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documenta: Drei, die in all den Jahrzehnten nichts über Antisemitismus gelernt haben

Das antisemitische Machwerk »People's Justice« auf der documenta, bevor es nach Protesten abgenommen werden musste. (© imago images/Hartenfelser)
Das antisemitische Machwerk »People's Justice« auf der documenta, bevor es nach Protesten abgenommen werden musste. (© imago images/Hartenfelser)

Drei deutsche, linke Akademiker können in dem antisemitischen Machwerk, das den documenta-Skandal richtig ins Rollen brachte, nichts Antisemitisches erkennen.

In dem schon 1936 in Prag publizierten Buch Adolf Hitler – Schüler der ‘Weisen von Zion‘ untersuchte Alexander Stein die Elemente nationalsozialistischer Ideologie und vor allem, welche zentrale Rolle der Antisemitismus in ihnen spielt. Er schrieb darin unter anderem:

»Die Gleichsetzung des internationalen Finanzkapitals mit dem internationalen Judentum (gehört) zu den Grundelementen der nationalsozialistischen Agitation (…). Denn indem sie die antikapitalistischen Gefühle großer Teile ihrer Anhängerschaft gegen das angeblich die Welt beherrschende jüdische Finanzkapital aufputscht (…), vermag sie die Tatsache zu verschleiern, dass sie ihren Kampf gar nicht gegen die Wurzeln der Ausbeutung und der Zinsknechtschaft, gegen das kapitalistische System führt, sondern die Gestalt des ›internationalen Juden‹ als des Repräsentanten des Weltkapitals benutzt, um das kapitalistische System als solches, nur noch in brutalerer Form, aufrechtzuerhalten.«

Stein führte auch bereits ansatzweise die Unterscheidung aus, die seit den Nationalsozialisten den Kern des sich antikapitalistisch gebenden Antisemitismus ausmacht: Das antikapitalistische Ressentiment richtete sich allein gegen die Zirkulationssphäre, in der die Nazis das »raffende Finanzkapital« verorteten, dem sie positiv das »schaffende Kapital« der Produktionssphäre entgegenstellten. Letzteres war für sie die »deutsche Arbeit«, ersteres eines der Mittel, mit denen die angeblich so unproduktiven Juden andere Völker ausbeuten und parasitär aussaugen würden.

Antisemitischer Antikapitalismus

Spätestens seither dürfte eigentlich bekannt sein, dass, wer gegen das »internationale Finanzkapital« wettert, sich einer antisemitischen Chiffre bedient, die sich nach 1945 sogar von ihrem Ursprung insofern emanzipiert hat, als dass sie auch ohne Verweis auf die Juden auskommt: Wer heute etwa vor Machenschaften von Finanzkreisen an der »amerikanischen Ostküste« warnt, bedarf nicht mehr des Hinweises, wen er damit meint, er wird auch so verstanden.

Diese vermeintlich antikapitalistische Kritik am parasitären Finanzkapital erfreute sich, anders als die Warnung vor dem »verjudeten« Bolschewismus, auch weltweit in linken Kreisen großer Beliebtheit, nicht nur in Europa, sondern auch in vielen jener Länder, die neuerdings als »globaler Süden« bezeichnet werden. Besonders dank entsprechender sowjetischer Propaganda, die den Topos vom jüdischen Bankier Ende der 1940er Jahre in ihrer antisemitischen Kampagne gegen »Kosmopoliten« aufgriff, verbreitete er sich in den folgenden Jahren vor allem auch im Nahen Osten und in Asien.

Den sowjetischen Propagandagiftküchen ist auch zu verdanken, dass fortan Zionisten als Nazis dargestellt wurden – die alte, antikommunistische antisemitische Nazipropaganda war für Moskaus Zwecke nicht brauchbar, sehr wohl aber das Bild vom parasitären Finanzkapitalisten, der ganz besonders die ärmeren Länder der Dritten Welt schamlos ausbeute.

Über dieses Thema wurden zwischenzeitlich auch unzählige Bücher publiziert und eigentlich, so denkt man, müsste im Jahr 2022 zumindest im akademischen Betrieb bekannt sein, dass es einen spezifisch linken und antiimperialistisch grundierten Antisemitismus gibt, der sich auf solch verkürzte Kapitalismuskritik stützt, und welche dessen wesentliche Merkmale sind.

Weit und breit kein Antisemitismus

Wer dies glaubte, wurde spätestens zur Eröffnung der documenta fifteen eines Besseren belehrt: Nicht nur scheint das bundesdeutsche Establishment im Kultur- und Universitätsbetrieb mehrheitlich entweder nicht willens oder unfähig zu sein, das zu sehen, was neuerdings als »israelbezogener Antisemitismus« bezeichnet wird: die projektive Verschiebung klassisch antisemitischer Topoi auf Israel, das zum »Juden unter den Staaten« wird, wie Henryk M. Broder vor Jahrzehnten schon feststellte.

Nun fügten zur Flut »offener Briefe«, die seit einiger Zeit in Deutschland Hochkonjunktur haben, drei Akademiker, deren linke Gesinnung niemand infrage stellen würde, einen weiteren hinzu, den die querfrontaffinen »Nachdenkseiten« auch gerne publizierten.

