Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 war Al-Kaida im Fokus der internationalen Terrorbekämpfung und wurde zum Inbegriff des „Feind des Westens“. Seit 9/11 gelang es den USA, den berüchtigten Al-Kaida Führer Osama bin Laden aufzufinden und zu töten. Die Nachwirkungen seines Todes machten dann den Aufstieg des IS möglich. Mit dem Tod seines Sohnes und auserkorenen Nachfolgers, Hamza bin Laden, stellt sich nun erneut die Frage, wie die Zukunft einer der militantesten Terrororganisationen aussieht.
Die Geschichte von Al-Kaida
Al-Kaida entstand im Kontext von antiwestlicher Stimmung und politischer Volatilität im Nahen Osten. Dieses Umfeld begann sich vor 100 Jahren zu entwickeln, nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches im Gefolge des Ersten Weltkriegs. Die drauffolgenden Entwicklungen sollten später Osama bin Laden und andere gleichgesinnte Islamisten stark beeinflussen. Frankreich und Großbritannien zogen die Grenzen der neuen Staaten im Nahen Osten und 1948 wurde der jüdische Staat Israel in Mitten feindseliger, muslimischer Staaten gegründet.
Osama bin Laden, der Gründer von Al-Kaida, betrachtete dein Einfluss europäischer Staaten im Nahen Osten sowie die Niederlage der arabischen Armeen gegen Israel als große Erniedrigung für Muslime. Seine Ideologie war wesentlich von den religiösen Lehren von Sayyid Qutb, einem der wichtigsten islamistischen Theologen und Führer der ägyptischen Muslimbruderschaft, beeinflusst. Beeinflusst von einem Besuch in Amerika, wo er eigenen Angaben nach mit der „Verderbnis“ der amerikanischen Kultur Bekanntschaft machte, schuf er eine Ideologie, die eine Lebensweise entsprechend der Prinzipien des ursprünglichen Islam, wie er im 7. Jahrhundert gelebt wurde, vorschrieb.
Dies konnte laut Qutb nur erreicht werden, wenn man die Waffen gegen den moralisch verdorbenen Westen richtete. Mit diesen Ansichten beeinflusste Qutb wesentlich die globalen Dschihad-Bewegungen und auch Al-Kaida bezog sich auf seinen ideologischen Unterbau, um Massenmord zu rechtfertigen.
Der Aufstieg von Al-Kaida begann im Kontext der sowjetischen Invasion von Afghanistan im Jahr 1979. Osama bin Laden war wesentlich am Dschihad („heiligen Krieg“) gegen sowjetische Truppen beteiligt und 1989 gelang den „Mudschahidun“ (wörtlich: jemand, der Dschihad betreibt) die endgültige Vertreibung der Sowjetunion aus Afghanistan. Beflügelt von diesem Sieg über ausländische Truppen gründete Osama bin Laden gemeinsam mit Abdullah Azzam, einem palästinensischen islamischen Gelehrten, Al-Kaida. Mit dieser Bewegung wollte Osama bin Laden gegen, aus seiner Sicht, antiislamisch handelnde Länder und Regierungen Dschihad führen, um so die wahre Rolle des Islam in der Welt zu behaupten.
1990 fiel der Irak in Kuwait ein und die USA schickten daraufhin Truppen nach Saudi-Arabien, womit eine westlich-christliche Militärpräsenz in jenem Land gegeben war, das die zwei heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina, beherbergt. Im folgenden Jahrzehnt setzte bin Laden alles daran, die USA direkt zu bekämpfen, aus dem Nahen Osten zu vertreiben und so die Machtübernahme von al-Kaida zu ermöglichen.
In den 1990ern verübten al-Kaida und ihr nahestehende Gruppierungen Anschläge gegen den Westen, wie beispielsweise 1993 den Anschlag auf das World Trade Center, 1998 auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tanzania und 2000 auf das Schiff U.S.S. Cole im Jemen. Der Höhepunkt war schließlich fraglos der Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, was Osama bin Laden zum meistgesuchten Staatsfeind der USA machte. Als Antwort auf die Anschläge erklärten die USA „Krieg gegen den Terror“ und entsandten Truppen nach Afghanistan, um die fundamentalistische Regierung der Taliban zu stürzen, die al-Kaida unterstützte und ihnen Unterschlupf bot. Es dauerte 10 Jahre, bis bin Laden am 2. Mai 2011 letztendlich gefunden und von U.S. Navy Seals in seinem Versteck in Pakistan getötet werden konnte
Hamza bin Laden – der auserkorene Nachfolger
Nach dem Tod des zur Ikone gewordenen Führers von al-Kaida stellte sich selbstverständlich die Frage, wer die Terrororganisation fortan weiterführen sollte. Zunächst übernahm Osama bin Ladens engster Vertrauter Aiman al-Zawahiri die Führung. Hinter den Kulissen, jedoch, scheint Osama bin Laden vor seinem Tod Vorkehrungen getroffen zu haben, die die Nachfolge seine Lieblingssohnes Hamza bin Laden ermöglichen sollten.
Hamza bin Laden wurde 1989 in Saudi-Arabien geboren, ein Jahr nach der Gründung Al-Kaidas, und wuchs somit von Geburt an mit der Terrororganisation auf. Zum Zeitpunkt der Anschläge auf das World Trade Center war Hamza 12 Jahre alt und wurde von seinem Vater, der als meistgesuchter Terrorist untertauchte, getrennt. Hamza und seine Mutter hielten sich kurzzeitig in einem Versteck im Iran auf, wurden jedoch vom iranischen Regime entdeckt und verhaftet. Darauf verbrachte er den Großteil seiner Jugend und jungen Erwachsenenjahre in militärischen Internierungslagern, getrennt von seinem Vater.
