht gezogen, dass die Zeugung der Kinder bei den von Faccilongo porträtierten Müttern wesentlich weniger aufwendig verlaufen und etwa im Zuge von Seitensprüngen erfolgt sein könnte. Dass solche Ehebrüche in der islamischen palästinensischen Gesellschaft, zumal unter dem Regime der Hamas, um keinen Preis ruchbar werden dürften, liegt dabei auf der Hand. Die betreffenden Frauen würden sich daher, wie Gerd Buurmann zu Recht schreibt, „gewiss nicht eingestehen, dass Leben und Lust weitergehen, auch wenn der eigene Mann im Gefängnis sitzt“. Sie würden „vermutlich eher eine Geschichte mit Schokoriegeln und Stiften erfinden“, denn „verzweifelte Situationen schreien nach verzweifelten Taten“.

Nicht auszuschließen ist auch, so Buurmann weiter, „dass selbst, wenn die Frau eines als Helden gefeierten inhaftierten Terroristen mit abgestorbenen Spermien in einer Klinik auftaucht und behauptet, es seien die Spermien ihres Mannes, sie von den Ärzten kostenfrei behandelt und mit irgendwelchen anderen Spermien befruchtet wird, nur damit sie sagen kann, in mir wächst der Widerstand“. Selbstverständlich sind das bloß Mutmaßungen, die sich allenfalls durch einen DNA-Test beweisen ließen. Weniger wahrscheinlich als die arg nach „Pallywood“ klingenden Rührstücke vom heimlichen Ejakulatexport aus den Knästen der bösen Zionisten durch gewiefte Kinder zum Zwecke der Demonstration palästinensischer Unbeugsamkeit dürften sie jedoch nicht sein. Wie es aussieht, sind Antonio Faccilongo und Spiegel Online jedenfalls einer propagandistisch motivierten Legendenbildung durch die Hamas auf den Leim gegangen – und haben nicht in Zweifel gezogen, was sie unbedingt glauben wollten.

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