»Ist die documenta noch zu retten?«, fragen darin Werner Ruf, Ingo Wandelt und Rainer Werning, und teilen ihre Sorge mit, dass »die international renommierte Kunstausstellung documenta womöglich das letzte Mal in ihrer gewohnten Art stattfindet«. Dann setzen sie zu einer Erklärung an, warum das überdimensionale Bild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi eigentlich gar nicht antisemitisch sei:

»Der Bildausschnitt zeigt ein Gesicht mit Haifischzähnen, die Zigarre eines Kapitalisten im Mund, den Kopf bedeckt mit einem Hut, auf dem SS-Runen zu sehen sind. Ebenso sind Konturen von Schläfenlocken erkennbar. Steht das etwa für den ›hassenswerten, raffgierigen Juden‹ oder einen gewieften Makler, der symbolhaft das Finanzkapital repräsentiert, das die Reichtümer und Bodenschätze der Länder der ›Dritten Welt‹ an der Börse verhökert? Die SS-Runen am Hut zielen wohl auf die Menschenfeindlichkeit und Brutalität des angeklagten kolonialen Systems. Wird hier ›der Jude‹ angegriffen oder das internationale Finanzsystem? Das Interpretationsproblem verlagert sich eher ins Auge des westlichen, genauer deutschen Betrachters, als dass es eine eindeutige Aussage über ›das Judentum‹ wäre. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die inkriminierte Figur europäische Kleidung trägt.«

In all den Jahren nichts gelernt

Nach Lektüre dieser Zeilen drängt sich dem Leser die Frage auf: Stellen diese Herren sich nur dumm oder sind sie es gar? Angefangen von der »Zigarre des Kapitalisten« bis zu »Konturen von Schläfenlocken« bedient die Abbildung ganz genau jenes projektive und personifizierte Klischee vom »internationalen Finanzkapital«, das, wie schon Stein wusste, eine durch und durch antisemitische Konstruktion ist. Und nun also soll es einen Unterschied geben zwischen »raffgierigen Juden« der Nazis und dem die Dritte Welt ausbeutenden »gewieftem Makler«, während die SS-Runen nicht etwa das Bild vom Juden als neuen Nazi kolportieren, sondern irgendwie eine Kritik am Regime des indischen Diktators Haji Mohamed Suharto sein sollen?

Aussagen über »das Judentum« wären in einem solchen Kontext ohnehin immer bestenfalls problematisch, sagen doch antisemitische Karikaturen nie etwas über Juden aus, sondern vermitteln vielmehr einzig das zugrundeliegende antisemitische Weltbild. Dass es für derart hanebüchene Interpretationen wie die von Ruf, Wandelt und Werning offenbar deutscher Akademiker bedarf, zeigt sich schon daran, dass sich nicht einmal das Künstlerkollektiv Taring Padi in seinem »Entschuldigungsschreiben« an solchen intellektuellen Verrenkungen versuchte.

Was Ruf und Kollegen da sagen wollen: Es gäbe eine Art berechtigte, personifizierte Kritik am internationalen Finanzkapital, die nicht etwa per se in Verdacht stehen müsse, antisemitisch grundiert zu sein, sondern im Gegenteil. Wenn sich hier antisemitische Stereotype zeigten, seien sie gar nicht so gemeint, zumindest, wenn das Produkt aus dem sogenannten »globalen Süden« komme.

Nachhilfe aus dem »globalen Süden«

Ausgerechnet einer, dessen Familie aus diesem Süden stammt, erklärt den drei deutschen Gelehrten und ihren ideologischen Mitstreitern, dass Antisemitismus und ganz besonders jene Elemente, die sich gegen die Zirkulationssphäre richten, auch in Indonesien unter dem diktatorischen Suharto-Regime, auf dessen Konto der Massenmord an einer halben Million Kommunisten ging, eine wichtige herrschaftsstabilisierende Rolle gespielt hat.

In der taz schreibt Ibrahim Quraishi, dass

»der Antisemitismus zu einem Vehikel des Machterhalts (wurde). Suharto agitierte gegen ›yahudi yang tidak bisa dipercaya‹, die ›Juden, denen man nicht trauen kann‹ – und damit gegen die chinesische Minderheit: In den Jahren vor seinem Sturz verbreitete Suharto die Legende, ›die Chinesen‹ und der ›internationale Zionismus‹ hätten sich gemeinsam gegen das Land verschworen.«

Zu Recht weist Quraishi auch darauf hin, dass das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi, dessen Bild »People’s Justice« den Antisemitismus-Skandal um die documenta fifteen ausgelöst hat, in seinen »Bildern also nur etwas (darstellt), von dem sie annehmen konnten, dass es sich dabei um eine soziale und kulturelle Norm handelt – nicht nur in ihrem eigenen Kontext, sondern auch in Europa«: dass es immer »der Jude« ist, der »für das Übel in der Welt verantwortlich« sei.

Nur deshalb konnte das Bild zwei Jahrzehnte lang an unterschiedlichen Orten ausgestellt werden, ohne dass es bislang zu einem Skandal gekommen wäre. Und wäre es nach deutschen linken Verfassern offener Briefe gegangen, wäre er auch in Kassel ausgeblieben.

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