Es gelang Hamza jedoch, Briefe an seinen Vater zu schmuggeln, die von einem innigen Verhältnis zwischen Osama bin Laden und seinem Sohn zeugen. Aus den Briefen zeigt sich, dass Osama bin Laden auch aus tausenden Kilometern Entfernung bemüht war, das Überleben und die islamistische Ausbildung seines Lieblingssohnes sicherzustellen. Hamza wiederum drückte in den Briefen tiefgreifende Liebe für seinen Vater aus und strebte danach, sich den Respekt seines Vaters durch harte Arbeit und Kampfgeist zu verdienen.
Die Briefe zwischen Osama bin Laden und einem Sohn Hamza sowie weiteren engen Vertrauten zeigen auch, dass Hamza eine zentrale Rolle in der Zukunft von Al-Kaida spielen sollte. Obwohl er sich unbedingt an den Kämpfen des globalen Dschihad beteiligen wollte, hatte sein Vater andere Pläne für ihn. Er sollte in Zukunft die Führung von Al-Kaida übernehmen. Als Osama bin Laden 2011 von amerikanischen Truppen getötet wurde, wurde die Frage der Nachfolge relevanter denn je.
Direkt nach dem Tod seines Vaters verloren sich die Spuren Hamza bin Ladens. Al-Kaida begann zu zerfallen und obwohl ihr zugehörige Gruppierungen immer noch im Jemen, in Somalia, Afghanistan und Pakistan zu finden waren, verlor die bis dahin mächtigste islamistische Organisation ihre Vormachstellung. Schließlich trat eine neue Organisation an die Öffentlichkeit, die in den folgenden Jahren den Großteil der Bemühungen der internationalen Terrorbekämpfung auf sich ziehen sollte: der Islamische Staat. Obwohl al-Kaida und der IS anfänglich Teil derselben Organisation waren, entstand eine tiefe Kluft zwischen den beiden, da sich al-Kaida nicht dem vom IS erklärten Kalifat unterwerfen wollte.
2015 trat Hamza bin Laden dann erneut ins Licht der Öffentlichkeit, als al-Kaida eine Audioaufnahme veröffentlicht, in der Osama bin Ladens Sohn zu Terroranschlägen ‚einsamer Wölfe‘ aufruft. Dies wurde als ein Versuch gewertet, die Vision seines Vaters fortzuführen und Al-Kaida zu reformieren, zu einer Zeit, als sich die Terrororganisation in einer Krise befand. Eine immer größere Zahl an al-Kaida Mitgliedern wurde entweder Opfer amerikanischer Angriffe oder schloss sich dem IS an. Die Organisation hatte sichtlich Schwierigkeiten, junge Mitglieder anzuziehen, die sich beim IS besser aufgehoben fühlten. Die Idee war, dass der noch keine 30 Jahre alte Hamza bin Laden, der außerdem aus der prestigeträchtigsten Familie in der Welt des Terrors stammte, al-Kaida in eine neue Ära führen sollte und die zersplitterten Fraktionen vereinen sollte.
Der Tod Hamza bin Ladens und die Zukunft von Al-Kaida
Diese Zielsetzung erfüllte sich jedoch nicht. Stattdessen wurde Anfang August berichtet, dass Hamza bin Laden aller Wahrscheinlichkeit nach bei einem Luftangriff in den ersten zwei Jahren der Trump-Administration getötet wurde.
Was bedeutet der Tod von Hamza bin Laden nun für die Zukunft Al-Kaidas? Zunächst einmal war es natürlich ein großer Schlag für die Zukunft der Organisation. Mit Osamas Sohn und Erben hatte die Organisation diejenige Person verloren, die dazu ausersehen war, die Organisation zu neuem Ruhm zu führen. Hamza war jung, charismatisch und von berühmter Abstammung. Die Hoffnung des Westens ist nun, dass al-Kaida ohne einen solchen Führer weiter zerfallen und schließlich implodieren wird.
Wenn man sich jedoch an der Entwicklung nach dem Tode von Osama bin Laden orientiert, der zwar zur Zersplitterung Al-Kaidas führte, aber auch zur Geburt des Islamischen Staates, dann ist die Prognose eine andere: Eine weiterer Zerfall al-Kaidas aufgrund des Todes von Hamza und des Mangels an einem anderen Führer könnte die Organisation in eine Hydra mit vielen Köpfen verwandeln – soll heißen: ein solcher Zerfall kann auch zu einer weiteren Radikalisierung zur Folge haben. Um sich von Al-Kaida abzugrenzen, hat der IS ein neues und bis dahin ungesehenes Ausmaß von Folter und Brutalität angewandt.
Es ist natürlich schwer zu argumentieren, dass die Eliminierung einer Figur wie Hamza bin Laden, der offen zur Tötung von Amerikanern und anderen Nicht-Muslimen aufruft, keine gerechtfertigte Herangehensweise gewesen sei. Zugleich haben die letzten fünf Jahre gezeigt, dass solch ein Tod ein noch größeres Monster herbeibeschwören kann. Die Hoffnung, dass die Organisation aufgrund der zahlreichen Schicksalsschläge in den letzten Jahren vielleicht doch einfach implodiert und zerfällt, ist zwar nicht gänzlich aufzugeben, das Ende des islamistischen Terrors würde jedoch auch durch einen solchen Zerfall nicht erreicht sein.